Bei der Aufklärung des Skandals um die NDR-Fernsehspielchefin Doris Heinze macht der Sender inzwischen keine glückliche Figur.
Hamburg. Bei Film und Fernsehen ist es wie in anderen Branchen auch: Gute Kontakte zu den richtigen Leuten sind dem Geschäft äußerst förderlich. Eine der ganz Wichtigen der deutschen TV-Szene war bis zu ihrer Suspendierung die Fernsehspielchefin des NDR, Doris Heinze. Enge Beziehungen zu der mächtigen Dame aus dem Norden pflegten die Münchner Produzenten Heike Richter-Karst und Uwe Schott sowie die ebenfalls in der bayerischen Metropole beheimatete Filmagentin Inga Pudenz.
Richter-Karst produzierte für die Münchner AllMedia Pictures vier Filme im Auftrag des NDR, nach Drehbüchern von "Niklas Becker". Hinter diesem Pseudonym verbarg sich der Heinze-Ehemann Claus Strobel. Uwe Schott war, ebenfalls im Auftrag des NDR, für die Oberon Media Service Film Produzent des Streifens "Die Freundin der Tochter". Dessen Drehbuch-Autorin hieß "Marie Funder". Wie am Wochenende bekannt wurde, ist dieser Name ebenfalls ein Pseudonym. Hinter ihm verbirgt sich Inga Pudenz, die auch Agentin der nebenberuflichen Drehbuchschreiberin Heinze ist.
Die schrecklich nette Seilschaft Heinze, Richter-Karst und Pudenz verbindet noch mehr: Den Auftrag für die Verfilmung eines weiteren Drehbuchs aus der Feder von Niklas Becker alias Claus Strobel hatte Heinze vor ihrer Suspendierung bereits Schotts Oberon erteilt. "Niklas Becker" durfte laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) auch das Drehbuch der Folge "Resturlaub" für den "Polizeiruf 110" überarbeiten, die von Richter-Karst produziert wurde. Dafür soll er von der AllMedia ein Honorar von über 15 000 Euro erhalten haben. Seltsam nur: Die eigentliche Autorin von "Resturlaub", Beate Langmaack, bestätigt dem Abendblatt, dass ihr Skript nie überarbeitet wurde.
Ebenfalls nach Informationen der "SZ" verfasste Agentin Pudenz als Marie Funder ein weiteres Drehbuch für den NDR und AllMedia, das nie verfilmt wurde. Vom Sender soll sie dafür dennoch 27 000 und von der Produktionsgesellschaft weitere 24 000 Euro erhalten haben.
Pudenz und AllMedia-Produzentin Richter-Karst sind im Eintrag der jeweils anderen beim Online-Netzwerk Facebook als Freundinnen verzeichnet. Letztere hat zudem mit Oberon-Mann Schott die AllMedia geführt, als diese noch der NDR-Tochter Studio Hamburg gehörte. Seit 2005 ist die Münchner Produktionsgesellschaft Tochter der börsennotierten MME Moviement AG.
Börsennotierte Unternehmen haben in der Regel ein strenges Berichtswesen. Da überrascht es, dass die AllMedia so freigiebig mit Honoraren umging, die für nie realisierte Projekte gezahlt worden sein sollen und an Personen gingen, die unter Pseudonym auftraten. Die MME Moviement prüft die Vorwürfe. Sie hat die AllMedia-Büros geschlossen, die Mitarbeiter beurlaubt.
Auch der NDR macht in der Affäre Heinze keine gute Figur. Autoren und Regisseure vermuten seit Langem, dass die Fernsehspielchefin ihre Macht missbrauchte: "Wir hatten schon fast drei Jahre lang Hinweise auf ,Niklas Becker'", sagt das Vorstandsmitglied des Verbands Deutscher Drehbuchautoren, Pim Richter, in der aktuellen Ausgabe des "Spiegels". "Niemand wollte es sich aber mit so einer mächtigen Institution wie Doris Heinze verscherzen."
Hätte diese "mächtige Institution" beim NDR nicht besser kontrolliert werden müssen? Hartnäckige Gerüchte gab es mehr als genug. Hätte man da nicht hellhörig werden müssen? Auch bei der Aufarbeitung der Affäre agiert der NDR unglücklich. Am Donnerstag sagten Pressesprecher Martin Gartzke und Unterhaltungschef Thomas Schreiber dem Abendblatt, die Affäre sei Anfang der Woche bekannt geworden: Da sei Heinze mit einer Anfrage der "SZ" zu Schreiber gekommen und habe gestanden, dass sich hinter dem Pseudonym Niklas Becker ihr Mann verbirgt.
Diese Darstellung, die der Unterhaltungschef am Sonnabend wiederholte, ist unzutreffend. "Wir haben Frau Heinze gar nicht angefragt", sagt der Recherche-Chef der "SZ", Hans Leyendecker. Ihre Fragen zu den Pseudonymen der NDR-Drehbuchautoren schickten die "SZ"-Redakteure vorvergangene Woche - am 18. August - an die Pressestelle des Senders, ohne zunächst eine zufriedenstellende Antwort zu erhalten.
Aber das passt nicht zum Selbstbild des Senders. Denn der sieht sich in der Affäre Heinze als Chefaufklärer: Nur weil sein Haus und MME Moviement "intensiv in der Aufklärung zusammengearbeitet" hätten, seien bisher so viele Details des Falls bekannt, sagt Schreiber dem Abendblatt. Tatsächlich wäre Heinze ohne die Recherchen der Presse wohl noch immer in Amt und Würden.
Der NDR übt sich im Werfen von Nebelkerzen: Das Abendblatt fragte am Donnerstag NDR-Sprecher Martin Gartzke, ob es zutreffe, dass Heinze - abgesehen von ihrem Mann - auch Drehbücher anderer ihr nahestehender Personen, die unter Pseudonym verfasst wurden, angenommen habe. Dafür, sagte Gartzke, gebe es "keine Belege". Dabei wusste man im NDR spätestens seit vergangenem Montag, dass die Heinze-Vertraute Pudenz sich hinter dem Pseudonym Marie Funder verbirgt, die das Skript zu "Die Freundin der Tochter" verfasste. Ein Missverständnis, sagt Gartzke heute.
So wird wohl auch künftig vor allem die Presse Licht in die Affäre bringen. Die "SZ" berichtet bereits von einer in der TV-Branche unbekannten "Gesundheitsberaterin aus Bayern", die ebenfalls als Autorin von NDR und AllMedia gearbeitet habe. Womöglich ist die Heinze-Seilschaft noch viel größer als bislang bekannt.