Das Hamburger Elb-Riot Festival am Wochenende ist ausverkauft, Wacken 2014 auch. Heavy Metal erlebte manche Krise, ist aber lebendiger denn je.

Hamburg. „Stephan, friss dein Stirnband“ und „Gallow ist scheiße“ stand vor vielen Jahren, es muss 1995 gewesen sein, an Mauerwände in Bargteheide gesprüht. Anscheinend mochte nicht jeder unsere Metalband Gallow und unseren Sänger Stephan. Ganz sicher nicht die Filzläuse, eine Frauen-Punkband, mit der wir nicht nur den Proberaum teilten, sondern auch eine gegenseitige Abneigung.

Die Damen konnten zwar gerade einmal ihre Instrumente – und Sprühdosen für nächtliche Wandschmierereien – richtig herum halten und klangen scheußlich, aber Punk war damals gerade wieder angesagt.

Aus den Staaten wurden nach Grunge und Hip-Hop-Rock-Crossover partytaugliche Punkpop-Bands wie Green Day und The Offspring in die Charts gespült, der klassische Heavy Metal aber, den wir von Iron Maiden und den frühen Metallica kopierten, schien am Ende zu sein.

Sogar das Magazin „Rock Hard“, unsere monatliche Bibel, fragte damals in einer Serie: „Ist der Metal tot?“, und vieles sprach dafür. Der „Metal Hammer“, die zweite Bibel, benannte sich mehrfach um, bis das Wort „Metal“ aus dem Titel gestrichen wurde.

Lars Ulrich, der Schlagzeuger von Metallica, Judas-Priest-Sänger Rob Halford oder Iron Maidens Frontmann Bruce Dickinson äußerten sich despektierlich über den Sound, der sie berühmt gemacht hatte. Priest und Maiden mussten sich neue Sänger suchen, Metallica langweilte mit Altherrenrock und die Stahlkocher aus dem Pott, Sodom und Kreator, experimentierten mit Punk und Hardcore.

Bei „Rock am Ring“ teilten sich Van Halen und Megadeth die Bühne mit Die Doofen und Otto Waalkes und in Wacken machten ein paar Dorfjungs ein sattes Minusgeschäft.

Wir spielten trotzdem Heavy Metal. Im Logo, in Schulaulas und Jugendzentren und auf einem Trecker-Anhänger beim Bargteheider Stadtfest-Umzug. Leute boten uns Geld, damit wir aufhörten und den Spielmannszug nicht mehr übertönten. Leute boten uns Geld, damit wir noch lauter spielten und den Spielmannszug übertönten. Wir improvisierten einen Hardrock-Marsch als Kompromiss. Denn das ganze Leben war: Metal.

Auf der Heimanlage und im Walkman lief nur Geballer. Schwarze Hose, schwarze T-Shirts mit unleserlichen Schriftzügen, schwarze Fallschirmjäger-Botten, schwarze Instrumente. Nur Tobias, unser zweiter Gitarrist, hatte verdächtig kurze Haare, eine rote Gibson SG und hörte zu Hause heimlich Bob Dylan.

Als ich mir von ihm Metallicas „Ride The Lightning“ auslieh und in der CD-Hülle „Brille“ von Heinz Rudolf Kunze vorfand, flog er auf. Aber nicht raus. Kurz darauf war Gallow eh am Ende. Man zog in die Welt um zu arbeiten oder zu studieren und sah sich nie wieder.

Dass das Wacken Open Air heute 75.000 Karten absetzt und 44 Stunden nach Öffnung der Online-Ticketschalter ausverkauft ist? Damals undenkbar. Dass das ebenfalls ausverkaufte Hamburger Elb-Riot Festival an diesem Sonnabend 14.000 Eisenbrüder zu Slayer, Anthrax und Fear Factory auf den Großmarkt lockt? Nicht zu glauben.

Die Saarbrücker Formation Powerwolf holzte sich vor zwei Wochen im klassischen Stil mit „Preachers Of The Night“ an die Spitze der Albumcharts.

Warum? Das versuchen Musikwissenschaftler, Vermarkter und Feuilletonisten seit Jahren rational zu ergründen. Emotionen in Formeln zu fassen. Offensichtlich ist, dass es sich bei Metal nicht nur um einen Musik-, sondern auch um einen Lebensstil handelt. Tonträger, Fanartikel, Kleidung, Kneipen, Konzerte, Festivals und Kreuzfahrten gehören dazu.

Zudem ist der Metalhead ein äußerst geselliger Zeitgenosse. Das Internet half, Newcomerbands und Altmeister sowie ihre Fangemeinden zusammenzubringen. Auch der einsamste Klassenmetaller der Dorfschule wusste, dass er nicht allein ist. Zwar schlagen sich viele Metaller verbal in Fanforen und sozialen Netzwerken gegenseitig die Köpfe ein und diskutieren, welcher Stil, welche Band nun „true“, echt und wahrhaftig, ist und welcher Trend nur ein Kommerzphänomen.

Aber nach außen hin stehen sie zusammen. Ein Beispiel für den Zusammenhalt zeigte sich beim Eurovision Song Contest 2006, als sich Europas Metalfreunde mit ihren Telefonen hinter Lordi scharten und die finnischen Hardrocker auf den Schlagerthron hoben.

Die Identifikation mit dem Obergenre Metal, mit den Bands und die Freude am gemeinsamen Erlebnis, etwa am Verknoten der Haare beim Headbanging, ist in dieser Subkultur so ausgeprägt wie nirgends sonst. Vielleicht ist es nur ein historischer Zufall, aber mit der Verbreitung des Internets stieg die Zahl der Metalfestivals und ihrer Besucher.

Halford und Dickinson sind zurück bei Priest und Maiden, Metallica klingt wieder wie in den Achtzigern, der „Hammer“ heißt wieder „Metal Hammer“. Und wer sich in Hamburger Probebunkern umsieht, erkennt, wie es im Untergrund kracht.

Und über allem scheint das Schädel-Logo vom Wacken Open Air zu schweben, seit neun Jahren ist das Festival stets ausverkauft. Bis zum Dokumentarfilm „Full Metal Village“ von Cho Sung-hyung aus dem Jahr 2006 nahm kaum ein Massenmedium Notiz vom „Holy Wacken Land“. Aber seitdem erscheinen jährlich überall Berichte und TV-Reportagen, die die immer gleichen Bilder von „Wacköööön“ grölenden Trunkenbolden zeigen.

Als spielten die über 70 anderen Metalfestivals wie „Bang Your Head“, „With Full Force“ oder „Summer Breeze“ keine Rolle. Dabei brodelt an vielen Orten der Kessel Schwarzbuntes, frei von frechen Getränkepreisen, Kamerateams und merkwürdigen Festivalgästen wie Heino oder Santiano.

Metaller zelebrieren ihre Leidenschaft, wo immer es geht. Woher die Passion kommt, ist einfach zu erklären: Wenn eine Popband einen Song, ein Album aufnimmt, dann tut sie es, um möglichst viele Menschen zu erreichen, ihnen eine gute Zeit zu verschaffen und nebenbei ein paar Euro zu verdienen.

Aber wenn Five Finger Death Punch, Arch Enemy oder Gojira ins Studio und auf die Bühne gehen, dann, um ihren seit Jahren treuen Fans – genau denen – gehörig in den Hintern zu treten, sie wegzublasen, zu Kieseln zu zerkloppen und mit Eimer und Kehrblech aufzufegen. Das Energieniveau, das Metalbands in die Kabel schicken, erreicht ungefiltert und mit voller Wucht Herz und Gehör der Anhänger.

Ich war 15, als mein Vater mir aus Spaß das Sepultura-Album „Arise“ (1991) mitbrachte: „Hör Dir das mal an“. Ich hörte dumpfe Trommelschläge, eine Explosion und dann – Zorn, der aus der Magengrube ins Hirn stieg und dort in euphorisierende, positive Energie umgewandelt wurde. Ich wollte nur noch: das. Und: Alter spielt keine Rolle. Mein Schwiegervater war 62, als er kürzlich Metal für sich entdeckte.

Es ist wie ein Virus. Ein Zufall kann das Metalfieber auslösen, und wer nicht resistent ist, wird Teil eines weltumspannenden Zaubers. Die selbst ernannten US-Gralshüter des wahren Klangs Manowar haben Recht, wenn sie singen: Es ist Magie im Metal. Es ist Magie in uns allen.

Elb-Riot Sa 17.8., 13.00, Großmarkt, ausverkauft!