Der erste Tag auf dem Kiez machte ansonsten mit tollen Konzerten von Mina Tindle, Karin Park und Satan Takes A Holiday Lust auf mehr.
Hamburg. Nein, mit der aktuellen Musikszene kennt sich Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nicht aus, wie er am Mittwoch im Gruenspan beim „Grand Opening“ des Reeperbahn-Festivals vor 600 geladenen Gästen aus der Musikwirtschaft zugibt. Aber das neue Bob-Dylan-Album „Tempest“ hat er. Und sein Lieblingssong „Roll on John“ schlägt den Beatles-Bogen von Liverpool bis zur Reeperbahn. Und noch bis Sonnabend ist „das Reeperbahn-Festival Eingangstor und Aushängeschild der deutschen Musikwirtschaft“, wie Olaf Scholz in seiner Eröffnungsrede sagt, „ein Loblied auf die Klubkultur. In diesem Sinne: Roll on, Reeperbahn.“
Am Donnerstag gerät die Meile ins Rollen und Rocken. Schon am Nachmittag stellen die Labels und Pop-Exportbüros Italiens, Schwedens und Österreichs ihre heißen Eisen wie Moustache Prawn oder Dial M For Murder! auf dem Spielbudenplatz, im Planet Pauli und in der Molotow Bar vor. Branchenexperten diskutieren auf dem „Campus“ über die GEMA und andere Chancen und Hürden der Zeit, Türsteher lesen Anekdoten im Pearls Tabledance-Schuppen und die ersten von 290 Bands stürmen die Klubs – Mina Tindle, Folk-Pop-Chanteuse aus Frankreich, türmt Schichten von erstaunlichen Arrangements im Café Keese auf. Speech Debelle, britische Neo-Soul-Sängerin und -Rapperin, zeigt sich grob wie Straßenbelag im Docks.
Große Ausrufezeichen setzen die Schweden. Die räudigen Rotz'n'Roller Satan Takes A Holiday zerlegen grandios die Gehörgänge im Planet Pauli. Davor überzeugt auch Karin Park. Schwedens junge weibliche Antwort auf David Bowie wird nur von ihren Synthies und einem Metal-Wikinger am Schlagzeug begleitet. Aber das mit so viel Verve, dass die Energie für drei Auftritte im Schmidt-Theater (bei Ray Cokes und seiner täglichen Reeperbahn-Revue), im Planet Pauli und in der Prinzenbar reicht. Toll. Die sympathische Schweizer Band The Bianca Story wird am Ende sogar auf fünf Konzerte kommen. Alles für den Pop, den man auf dem Kiez angesichts des Überangebots von Bands nur in Häppchen genießt wie das Wahlberliner Schweden-Schnittchen Betty Dittrich im Pearls: 60er-Retro-Deutschpop mit charmantem schwedischen Akzent. Sehr apart, wie auch der asiatische Akzent der lässig-schüchternen Disco-Popper Tenderfist aus Malaysia (!) im Moondoo.
Überall soll Musik sein. Bar, Bus, Brauerei, Bank, Barkasse. Auf der Straße und im Theater. Den Donnerstag beschließt man im Schmidts Tivoli mit einer sehr nervösen Lena. Meyer-Landrut-Lena. Im Oktober erscheint das dritte Album der ESC-Siegerin von 2010. Und die Songs von "Stardust", die sie im Tivoli präsentiert, klingen an sich live schon mal deutlich interessanter als die Vorgänger der abgeschlossenen Raab-Ära. Nur das mit dem Singen und der kindlichen Überdrehtheit bei den Ansagen bleibt... speziell. Und anstrengend. So schauen viele im anfangs vollen Saal nach Alternativen. Mehr Reife auch zwischen den Songs würde ihr gut tun.
Aber Zeit, das Gehörte und Erlebte sacken zu lassen, bleibt eh nicht. Am Freitag geht es erst richtig los. Und weiter. Für Kurzentschlossene gibt es am Freitag und am Sonnabend Tagestickets (ab 32 Euro) an der Festivalkasse auf dem Spielbudenplatz. Roll on, Reeperbahn.