Chefredakteur Nikolaus Brender will den Internet-Kanal nutzen, um im Superwahljahr unter dem Motto “open Reichstag“ junge Leute für die Politik zu begeistern.

Berlin. Der Gedanke, vor den Bundestagswahlen Bürger und Politiker zusammenzubringen, ein mediales Forum für den direkten Austausch zu schaffen - er ist fast so alt wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen selbst. Seinen Höhepunkt erlebten Formate dieser Art im ZDF in den 1970er-Jahren. Reinhard Appels unvergessene, meist stundenlange Diskussionsrunden unter dem Titel "Bürger fragen - Politiker antworten" sollten Regierende und Wahlvolk ohne Filter an einen Tisch bringen.

Dieser demokratietheoretisch hehre Anspruch ließ sich in der Realität fast nie einlösen, weil das jeweilige Saalpublikum zuvor handverlesen nach Kriterien des Parteienproporzes ausgewählt wurde. Damals - es gab schließlich nur zwei Sender - sahen trotzdem Millionen gebannt zu.

Heute müssen Fernsehmacher mit der im Grunde bitteren Erkenntnis leben, dass ihre Angebote zumal von Erstwählern kaum noch wahrgenommen werden. "60 Prozent der Erstwähler holen sich ihre Erstinformationen im Netz. Wir können nicht warten, bis diese jungen Leute zu uns kommen", begründet ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender die deshalb nun geborene Kooperation seiner Anstalt mit der zum Google-Imperium gehörenden Internet-Video-Plattform YouTube. Die steht bei Jugendlichen bekanntermaßen hoch im Kurs. Und dort sollen unter dem denglischen Motto "Open Reichstag" nun wieder zarte Bande zu jenen Jungwählern geknüpft werden, die sich lieber online Filmschnipsel von Wahlkampfveranstaltungen zu Gemüte führen, als vor der Mattscheibe das "heute-journal" zu verfolgen. Internetnutzer wie Zuschauer sind gleichermaßen aufgerufen, sich ab 7. Juni auf www.youtube.de/openreichstag mit Fragen und Positionen in den politischen Diskurs einzubringen. Und die dort gebündelt feilgebotenen ZDF-Beiträge zur Bundestagswahl zu kommentieren.

In Umkehrung des alten Appel-Prinzips stellen aber nun Politiker die Frage der Woche an die Bürger. Die Internetgemeinde kann reagieren, indem sie auf dem YouTube-Kanal ihre Video-Antworten hochlädt. Von der Mainzer Hauptredaktion Aktuelles ausgewählte Bürgermeinungen sollen dann auch in Sendungen wie dem "ZDF-Morgenmagazin" auftauchen, um die politische Debatte außerhalb des World Wide Webs fortzusetzen. Heißt: Das ZDF will sich als journalistisch ordnende Instanz zwischen die Kommunikation von Nutzern und Politikern schalten, wie sie im Netz etwa auf den werblich gestalteten Homepages der Parteien stattfindet.

Auch in die ZDF-Sondersendungen vor den Wahlen werden die "Bürgervideos", so der Plan, implementiert und mit Studiogästen diskutiert. Vorbild sind hier die USA, wo auch die Präsidentschaftskandidaten an ähnlichen Sendungen mit CNN und YouTube teilnahmen.

Fazit: Den Zeitgeist trifft das neue ZDF-Aufgebot bestimmt. Auch basisdemokratischer als einst bei Appel mag es nun zugehen. Aber der proklamierte "ungefilterte Kontakt" zwischen Wählern und Politikern bleibt eine mediale Fiktion. Den gibt es weiter nur in den Bürgersprechstunden der Volksvertreter - und zwar ganz exklusiv.