Mit der Folge „Kopfgeld“, die an diesem Sonntag ausgestrahlt wird, geht der Hamburg-„Tatort“ mit Til Schweiger alias Nick Tschiller in die zweite Runde. Die Geschichte des türkischen Astan-Clans wird hier weitererzählt.
Hamburg Damit war nicht zu rechnen. Die Macher des Schweiger-„Tatorts“ beweisen Selbstironie, und das gleich zu Beginn des Films. „Kopfgeld“, der an diesem Sonntag seine Premiere im Ersten erlebt, geht los wie ein typischer Popcornknaller aus dem Hause Schweiger. Ein bisschen stofftierkuschelig, eine Prise Fesselsex, und was die Frauen von sich geben ist ungefähr so interessant wie die Haarfarbe einer Schaufensterpuppe.
Nick Tschiller (Schweiger) wälzt sich gerade mit der Staatsanwältin in Satinbettwäsche, als Tochter Lenny und Ex-Frau Isabella reinplatzen. Es sind jetzt entschieden zu viele Menschen im Schlafzimmer, die Sexnummer kommt zum vorzeitigen Ende, und Tschiller hat gerade noch Zeit für den Griff zur Zahnbürste, bevor er mit Isabella zum Flughafen wetzt. Dort werden sie niemals ankommen. Als die Autobombe explodiert, liegen die beiden wenige Meter entfernt auf der Straße, verschrammt, aber unverletzt. Fragt sich nur, wie lange noch. Die Botschaft ist jedenfalls klar: Hamburgs Großgangster haben Tschiller nicht verziehen. Sie wollen seinen Tod.
Wie das Böse Til Schweigers Wohlfühl-Patchwork-Kosmos sprengt, dieses beim Kinopublikum so beliebte Rumgehampel zwischen Frühstücksmüsli und Liebesentzug, das ist schon ein ziemlich hübscher Einfall. Auch wenn der Film ansonsten ohne jedes Augenzwinkern auskommt, ohne Metaebene und subtile Dialoge. In „Kopfgeld“ sind die Dinge ernst. Todernst. Sätze wie Betonpfeiler werden hier gekloppt („Wir haben sie zu lange glauben lassen, der Kiez gehöre ihnen!“) Schließlich geht es um nicht weniger als die Rettung der Stadt. Wer regiert, wer verliert und zu welchem Preis ist jeder käuflich? Regisseur Christian Alvart und Autor Christoph Darnstädt drehen die Geschichte um den türkischen Astan-Clan, dessen üble Kiez-Geschäfte bereits im Schweiger-Debüt verhandelt wurden, eine Runde weiter. Mehr noch: „Kopfgeld“ versteht sich nicht nur als Fortsetzung der Mafia-Saga, sondern als ihre Potenz. Kiezkrieg hoch drei.
Die Leichenberge, die seit Wochen Medien und Öffentlichkeit beschäftigen, sind denn auch vielmehr ein Indiz für die Blutigkeit und Aussichtslosigkeit des Kampfes zweier verfeindeter Gangs (Astan-Clan gegen Bürsüm-Familie) als ein Beleg für das sinnfreie Geballere, das diesem „Tatort“ schon vor Ausstrahlung unterstellt wird. Obwohl es natürlich ein alter Hut ist, dass beim Fernsehen für die Quote mehr oder weniger buchstäblich über Leichen gegangen wird – aber das ist eine andere Diskussion. „Kopfgeld“ jedenfalls ist so kalt, wie es Filme über Killer sein müssen, und er ist so illusionslos wie Geschichten nun mal sind, die davon handeln, wie kriminelle Energie jeden Winkel (und jede Generation) der Gesellschaft infiltriert.
Spannung gewinnt dieser „Tatort“ auf doppelter Ebene: durch das hübsche Sümmchen, das auf Tschillers Kopf ausgesetzt ist (50.000 Euro für ein rausgeschnittenes Herz) sowie durch die Riesenlieferung Chrystal Meth, die jede Stunde im Hamburger Hafen an unbekanntem Ort erwartet wird. Die Fäden bei beiden Geschäften zieht der Mafiapate Firat Astan (furchterregend: Erdal Yildiz), der zwar im Gefängnis sitzt, aber seinen Kampf und Rachetrip mit Unterstützung seiner Helferlein unbeeindruckt fortsetzt.
Tschiller dagegen kennt nur den Alleingang. Dass seine Sicht auf die Dinge eine sehr eingeschränkte, seine Ermittlungsmethoden fragwürdig sind, ist natürlich nicht von der Hand zu weisen. Aber hey, der Mann ist ein Geistesverwandter der einsamen Actionhelden des US-Kinos, die Bruce Willis und Sylvester Stallone immer wieder verkörpert haben, und von denen auch nie jemand Dienst nach Vorschrift gemacht (und verlangt) hat. Man mag die Weltretterpose, das Coole-Sau-Getue für nervig halten. Fakt ist: Ein strahlender Held wird dem Zuschauer nicht vorgeführt. Eher ein verbeulter Kommissar, dem sein Leben langsam, aber sicher entgleitet. Seine Geliebte, die Staatsanwältin, landet auf Übelste zugerichtet im Krankenhaus, Tochter Lenny verbannt ihn aus ihrem Leben. „Kopfgeld“ ist auch der Film, in dem Nick Tschiller seine Unschuld endgültig verliert.
„Willkommen in Hamburg“ hieß der erste Schweiger-Krimi. Willkommen in der Unterwelt könnte dieser hier heißen, und es ist nur konsequent, dass er nicht auf blühenden Wiesen spielt, mit Blick auf vorbeiziehende Segelboote, sondern in Hinterhöfen, Drogenclubs und auf leer gefegten Parkdächern. Kein Hochglanz-Hamburg, eine Schmuddel-Großstadt hat der talentierte Bildgestalter Jakub Bejnarowicz eingefangen, der die Kamera auch mal Hausschluchten hinunterpurzeln lässt. Der Showdown am Containerhafen ist so rasant gefilmt, dass Anhänger piefiger Revierkrimis vermutlich mit Schnappatmung zu kämpfen haben. Hamburg wirkt grau und rau, selbst die Möwen scheinen ihre Verzweiflung in den Wind zu schreien.
Lichtblick ist auch dieses Mal wieder Tschillers Partner Yalcin Gümer (Fahri Yardim), gesegnet mit gesundem Menschenverstand und in der Lage, jedem Stimmungstief eine Pointe abzuringen. Großartig auch Ralph Herforth als Drogenermittler Enno Krohmer, ein Mann mit Augenringen bis in die Kniekehlen und einem Gesicht wie eine Magenkolik. Krohmer hat den Kampf gegen das organisierte Verbrechen längst aufgegeben, irgendwo im Job seine Seele verloren, „wir waren zu korrekt, zu deutsch“, sagt er. Jetzt hilft nur noch: „Das ganze Pack rausreißen wie Unkraut.“ Es ist zu spät, auch das erzählt dieser Film. Aber Nick Tschiller ist einer, der noch nie viel auf Uhrzeiten gegeben hat. Genauso wenig wie auf Zutritt-verboten-Schilder und den Hinweis, das jemand „nicht vernehmungsfähig“ ist. In „Kopfgeld“ spielen auch DNA-Spuren am Tatort und Täterprofile keine Rolle; das Böse ist eindeutig identifizierbar, alles ist Kampf und Duell und Auslese. Das klingt nicht nur holzschnittartig, es kommt manchmal auch so rüber. Aber im Grunde will dieser Film auch eine Provokation sein — für die, die sich das Fernsehen provokanter wünschen, die sich von härteren Konflikten, direkteren Emotionen herausfordern lassen wollen.
Schon jetzt steht fest, dass dieser „Tatort“ nicht im klassischen Fernsehkrimisinne endet, sondern sein großes Finale erst noch vor sich hat. Im Herbst werden — mit gleichem Team — zwei weitere Folgen über die Mitglieder des Astan-Clans, über Parallelgesellschaft und Selbstjustiz gedreht, die dann an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen 2015 ausgestrahlt werden. Die spannende Frage ist: Wie viele Verlierer kann dieser Kampf noch verkraften, bevor alles endgültig den Bach runtergeht.
„Wir müssen uns dringend über deine Zukunft unterhalten, Partner“, sagt Yalcin Gümer zu Tschiller. Er sagt das wie ein Vater zu seinem bockigen Kind. Tschiller wiederum verspricht seiner Tochter mit Samtstimme: „Das geht vorbei.“ Dabei weiß er selbst natürlich am besten, dass das nicht stimmt. Es geht gerade erst richtig los.
„Tatort: Kopfgeld“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD