30 Jahre nach dem ersten Konzert in Ost-Berlin erinnert sich der Panikrocker an die skurrilen Anekdoten des historischen Auftritts. Es gab auch einsame Momente für Udo Lindenberg.

Berlin/Hamburg. Im Arbeiter-und-Bauern-Staat singen zu dürfen – dafür kämpfte er lange. Dann wurde sein Traum wahr. Der Panikrocker durfte im Palast der Republik ans Mikrofon. 30 Jahre ist der legendäre Auftritt von Udo Lindenberg in der damaligen Hauptstadt der DDR nun her. Es sollte bis zum Mauerfall sein einziges Konzert im sozialistischen Teil Deutschlands bleiben. „Ein bisschen hat der Gesang der Nachtigall die Mauersteine schon angelockert“, sagt der 67-Jährige heute.

Am 25. Oktober 1983, um 11.55 Uhr, beginnt der geschichtsträchtige Tagesausflug. Mit Hut auf dem Kopf und Zigarette im Mund passiert der Sänger im Auto die Grenze an der Berliner Invalidenstraße. Journalisten und Fotografen drängeln sich, Fans lauern ungeduldig. FDJ-Chef Egon Krenz schlürft mit dem Rocker Buttermilch, weil Lindenberg sich – aus Scherz – dieses Getränk gewünscht hatte.

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Lange hatte Lindenberg um eine Tour durch die DDR gekämpft. „Wir wollen doch einfach nur zusammen sein“, dichtete er 1973 in „Mädchen aus Ostberlin“, eine „Rock'n'Roll-Arena in Jena“ forderte er später. Und er schickte den „Sonderzug nach Pankow“ – das Lied über „Oberindianer“ Erich Honecker – auf Fahrt; im Westen ein Hit, im Osten auf dem Index – aber dennoch bekannt.

Konzertmanager Fritz Rau hatte einen Deal ausgehandelt: Wenn Lindenberg die Genehmigung erhält, sorge er dafür, dass der US-amerikanische Kriegsgegner Harry Belafonte in der DDR singt. Vier Lieder durfte der damals 37-Jährige Rockstar aus dem Westen singen. Vor 4200 ausgewählten Funktionären, FDJ- und Parteikadern fordert er: „Weg mit allem Raketenschrott – in der Bundesrepublik und in der DDR.“ 15 Minuten dauert sein Auftritt. Doch die anschließend geplante Tour wird gestrichen.

TV-Moderator Reinhold Beckmann, der damals als Kameraassistent dabei war, meinte, selbst beim Panikrocker einen Anflug von Panik an diesem Tag festgestellt zu haben. Wie stark war die Nervosität?

Udo Lindenberg: Schon ziemlich, denn das war ja Grenzgängerei. Auf so einer Bühne, nur ein paar Sekunden zeitversetzt im offiziellen DDR Fernsehen – für mich Schritte ins Niemandsland. Ich wusste nicht: Was haben die denn da für'n Publikum im Palast der Republik? Und dann sah ich drinnen nur Blauhemden und draußen die richtigen Fans – das war 'ne echte Konfliktsituation. Da wurde ich dann natürlich auch nervös, mir war klar: Ich muss da irgendwie raus. Die hatten ein paar Controlletti-Offiziere auf mich angesetzt, die gucken mussten, dass alles cool über die Bühne geht. Also musste ich meine Bewacher austricksen.

Was ja letztlich auch funktioniert hat...

Lindenberg: Mit einem Trick: Wir gingen backstage da lang und ich sagte, dass ich mal kurz für kleine Jungs müsste. Mein Controlletti meinte: „Ja, trifft sich gut, ich muss auch.“ Da sind wir zusammen aufs Klo, allerdings musste der in der Tat, ich aber nicht. Ich bin dann gerannt – ganz schnell der kleine Speedy Gonzales mit Hut, vorbei an den ganzen hoch verdutzten Controllettis – nach draußen zu den echten Panikern auf'm Platz vorm Palast. Denen hab ich dann zugerufen: „Ey, wir haben den Vertrag für die Tournee durch die gesamte DDR in der Tasche!“ Darum ging's mir ja im Wesentlichen.

Beim Finale mit Harry Belafonte sitzt der Panikrocker in sich gekehrt hinterm Schlagzeug, steht nicht mit in der ersten Reihe. Konzertveranstalter Fritz Rau beschrieb diesen Moment einmal so: „Er war in diesem Moment der einsamste Schlagzeuger der Welt.“

Lindenberg: Ich fühlte mich in dem Moment auch sehr allein. Ich wollte mich nicht einreihen in diese Friedensidylle mit den anderen, habe mich also im großen Finale ans Schlagzeug zurückgezogen, meinen eigenen Streifen gemacht. Und das alles noch einmal reflektiert: War es cool, den Auftritt gemacht zu haben, oder vielleicht nicht ganz richtig? Es war richtig, dass ich es gemacht habe. Es sollte der Türöffner sein, um endlich auch für meine Fans und Freunde in der DDR 'ne Tournee spielen zu können. Ich wollte für die Panik-People da spielen in der DDR – und nicht für die SED. Aber es war natürlich ein glattes Terrain, das ich da betreten hatte in 'Honey's Lampenladen'.

Sind heute bei Panik-Konzerten noch Unterschiede zwischen Ost und West zu merken?

Lindenberg: Ja, es ist überall heißes Panik-Fieber, aber im Osten ist das noch zusätzlich eine wirklich super-tiefe Verbindung, die über die Jahrzehnte gewachsen ist. Ich war ja der einzige Sänger, der an diesem Wunsch, wieder zusammen zu sein, immer wieder charmant, aber nicht penetrant drangeblieben ist. „Mädchen aus Ostberlin“, „Rock 'n' Roll-Arena in Jena“, „Der Sonderzug nach Pankow“, „Der Generalsekretär“ usw. – es gab ja etliche Songs von mir dazu. Das hat die Menschen in der damaligen DDR und mich sehr eng verbunden – wir hatten diese spezielle Seelen-Brücke. Im Osten ist das wie eine Liebesbeziehung. Im Westen ist es auch wahnsinnig intensiv, nur bin ich da eher der Rock 'n' Roll-Kumpel, gar nicht so der Star. Nach dem Motto: Das ist einer von uns, Kellnerlehrling, Aschenbecherputzer – der kommt von ganz unten, so ein amerikanisch-westfälischer Traum.

Gefeiertes Comeback, erstes Nummer-Eins-Album der Karriere, Tourneen mit ausverkauften Hallen und nun noch Stadionkonzerte – wie weit nach oben geht noch?

Lindenberg: Ich freue mich über jede weitere Raketenstufe. Durch diesen Phönix-Flug halte ich nun gar nichts mehr für unmöglich. Mal sehen – bin sehr gespannt. Nach all den Jahren bin ich ja höhentauglich und tiefenentspannt und fühle mich fit für weitere Flüge am Zenitberg entlang. Ein bisschen thrillen und chillen auf dem Olymp, gefällt mir ganz gut.