Der neue “Tatort - Mein Revier“ aus Dortmund ist noch dunkler als der Auftaktfall. Dieses Mal wird in der Dortmunder Nordstadt ermittelt.
Er ist kein Mann der leisen Töne, sondern der schweren Zeichen. Hauptkommissar Faber, der natürlich nur Faber heißt, weil jeder Vorname allzu vertraut klingen würde, massiert den Baseballschläger mit der Handfläche, als wäre er ein Kuscheltier. Schlendert mit ihm durchs Präsidium und drischt auf Motorhauben ein. Kein Wunder, dass er sich die ein oder andere blutige Nase holt. Man muss nicht mit "Oskar, dem freundlichen Polizisten" aufgewachsen sein, um verwundert zu sein, wie jemand als leitender Ermittler bei der Mordkommission landet, der sich spaßeshalber nachts übers Brückengeländer rollt, mal gucken, was passiert.
Nur sechs Wochen nach der Premiere des neuen "Tatort"-Teams im Ruhrpott legt der WDR bereits nach. Und schafft es tatsächlich, noch düsterer, melancholischer und aussichtsloser daherzukommen als in der Auftaktfolge. Tristesse komplett. Das liegt nicht nur am Fall - der Ermordung eines Kotztüten-Zuhälters und Drogendealers -, sondern vor allem an Kommissar Faber. Jörg Hartmann, der Spezialist für Figuren mit lauerndem Blick, spielt ihn als Borderline-Ermittler, der eigentlich mit ärztlichem Attest beurlaubt gehörte: Nicht zurechnungsfähig ergo nicht arbeitsfähig. Andererseits ist das Ermitteln Fabers Fahrkarte in die Zugehörigkeit. Und niemand kann sich so zielführend in kaputte Täter-Psychen hineindenken wie er.
Der Titel "Mein Revier" klingt nicht nur so rau und markig, wie das Ambiente des Films angelegt ist, sondern trifft auch inhaltlich. "Hier herrscht Krieg", erklärt ein Kollege von der Streife den Männern der Mordkommission, als diese in der Dortmunder Nordstadt aufschlagen, einem der ärmsten Stadtteile mit hohem Ausländeranteil. Hier fliegt der Müll sackweise aus dem Fenster, Babys brüllen stundenlang, der Geruch von fauligem Essen hängt im Treppenhaus. Ein Fleckchen ohne Regeln, ohne Infrastruktur, ohne Perspektive. Faber selbst ist sich nicht zu schade, in einen Müllcontainer zu klettern, um Hinweise auf die untergetauchte Zeugin, eine Prostituierte, auszugraben. Ist schließlich nicht Düsseldorf hier.
"Sie sind nicht teamfähig, Faber", brüllt seine Kollegin Martina Böhnisch (Anna Schudt) mehrfach durch die Gänge. Eine Tapferkeitsmedaille hätte sie verdient für all den Mist, der auf ihren Schreibtisch einprasselt. Natürlich ist er nicht teamfähig. Sekretärinnen, Aktennotizen und Büro-Small-Talk sind nicht Fabers Welt, der das interne "Tatort"-Ranking um den Kommissar mit den meisten Schrammen mit dreifachem Vorsprung gewinnt. Die Jacke zieht er nie aus, weil er immer auf dem Sprung ist und nirgendwo zu Hause.
In der allertraurigsten Szene hockt Faber neben dem Streifenpolizisten Polland an der Bar, kippt Schnaps auf Bier auf Schnaps. Pollands Kind ist gestorben, seine Ehe darüber zerbrochen. Faber hat Frau und Tochter bei einem Unfall mit Fahrerflucht verloren. Da sitzen zwei, die Abschied genommen haben von allem. Die lachen, wenn ihnen nach Weinen zumute ist, und umgekehrt. Die völlig aneinander vorbeireden und sich im tiefsten Gefühl verstehen. Im Fernsehen ist man ja stets auf der Suche nach Momenten, die bleiben. Dies ist so einer. "Mein Revier" von Regisseur Thomas Jauch und Autor Jürgen Werner ist auch deshalb ein so gelungener "Tatort", weil er vom Beschützen und Verlieren erzählt, vom Hinfallen und Aufstehen. Kühle Farben, kalte Herzen - das ist der Sound dieses Films.
Ein bisschen Lässigkeit und Funkensprühen verbreiten die von Aylin Tezel und Stefan Konarske gespielten Nachwuchskommissare, die eine Affäre haben und nicht so recht wissen, was sie voneinander wollen. Nur dass ihre Bettgeschichte geheim bleiben muss, darin sind sie sich einig. Es sind die menschlichen Schwingungen auf dem Polizeirevier, die dem "Tatort" aus Dortmund seine persönliche Note verleihen. Anders als beim WDR-Pendant aus Köln trinkt man hier kein Tässchen Kaffee, während man den Ermittlungsstand abgleicht. Faber und seine Kollegen sind immer eine Haaresbreite entfernt, sich den Kaffee gegenseitig ins Gesicht zu schütten. Doch sie geben sich Mühe, auf ihre ganz spezielle Weise, das ist das Schöne an diesem Team aus Gefühlslegasthenikern, denen die Zuschauerherzen nicht unbedingt zufliegen. Aber sie sind ideal für einen Film wie vom Totenbett gesungen. Für einen Fall vom Rande der Nacht.
"Tatort: Mein Revier" Sonntag, 20.15 Uhr, ARD