Lange Schlangen bei Cro und geschlossene, ausverkaufte Kartenschalter sorgten für ein wildes Ende des Reeperbahn-Festivals 2012.
Hamburg. Man sollte nie daran denken, was gerade beim Reeperbahn-Festival verpasst wird. Löst man sich von Zeitplänen, dann wartet am frühen Sonnabend, dem dritten und letzten Tag, im absoluten Randgebiet des Festivals das Duo Tangerine aus Groningen im Hof der Ratsherrn-Brauerei im Schanzenviertel. Die sympathischen Zwillinge Arnout und Sander Brinks müssen in einer Nacht gezeugt worden sein, als Bob Dylan und Simon & Garfunkel ... wie auch immer. Die Sonne scheint auf harmonischen Folk inklusive Umschnall-Mundharmonika.
Im Karoviertel wird es später deutlich heftiger. Die Husumer Screamo-Punker Frau Potz trampeln im Knust durch die Saat und im Uebel & Gefährlich erinnern die Avantgarde-Rocker Stabil Elite aus Düsseldorf an 70er-Jahre-Spätprogramm im Dritten. Sehr wirr, aber nichts gegen den einsetzenden Trubel auf den Straßen zwischen Nobis- und Millerntor. Das Reeperbahn-Festival ist für den einzelnen Beobachter nicht mehr beherrschbar und meldet noch am Abend: ausverkauft. Einlass-Stop bei Jupiter Jones in den Fliegenden Bauten und bei 77 Bombay Street in Angie's Nightclub. Lange Schlangen bei Asbjœrn im Indra und nebenan bei Gary Clark Jr. im Gruenspan. Hallogallo Tanzcafé allerorten, auch im Headcrash, wo der dänische Disco-Pop-Beau Vinnie Who mit "Remedy" einen heimlichen Festival-Hit auf das bebende Parkett zaubert.
Und das ist nur der Anfang kurz vor dem Finale. Die Traube für Cro beginnt am Docks und endet gefühlt in Pinneberg (real an Angie's Nightclub) - und das bereits zwei Stunden vor dem Auftritt des Stuttgarter Rap-Chartsstürmers mit der Pandamaske. Auch als das Konzert nach Mitternacht in Gange ist, harren die Fans geduldig und "Easy" der Chance auf Einlass entgegen. Gleichzeitig blockiert ein Demonstrationszug gegen die GEMA den Kiez und die Hamburger Guerilla-Gig-Band Still In Search besetzt traditionell den Bürgersteig. Ein HSV-Fan hockt zufrieden (3:2 gegen Dortmund) in seinem Erbrochenen und bekommt respektvolle Schulterklopfer von seinen Kumpels. Alltag des Irrsinns.
"Es ist unglaublich, wie wild die Leute hier auf Bands sind, die noch völlig unbekannt sind", staunt Rob Drake von den kanadischen Retro-Rockern Zeus aus Toronto. Von Künstlern wie Cro, die noch unbekannt gebucht wurden und in der Zwischenzeit nach oben schossen, ganz zu schweigen.
So ist es, das Reeperbahn-Festival 2012. Ein Ritt, so wild wie noch nie. Anstrengend und manchmal schmerzhaft, wenn die Nase auf "Hier is voll" rufende Türsteher prallt. Aber wenn man zurückdenkt an das Erlebte, dann möchte man das Band sofort zurückspulen und alle Bands noch einmal erleben. Und so viel Verpasstes nachholen.