Pünktlich zum Valentinstag erscheint von der Hamburger Sängerin Annett Louisan das neue Album „Zu viel Information“ – ohne Pärchenallergie. Ein Lied ist aber überraschend düster geraten.

Hamburg. Es gab eine Zeit, so um 2008 herum, da hat Annett Louisan viel ausprobiert. Sie zog von Hamburg nach Berlin und präsentierte sich auf ihrem vierten Album „Teilzeithippie“ optisch und akustisch in ungewohnter Form. Mit 60er-Jahre-Retropop-Chic ließ sie das medial doch sehr überstrapazierte Lolita-Image hinter sich, das seit ihrem Durchbruch 2004 mit „Bohème“ so fest an ihr haftete wie ein Etikett an der Prosecco-Flasche.

Das ist vorbei. Wenn am Valentinstag ihr sechstes, von Martin Gallop produziertes Album „Zu viel Information“ erscheint, schaut Annett Louisan, jetzt in St. Georg lebend, in die Beziehungskisten, die sie mit „Bohème“ und „Unausgesprochen“ (2005) öffnete. Sehr viele ihrer Fans wird es sicher freuen, dass wieder minimalistisch arrangierte, kurze Jazz- und Country-Pop-Melodien die mit Flüsterstimme gesungenen, mal romantischen und mal bissig-ironischen Texte untermalen. „Bohème“ war ja auch ihr erfolgreichstes Album, mehr als 500.000 Stück wurden aus den Regalen gerissen. Das war für eine bis dahin völlig unbekannte Künstlerin ein mehr als respektables Ergebnis, aber später auch eine Mischung aus Bürde und Hürde.

„Ja, die neuen Lieder sind schon an ‚Bohème‘ angelehnt“, erzählt Annett Louisan im Gespräch bei ihrem späten Lieblingsfrühstück, dem französischen – Kaffee und Kippe. Eines ihrer Laster, von dem sie auch bei Konzerten auf der Bühne nicht lassen kann. Zwei Stunden im St. Pauli Theater, wo „Zu viel Information“ am Tag vor dem Interview live mit Band vorgestellt wurde, können eine lange Zeit sein, wenn Freunde und Medienpartner im Publikum sitzen und die Aufregung groß ist. Aber es klappte natürlich an diesem Abend – die Songtext-Zettel, die auf die Monitorbox am Bühnenrand geklebt waren, brauchte sie nicht. Sie weiß, was sie kann, und sie weiß, was sie in ihrer Heimatstadt zu bewirken vermag. Das nächste Konzert am 28. April auf Kampnagel ist bereits ausverkauft, die große Laeiszhalle für den 8. Oktober bereits gebucht.

Annett Louisan schaut gern zurück auf eine Zeit, als der Einstieg in die Popwelt für sie noch eine Reise ins Ungewisse war. „Für mich ist ‚Bohème‘ immer noch meine beste Platte, sie ist in sich geschlossen. Wir hatten damals im Studio keine Ahnung, was wir da eigentlich machen und haben es einfach geschehen lassen.“ An diesem Vorbild orientiert sich auch „Zu viel Information“. Die Kritik, dass sie nicht singen könne und eigentlich eher flüstere, perlt mittlerweile an ihr ab, sie hat auf Hunderten Konzerten das Gegenteil bewiesen. Aber die leisen, filigranen und gehauchten Passagen sind ihr weiterhin die liebsten.

So erzählt sie auf der Platte von einer Geliebten, die nicht mehr die zweite Geige spielen will: „Dann sag ich es ihr halt“ gleicht einer düsteren, bedrohlichen Version der ersten Erfolgssingle „Das Spiel“. „Bei aller Freundschaft“ beschreibt aus Louisans Sicht das Dilemma, wenn ein Freund mehr will als der andere („Bei aller Freundschaft – ich liebe dich“). Und selbst wenn zwei sich lieben, muss nicht alles gerade laufen, denn „Einer liebt immer mehr“.

Annett Louisan macht wieder Pärchenmusik. Ihre „Pärchenallergie“, von der sie noch vor drei Jahren auf dem Vorgänger „In meiner Mitte“ sang, hat sie offensichtlich überwunden. Autor Frank Ramond ist nach sieben Jahren wieder zurück in ihrem Team. Der Mann, der auch für Ina Müller und Barbara Schöneberger bisweilen etwas zu augenzwinkernde Texte schreibt, lieferte etwa die im Countrystil vorgetragene Facebook-Satire „Dein Ding“: „Ich hab dein Ding gepostet, es kam kein Kommentar. Zwei Leute haben es geteilt mit dem Rest der Welt, das ist dein Ding, aber keinem gefällt’s.“ Wem es gefällt...

Besser und interessanter wird es, wenn sie das Tempo etwas anzieht. „Ronny und Johnny“ oder der Gypsy-Jazz-Hüpfer „Ey na Du“ gesellen sich, das zeigte das Konzert im St. Pauli Theater, zu Live-Favoriten wie „Fettnäpfchenwetthüpfen“ oder „Das alles wär nie passiert“. Aber auch bei den langsamen Nummern gibt es zwei, die auffallen wie „drei Mädels im Bayern-Trikot in der Südkurve vom HSV“. Da sind das träumerische, schön gesungene „Du fehlst mir so“ und besonders „Papillon“, ein Lied, das 1989 von Hildegard Knef, einem von Louisans großen Idolen aufgenommen, aber erst 20 Jahre später posthum veröffentlicht wurde. „Das ist ein sehr unbekanntes Stück, das damals auf furchtbare musikalische Weise, mit grässlichen 80er-Jahre-Synthies, umgesetzt wurde. Als ich mich für zwei Knef-Abende intensiv mit ihrem Repertoire befasst habe, dachte ich: Das will ich auf meine Art probieren.“

Ihre Art, das ist klassischer Piano-Chanson, der aus „Papillon“ das traurigste Lied über Abschied, Siechtum, Tod und Einsamkeit macht, das Annett Louisan jemals eingesungen hat. Ein echter Runterzieher, der viel Mut erfordert, um ihn live direkt nach dem fröhlichen „Ey na Du“ zu präsentieren. Damit ist „Zu viel Information“ zwar ein Album geworden, dass deutlich zu den vor zehn Jahren geschlagenen Wurzeln zurückgeht, aber im Detail überrascht. Auf jeden Fall ist es ein echtes Annett-Louisan-Album. Oder vielleicht doch nicht? „Ich bin nicht Annett Louisan“, sagt sie und lächelt, „Annett Louisan ist meine liebe Schwester, ich bin die Bösere von uns.“ Aber die Ähnlichkeit ist schon verblüffend.

Annett Louisan: „Zu viel Information“ CD (105 Music) im Handel; Konzerte: 28.4., Kampnagel (ausverkauft), 8.10., Laeiszhalle; www.annettlouisan.de