Eine Woche vor der Wahl brüllten sich die Topleute aus Regierung und Opposition live an. Eine prominente Ministerin wurde mit einem Stinkefinger à la Steinbrück enttarnt.

Hamburg. Eine Woche vor der Bundestagswahl profitierte Günther Jauchs Talkshow nicht nur vom Zuschauer-Überhang eines guten „Tatort“ (9,43 Millionen Zuschauer, 27,5 Prozent Marktanteil), sondern auch vom Eifer seiner Gäste. Sechs Millionen Deutsche wollten sehen, wie sich hochrangige Parteivertreter live in der ARD fetzten. Der Marktanteil von Jauch war mit 18,5 Prozent beachtlich.

Aber Jauch gab auf am Ende einer epochalen Brüllerei, die als das schlimme Finale des Bundestagswahlkampfes 2013 in die Geschichte der politischen Unkultur Deutschlands eingehen wird. „Das möchte ich mir und unseren Zuschauern nicht jeden Sonntag zumuten“, sagte Jauch und schlug den Schlussgong unter eine wüste Keilerei.

Katrin Göring-Eckardt (Grüne) schnarrte, Sigmar Gabriel (SPD) schnaufte, Daniel Bahr (FDP) näselte scharf dazwischen, Sahra Wagenknecht (Linke) zischte unbeirrt einfach immer weiter, während Ursula von der Leyen (CDU) kaum noch den Mund zubekam ob all der Vorwürfe, die da gegen die Regierung und gegen sie selbst aufgefahren wurden. Kein leichter Job für Moderator Günther Jauch, denn alle warfen sich gegenseitig vor, dem anderen ins Wort zu fallen. So war’s ja auch bei Jauch. Keine Diskussionsstruktur, olle Kamellen, alte Rechnungen, die beglichen, Geschichten, die umgedeutet wurden.

Der Grund ist simpel, weil trotz des grandiosen Ergebnisses der CSU in Bayern Schwarz-Gelb in Berlin wackelt. Die Fortsetzung der CDU-FDP-Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Philipp Rösler ist eine Woche vor der Wahl in größter Gefahr. Denn wenn die FDP nicht in den Bundestag kommt, muss sich Merkel an die SPD heranwanzen, deren Chef Sigmar Gabriel jeden Verdacht von sich wies, er genieße diese Aussicht. Schwarz-Grün ist ausgeschlossen. So muss sich Merkel den Sozis nähern, will sie – und daran besteht kein Zweifel – Kanzlerin bleiben.

Gabriel führte von der Leyen an einigen Stellen recht ruppig unfair vor. Die CDU habe ja nicht einmal die Abwrackprämie gewollt oder die Kurzarbeit, beides in der Zeit der Großen Koalition probate Mittel gegen die Krise. Tatsächlich, das lässt sich nachlesen, wollte Merkel zunächst von der Abwrackprämie nichts wissen. Und der Arbeitsminister, der die Kurzarbeit durchdrückte, hieß Olaf Scholz, SPD. Von beiden Maßnahmen profitierte Deutschland in der Krise ebenso wie vom damaligen Finanzminister Peer Steinbrück. Von der Leyen returnierte: Die viel gelobte Agenda 2020 der Sozialdemokraten habe in ihren schlimmsten Auswüchsen erst die CDU-FDP-Regierung gebändigt.

Kaum hatte Sahra Wagenknecht der SPD und ihrem Kandidaten soziale Kälte vorgeworfen, lief Gabriel zu ganz großer Form auf. Der Feind saß liberal und friedlich in Gestalt von Gesundheitsminister Daniel Bahr da und ahnte, die Niederlage von Bayern vor Augen, was da kommt. Genüsslich deklinierte ihm Gabriel vor, dass Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bei der Frage von Krieg und Frieden in Syrien anfangs recht unsicher lavierte. Zu schlimm war der Endruck des Giftgaseinsatzes, dass man diese Frage übereilt beantworten konnte. Gabriel warf ihm Unentschlossenheit vor. Anstatt wie Steinbrück klar für Verhandlungen zu votieren, habe Westerwelle sich gewunden und gewackelt „wie ein Lämmerschwanz“.

Dann brachen alle Dämme. „Hören sie doch einfach mal zu“, wurde gerufen. „Werden Sie nicht unverschämt“, giftete von der Leyen Gabriel an. „Selbst für jemanden wie sie muss das doch drin sein“, sagte Gabriel zu von der Leyen. Die sonst so gefasste Ministerin wollte die Atmosphäre der Runde retten und sagte, zum Koalitionskollegen Bahr gewandt: „Ich glaube, ich muss dem Daniel Bahr mal Mut zusprechen. Da war der erst recht angesäuert. „Danke, Frau Kollegin!“ Und Katrin Göring-Eckardt befand: „Das ist peinlich.“

Fast ging bei aller Brüllerei unter, dass die Stinkefingeraffäre eine Verzweigung in die Bundesregierung hat. Cleverle Jauch zeigte ein Bild aus derselben Fotoserie mit von der Leyen in der SZ aus dem Jahr 2007. Die damalige Familienministerin wurde gefragt, wie sie die Kritik von Bischof Walter Mixa fand. Der damalige Augsburger Bischof hatte gesagt, sie mache Frauen zu Gebärmaschinen. Im „SZ“-Magazin zeigte von der Leyen eine Pose mit angewinkeltem Ellenbogen und hochgereckter Faust, die signalisiert: Der kann mich mal. So wütend recht sie damals gehabt haben mag – in diesen Tagen bedeutet das: Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.