Der holländische Regisseur Cornelius Baltus führt seit zehn Jahren Regie beim Musical „König der Löwen“ in Hamburg und hält als Dompteur ein Ensemble von 53 Darstellern aus aller Welt auf Trab.
Hamburg. Jenseits des großen Flusses liegt das Reich des Königs der Löwen. In seinem savannengelben Zelt herrscht Mufasa am südlichen Ufer der Elbe nicht nur über seine Mitlöwen, sondern auch über alle anderen Tiere. Bei Auseinandersetzungen geht es regelmäßig hoch her im Löwenreich – vor und gelegentlich hinter der Bühne. Damit dennoch 2000 Menschen allabendlich gefahrlos das Musical in einer Spitzenaufführung genießen können, beschäftigt die Stage Entertainment einen bewährten Löwenbändiger und Tierpfleger in einer Person: Cornelius Baltus.
Der in Holland geborene und aufgewachsene Schauspieler und Tänzer Baltus lebt in Hamburg und führt seit zehn Jahren Regie beim „König der Löwen“. Jeden Schritt des Musicals kennt der 45-Jährige auswendig, jeden Ton in jedem Song. Jeden Gesichtsausdruck, jede Regung der Schauspieler, der Puppen, der Masken hat er verinnerlicht, kann er verkörpern. Baltus könnte das ganze Stück allein aufführen und es wäre vermutlich ein Abenteuer, ihm dabei zuzusehen. Trotz der langen Jahre kennt Baltus bei der Arbeit keine Langeweile. Im Theaterzirkus mit 53 Darstellern, die jede Woche acht bis neun Vorstellungen spielen, wird immer ein Dompteur gebraucht.
Baltus liebt diese Rolle und sie ist ihm auf den Leib geschrieben. Die Tänzer, Schauspieler und Sänger nennen ihn schlicht und respektvoll den „Boss“. Und gerade, weil er den Respekt der Mimen genießt, kann er einfühlsam und freundlich und konzentriert mit ihnen arbeiten. Genau das reizt ihn auch: „Beim ‚Tanz der Vampire‘ kommen häufig alle Darsteller von der deutschen Musicalschule. Beim ‚König der Löwen‘ ist das anders, da kommen nur sieben Darsteller aus Deutschland, die meisten aus allen Ecken der Erde und die Begegnung mit den verschiedenen Kulturen ist eine Bereicherung für mich“, sagt Baltus.
Jedes Jahr probt der Regisseur mit neuen Darstellern, mindestens eine Handvoll Rollen wird in jeder Saison neu besetzt, manchmal fast die Hälfte des Ensembles ausgetauscht. Dieser Tage übt Baltus mit einem neuen Simba einige Szenen ein, der künftig an der Seite von Nokubonga Khuzwayo als Nala durch die Löwenkulissen streifen wird. Der begabte Simba heißt Linda Rheretyane. Vor seinem Karriereschritt hat Rheretyane als Sänger im Löwen-Ensemble gearbeitet, bringt also eine gute Vorbildung mit in die szenischen Proben. Dennoch unterbricht Baltus die Szene, in der Nala ihn aus dem Exil zurück nach Hause ins mittlerweile verwüstete Land holen will, immer wieder. Während er die Darsteller genauestens im Blick hat, zerfließt sein Minenspiel in der jeweiligen Regung des Darstellers. Leidet der Löwe, erduldet und weint Baltus mit ihm, lacht er, strahlt er mit ihm um die Wette.
Es gehe darum, den Schauspieler in der Gegenwart zu verankern, erklärt der Regisseur später und erläutert: „Ich glaube, ganz viele Schauspieler schießen an der Realität vorbei. Entweder denken sie: ,Oh, ich habe einen Fehler gemacht.‘ Und bleiben darin hängen. Oder sie denken: ,Oh, was kommt als nächstes?‘ Und dabei vergessen sie manchmal, ganz gegenwärtig zu sein, den Moment zu spielen und zu empfinden.“ Nachdem Baltus den beiden jungen Löwendarstellern noch einmal ihre Reaktionen im Streit klar gemacht hat, jede Bewegung, jede Drehung klar von den anderen abgesetzt, fällt bei beiden der Groschen.
Elegant dreht sich Simba um und wirft Nala ein trotziges „Hakuna Matata“ entgegen. Um gleich darauf versöhnlich zu erklären, worum es sich dabei handelt. „Wenn ich bei einer Probe unterbreche, um diesen Moment wirklich zu erleben, dann plötzlich sind sie mittendrin, in ihrer eigenen Schauspielerei“, freut sich Baltus. „Hakuna Matata“ heißt übrigens wörtlich übersetzt „Keine Probleme“ und meint „Immer schön locker bleiben, das Leben auf die leichte Schulter nehmen“.
Bei den Proben geht Baltus davon aus, dass jeder Darsteller seinen eigenen Weg zum geforderten Ergebnis finden muss. Das Stück bleibe zwar dasselbe, aber die Melange auf der Bühne sei an jedem Abend anders. Und es gebe ein Kern-Ensemble von einigen Darstellern, die bis zu zwölf Jahre dabei sind. Neben seinen künstlerischen Aufgaben verwaltet Baltus das Ensemble, plant und kümmert sich, von der Urlaubsplanung bis zu den Krankheitsausfällen. Die eher unkünstlerischen Aufgaben nehmen knapp die Hälfte seiner Arbeitszeit in Anspruch.
In seiner Freizeit ist Baltus bekennender Hakuna-Matata-Jünger. „Wenn ich aus dem Theater komme, fahre ich mit dem Rad nach Hause, da kann ich sofort abschalten“, sagt der Regisseur, „Wenn wir die Geschichte erzählen und daran arbeiten, ist dieses Zelt der Nabel der Welt, aber letztlich ist es doch nur eine Show.“ Danach ist er einfach am liebsten zu Hause in der Langen Reihe, um sich vom Löwenbändigen zu erholen: „Ich koche auch lieber, als in ein Restaurant zu gehen.“
Stress hat Baltus hinter der Bühne Tag für Tag genug. Nach der Einzelprobe mit Nala und Simba schiebt Baltus eine Cast-Besprechung mit allen 53 Darstellern dazwischen, bevor er mit den beiden noch einmal zwei Songs probt. Baltus verabschiedet sich für ein paar Wochen von seinen Hamburger Darstellern, um am Musical Comedy Theater in St. Petersburg das neu entwickelte Musical „Hollywood Diva“ herauszubringen.
Trotz der Abschiedssituation ermahnt Baltus noch einmal die Hyänen, doch nicht beim Gehen immer die Hinterläufe vor die Vorderstelzen zu schieben. Flugs greift er sich ein paar Hyänenbeine und führt unter großem Gelächter der Darsteller noch mal vor, wie falsch und wie richtig gestakst wird. Im Anschluss an die Besprechung probt Baltus erneut mit Khuzwayo und Rheretyane, diesmal den Song „Kann es wirklich Liebe sein?“. Die Liebe zum Theater auf jeden Fall.
Für die Dauer seiner Inszenierung von „Hollywood Diva“ in St. Petersburg wird der Regisseur zwischen Deutschland und Russland pendeln. „Hollywood Diva“, das im September Premiere haben wird, basiert auf der Ralph-Benatzky-Operette „Axel an der Himmelstür“, die 1936 mit Zarah Leander und Max Hansen uraufgeführt wurde. „In Russland kann man noch Theater ohne finanzielle Probleme machen“, lacht Baltus. „Als ich dem Direktor sagte, ‚ich hätte gern 30 Tänzer und 36 Orchestermusiker‘, antwortete er ‚No Problem‘.“ Hakuna Matata auf Russisch.