Ausgerechnet eine Vox-Dokumentation schafft es, sich dem Rockmusiker so ausführlich zu nähern wie selten. In dem vierstündigen Filmwird nichts ausgelassen, kein uneheliches Kind, kein Flop, kein Absturz.

Hamburg „Der deutsche Alice Cooper“, so nannte das Hamburger Abendblatt Udo Lindenberg 1973 schon vor seinem Durchbruch mit dem vierten Album „Alles klar auf der Andrea Doria“. Aber erst 40 Jahre später wird deutlich, wie vorausschauend der Kollege damals geschrieben hat. Der deutsche Panik-Rocker und der US-Schockrocker sind personifizierte Rockmusicals, wateten knietief im Drogensumpf – und wäre Cooper Hutträger, dann wären er und Udo kaum unterscheidbar. Die Herren der Augenringe, zwischen Falten liegend, die an ausgewrungene Lederfeudel erinnern. Viel erzählen die Gesichter. Fast schon zu viel.

Dass die Lebensgeschichte eines Udo Lindenberg mehr bietet als bei einem Rock-Rotzlöffel, der seine Nase noch am Schaufenster eines Gitarrenladens platt drückt, ist klar. Daher wirkten die 45 Minuten, die das Erste Udo kürzlich in der Reihe „Pop-Legenden“ widmete, doch etwas zu kompakt. Besser macht es an diesem Sonnabend ausgerechnet Vox. Der „mieten, kaufen, wohnen“- und „Verklag mich doch“-Sender. Das Vox dieses Jahr auch den Bayerischen Fernsehpreis für die Doku „Unschuldig im Gefängnis – Justizopfer und ihr Kampf gegen Fehlurteile“ verliehen bekam und vor zwei Wochen vier Stunden Programmzeit für „Karl Lagerfeld – Mode als Religion“ freischaufelte, geht manchmal unter. Jetzt kriegt auch Udo Lindenberg vier Stunden, werbeblockbereinigt dreieinhalb Stunden.

„Ich mach mein Ding! 40 Jahre Udo Lindenberg“ wurde von Simone Adelsbach und Jörg A. Hoppe produziert, und da die beiden seit einem Vierteljahrhundert mit Lindenberg dicke sind, durften sie sehr tief graben. So herkömmlich der rote Faden nach einem Einstieg mit Udos großer Comebacktour und dem MTV-Unplugged-Konzert auch dem chronologischen Lebenslauf des Urvaters deutschsprachiger Rockmusik folgt, so sehenswert sind dennoch alte Bilder und Super-8-Aufnahmen. Anekdoten seiner Geschwister zeichnen ein Bild eines jungen Springinsfelds, der nicht zu bremsen war. Zum Beispiel als Folk- und Jazztrommler bei den City Preachers und Doldingers Passport.

„Okay, ich bin jetzt als Trommler überall Number One. Das reichte mir nicht mehr, ich wollte Sänger werden. Ich hatte Texte, ich wollte sie irgendwie rüberbringen“, blickt Udo zurück auf die oft erzählte Geschichte. Und doch ist sein Verdienst, Rock auf deutsch zu singen und doch „cool, joah“ zu sein, nicht genug zu würdigen. Marius Müller-Westernhagen und Peter Maffay, Inga Rumpf und Jan Delay tun es. Manche standen ihm noch näher, so wie Nena. Und das Mädchen aus Ostberlin.

Interessanter aber ist neben dem Füllhorn des Lobes und der Aufzählung von Erfolgen in West und Ost, wenn der alte Astronaut „vom Wahnsinn einen Knutscher abbekommt“ und selber erzählt, und das auch gern mal ohne Karpfenlippe. „Er kann schon, aber spricht halt gelegentlich ein wenig lässig. Und so denken manche, der nuschelt ja. Ist ja auch ein Sound, der berühmte Nuschel als ‚Trademark‘. Also er macht das ganz bewusst“, sagt Udo über Udo.

Und er lässt nichts aus, kein uneheliches Kind und keinen Flop. Seine schlechten Jahre, speziell in den 90ern, werden mit Blick auf das Comeback 2008 mit dem Album „Stark wie zwei“ kurz zusammengefasst. Aber „Ich mach mein Ding!“ schaut und hört auch da hin. Die akustischen Scheußlichkeiten wie das Electro-Pop-Experiment „Renate von Stich“ (1991) fahren wie Messer in die Nerven und damalige Tourbegleiter wie Die Prinzen sind noch heute fassungslos, wie viele Konzerte damals „wegen Schnupfens“ abgesagt wurden. Mit Erkältungen hatte das weniger zu tun. „Da verbrennt man sich erst mal die Finger. Man hat’s ja überlebt. Ich habe schon vieles überlebt“, blickt Udo auf seinen Herzinfarkt 1989 oder Nächte mit 4,7 Promille zurück.

Vielleicht hat er auch deshalb 1992 einen „Echo“ für sein Lebenswerk bekommen. Aber seit seinem Comeback vor fünf Jahren sind schon wieder vier weitere Echos dazugekommen. Hinter dem Lebenswerk geht’s weiter.

„Ich mach mein Ding! 40 Jahre Udo Lindenberg“, Sa 21.9., 20.15 Uhr, Vox