Am 11. April erscheint Jan Delays Rock-Album „Hammer & Michel“. Ein offener Brief eines schon jetzt Enttäuschten. Es gibt ein sicheres Zeichen dafür, dass einem Künstler nichts Brauchbares mehr einfällt.

Jan, Alter,

obwohl wir uns noch nie persönlich begegnet sind: Wir müssen reden, ganz dringend. Über Deine neue Platte. Mit der soll jetzt offiziell Schluss sein mit Funk und Disco, mit den scharfen Bläsersätzen und dem Chefstyler-Sortiment, das Dich groß gemacht hat. Das Du draufhast wie kein anderer und für das Du nicht nur in Hamburg weltbekannt bist. Rock ist jetzt der neue heiße Scheiß auf „Hammer & Michel“, versprichst Du.

Der Titel des Albums ist auch wirklich gelungen, der knallt, aber: Jan Delay und Rock?!? Rock wie in: Krachgitarren, Danebenbenehmen, Stimmbänderlädieren, Bierdusche, schwarze T-Shirts mit Motiven, die normalerweise auf Kühlerhauben gesprayt werden? Diese Art von Rock? Mit Deiner Stimme? Oder die Variante für oberflächenverwirrte Großstadtmenschen um die 30, mit deutschen Texten, Unsicherheitsraunen und irgendwie kritischen Befindlichkeiten? Meinetwegen, ist beides nicht unbedingt meine Musik. Aber ich kann ja trotzdem einen Etikettenschwindel erkennen, wenn er so übergroß und so direkt vor meinen Ohren passiert.

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Die bisherigen Indizien für den schlimmen und trotzdem erfolgreichen Jan-Delay-Ausverkauf, der am 11. April beginnt, sind die ersten Vorabvideos. Nach deren Anblick kann man nur fassungslos sein, wie viel ein cleverer Musiker in so wenigen Minuten falsch machen kann. Mein Opa hatte dafür einen passenden Backpfeifen-Spruch im Sortiment: „Kein Arsch in der Hose, aber La Paloma pfeifen.“

Denn da passiert zusammen, was nicht zusammengehört. In „Wacken“ flanierst Du, als größtmöglicher Gegensatz, durch das Metal-Dörfchen und lässt Dich von der Festival-Stammkundschaft in Schwarz bestaunen. „Tschüs, ihr Spacken, ich geh nach Wacken.“ Weißer Dandy-Anzug wie der US-Autor Tom Wolfe, als seine Texte noch wichtig waren. Bügelfalten überall, rosa Krawatte, rosa Schuhe. Rosa? In Wacken? Geht’s noch? Sting hat vor etlichen Jahren eine raffiniertere Nummer gebracht, als er noch kein gediegenes Oberstudienratsliedgut drechselte, für seinen Song über einen „Englishman in New York“, ein Alien mit sonderbarem Akzent. Bei ihm funktionierte das. Wenn es stimmt, dass die kleinste sinnstiftende Einheit im Pop die Pose ist, hast Du sie nicht mehr im Griff. Und deswegen, ob Du mir das glaubst oder nicht, ein grundsätzliches Problem.

Die erste Single Deines Albums heißt „St. Pauli“, und man fasst es kaum, weil es so berechenbar ist. Falls Du mal hören willst, wie man Lokalhymnen amtlicher bringt, ohne sich zu blamieren: „Hamburg Calling“ der Kollegen von Fettes Brot zeigt ganz anders, wo der Hammer hängt beim Michel. Nicht ganz neu, immer noch gut. Dein „St. Pauli“ ist erschütternd harmloses Formatradio-Zeug. Touristenbespaßung. Pauschalpop für die blank polierten neuen Cocktailbars, die ganz weit oben sind über dem Boden der Kiez-Tatsachen, wo alles aufgeräumt ist und nicht mehr billig. Und im Video fliegst Du in einer „Star Wars“-Weltraumkneipen-Parodie durchs All und näselst aus dem Hinterkopf. Muss man mögen, fällt aber brutal schwer. Selbst in Udolinos Reeperbahn-Hymne, für die er „Penny Lane“ bei den Beatles ausgeliehen hat, ist mehr Bums drin als in diesem halb garen Track und der so überhaupt nicht geilen Zeile „Im Großen und im Ganzen ham’ wir allen Grund zum Tanzen“.

Nein, Jan, ham’ wir nicht.

Nicht nach dem Abriss der Esso-Häuser und dem Aus für das Molotow an dieser Adresse. Nicht nach dem Stress mit dem Gefahrengebiet, dem Streit um Demos und Polizeigewalt vor der Davidwache. Uns danach so zu kommen ist schwach. Dein Song ist als Aufreger selbst für Lanz zu lauwarm. „Auf St. Pauli brennt noch Licht, da ist lange noch nicht Schicht“? Mann, Jan. Dann les ich lieber ein gutes Buch.

Wo wir schon bei riesigen Gefahrengebieten sind: Eine Woche vor deinem Album bringt die Hamburger Frauenautorin Ildikó von Kürthy ihren neuen Roman in die Bestsellerlisten. Der Titel, und auch das ist kein Spaß: „Sternschanze“. Heimchen zieht vom Herd ins wilde In-Viertel um und lässt sich, uiuiui, mal so richtig gehen. Das Buch zum Galão zum Flora-Besichtigen von der anderen Straßenseite aus. Zufall ist das nicht. Das ist nämlich die Methode, genau das ist die Methode.

Warum also das Ganze? Für Geld? Ist das wirklich so einfach zu erklären? Schon vor einigen Jahren hattest Du in einem Interview gesagt: „Ich hab Bock auf Kohle.“ Geht in Ordnung, haben die meisten. Aber ist das ein Grund für so viel Ranschmeiße an ein Publikum, dem Du mit dieser Masche so unecht inszeniert vorkommst wie Florian Silbereisen und Helene Fischer in ihren „Musikantenstadl“-Pappkulissen?

Das sicherste Zeichen dafür, dass einem Künstler nichts Brauchbares mehr einfällt: Er erfindet sich verkehrt neu. Robbie Williams holte neulich zum zweiten Mal sein Retro-Ego aus der verstaubten Entertainer-Ecke, und was hat ihm das Sinatra-Spielen gebracht außer gähnendem Desinteresse von allen, die mit solchen popkulturellen Referenzen nichts anfangen können, weil sie schlicht zu jung sind? Eben.

Auch die Idee für Dein „Hammer & Michel“-Cover – schnörkeliger Schriftzug auf der Rückenpartie einer Jacke – gab’s so schon mal. Tomte, „Heureka“, 2008 erschienen. Hamburger Indie-Rock. Und wenn selbst ich diese Anleihen bemerke und mich nur wundere, wie unoriginell Du geworden bist, dann ist die Masche wirklich offensichtlich.

Vor einigen Jahren kamst Du noch viel besser rüber. In Fatih Akins Hamburg-Liebeserklärung „Soul Kitchen“ taucht Dein Hit „Disko“ auf und passt fantastisch zur liebenswürdigen Underdog-Mentalität der Geschichte. Das lädierte, ignorierte Gängeviertel, in einer Nebenrolle zu sehen, bekam Glamour und Bedeutung auch Deinetwegen. Das war eine Haltung, die war groß und wahr. „Hammer & Michel“ hat keine Haltung mehr. Diese Platte hat nur noch ein Verkaufskonzept und steht auch deswegen schon jetzt auf Platz 1 bei den Amazon-Bestsellern. Die Szene zu „Disko“ spielte in einer Bruchbude in Wilhelmsburg – jetzt, im Video zu „Liebe“, posiert Dein Gitarrist vor dem Jenisch-Haus, einem klassischen Statussymbol der Elbvororte. Der alte Jan passte zu „Soul Kitchen“, der neue nur noch zu Til Schweigers Action-„Tatort“. Der neue Jan trägt immer noch Maßgeschneidertes aus dem Hause Herr von Eden, dem in Hamburg weltbekannten Modedesigner, der sich neulich mit seinem Ding so dramatisch übernommen hat; jetzt aber nur noch unecht mit Leopardenprint. Wie sich Designer-Bügelfalten mit der Ansage Rock vertragen? Keine Ahnung.

Oder hab ich das „Hammer & Michel“-Konzept doch komplett falsch verstanden, und das ist alles nur diese neumodische Ironie, mit der man vieles rechtfertigen möchte, aber nicht alles entschuldigen kann? Heino, die alte Haselnuss, „rockt“ inzwischen ja auch und verkauft seine Platten wie geschnitten Brot. Vor allem an Menschen, die es für witzig halten, wie Heino einige subkulturelle Weltanschauungen kalt lächelnd geentert hat. Und Edeka machte neulich auf supergeil, und bei Facebook drehten sie alle durch. Tun einige wegen Dir jetzt auch schon. Zu gern würde ich aufrichtig, ohne irgendein Wenn und Aber, supergeil finden, was Du jetzt mit „Hammer & Michel“ anbietest. Aber: geht nicht. Wirklich nicht.

Also, Jan, nichts für ungut, aber: Das kannst Du hoffentlich besser. Bis zur nächsten Runde. Ich bin raus.