Von “Bauer sucht Frau“ bis zdf.kultur: Das Fernsehjahr erlebte gute wie schlechte Zeiten. Manches ging zu Ende, manches wollen wir wieder sehen.

Hamburg. Der 7. Mai 2011 war ein schöner Tag. Sonnenschein, Gute-Laune-Wetter. So hat er die Stimmung vieler Fans eleganter Television gleich dreifach verbessert: Kurz nachdem um 6.30 Uhr mit zdf.kultur der gediegenste Kanal seit Arte auf Sendung ging, wurde das Ende eines nicht ganz so gediegenen verkündet: 9Live. Nur mitgekriegt hat das kaum wer; so ist es nun mal, beim Fernsehen für Leute, die nie fernsehen: Die Masse schaltet trotz täglich 228 Minuten vor der Glotze gar nicht erst ein. Der Rest genießt das Leben. Grad bei Sonnenschein.

Das ist ein Jammer. Denn was zdf_neo und zdf.kultur, Arte oder 3sat und (wenigstens nachts) sogar das Erste/Zweite zeigen, war auch dieses Jahr bisweilen aller Ehren wert. Zu blöd, dass es oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief. Und so ist auch dieses Resümee deprimiert von dem, was Menschen millionenfach vor den Flatscreen lockt, während das Publikum gehaltvoller Formate gern in mittlere Mehrzweckhallen passt.

Es ist das Fazit eines Jahres, in dem der Durchschnitt den nächsten Etappensieg gegen das Besondere feiern durfte. In dem Dieter Bohlens voyeuristisches „Supertalent“ von Quotenrekord zu Quotenrekord hetzte, während Dominik Graf, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler jeden jungen Zuschauer ihres schöpferischen Filmemacherprojekts „Dreileben“ per Handschlag begrüßen konnten. In dem die ARD den informationellen Anspruch jenseits der Talkshow endgültig fahren ließ und Günther Jauch auf Anne Wills Sendeplatz zeigte, wie wenig seinem neuen Arbeitgeber zuweilen an journalistischer Seriosität gelegen ist.

Ein Jahr, in dem das ZDF mit „Wilde Wellen“, „Tod in Istanbul“ oder „Familiengeheimnisse“ so miese Filme zu Höhepunkten erklärte, dass Historienhumbug wie die „Hindenburg“ (RTL) oder pfützenseichte Komödien wie „Bollywood lässt Alpen glühen“ (Sat1) gehaltvoller waren. In dem eine Prinzenhochzeit den Tag von vier Sendern verstopfte und für Fernsehspiele die Nacht blieb. In dem fade Remakes von „Dalli Dalli“, „Wochenshow“ bis „ V – Die Besucher“ liefen und auch „Die Alm“, DSDS, Bauersfrausuchen, so was wieder dabei waren. In dem wir uns von Hellmut Lange, Witta Pohl, Wolfgang Spier, Walter Giller, Heinz Reincke verabschiedet haben, ohne dass leichter, kluger Ersatz gefunden wäre.

Es ist also ein Jahr wie jedes andere. Aber auch eins, in dem das Politische so konstant zum Programmplaner wurde, dass ihm ein „Musikantenstadl“ zum Opfer fiel. Killerkommandos und Katastrophen, Rücktritte und Revolutionen hatten aber auch sonst etwas Gutes: Knut verkam endlich zur Randnotiz. Denn mal ehrlich: der Tod eines Eisbären taugt nüchtern betrachtet bestenfalls zur Reportage übers inhumane System Zoo. Die aber liefe selbst öffentlich-rechtlich Richtung Geisterstunde, auch wenn die neue Reihe „ZDFzoom“ mittwochs zu dieser Zeit suggeriert, dem ZDF, ach: dem Leitmedium insgesamt sei noch an Ernst abseits des Krimis gelegen. Auch wenn sich mit „Die Vergessenen“ über DDR-Flüchtlinge in Bulgarien ein Dokumentarfilm ohne prügelnde Hartzer an die RTL-Abend verirrt hat.

Zu guter Sendezeit sieht Sachfernsehen ansonsten so aus: Der steuerflüchtige Millionär Becker wirft in „Boris macht Schule“ einer hilflosen Direktorin im Berliner Brennpunkt vor, ihre Lehranstalt zu vernachlässigen. BB aber schafft mit etwas Farbe, Steinzeitpädagogik und Goldeselgeld in zwölf Tagen, dass Gewalttäter nett werden, Außenseiter integriert und alle Asis Studienplätze an Eliteunis kriegen. Das werden selbst Zyniker rot.

Doch zwischen privatem Zynismus, Pilcher-Schmalz und viel viel Fußball bietet unsere Fernsehrealität auch gute Nachrichten. Die beste: Oli Pocher ist sogar bei Sat 1 gescheitert, hoffentlich auf ewig. Auf ewig wünscht man sich auch die „Tatort“-Teams Kunzendorf/Król und Milberg/Kekilli oder Matthias Brandt und Maria Simon als Ermittler im „Polizeiruf“, den die FSK zum Schutz der Jugend einmal in die Nacht verbannte. Mehr wünscht man sich von Regisseuren wie Markus Imboden („Mörderisches Wespennest“) oder Stefan Krohmer („Die fremde Familie“), von vorurteilsfreiem Wagemut wie „66/67“ (Thema: Hooligans), „Kehrtwende“ (häusliche Gewalt) oder „Liebeslied“ (Parkinson), von ARD-Serien wie „Sherlock“, die Detektiv Holmes völlig neu erzählt, oder ZDF-Epen wie „Borgia“, das auch mit sperrigem Thema Topquoten erzielte.

Ob wir uns auch mehr Schmunzelkrimis im ARD-Vorabend wünschen? Mehr Harald Schmidt bei Sat.1, Christian Rach bei RTL, Stefan Raab bei Pro7? Noch 1000 Folgen „Rote Rosen“ oder doch die 200. von „Wetten, dass…?“ mit Gottschalk? Nur die wenigsten wollen schließlich Fernsehen, das wehtut, Not tut. Bei zdf.kultur liegt ihre Zahl oft im fünfstelligen Bereich. Und nicht nur, wenn die Sonne scheint. Kein gutes Omen für 2012.