“Grungetyrann“ und “Jeansprinz“: Im Thalia-Theater erhielt Schauspieler Mirco Kreibich den Boy-Gobert-Preis - und eine Hommage seiner Kollegen.
Hamburg. Mit Ehrungen für Künstler ist das so eine Sache. Regisseurin Jette Steckel dachte als Laudatorin laut (und sehr herzlich) darüber nach, ob sich Mirco Kreibich denn wohl freue über den Boy-Gobert-Preis, der ihm gestern im Thalia-Theater verliehen wurde. Sicher, der Schauspieler fühle sich gewiss geehrt. Aber eine Auszeichnung markiere stets auch einen Abschluss, in diesem Fall den der Anfangsjahre einer Karriere. Doch oben zu stehen auf einem statischen Sockel, das reiche nicht für einen, der in seinem Spiel für diesen einen Moment Sinn kämpfe und flehe. Der auf der Bühne immer schon auf der Suche gewesen sei, ob als eiskunstlaufendes Kind, als jugendlicher Balletttänzer oder als heranwachsender Akteur auf der Ernst-Busch-Schule. Der sich selbst als Tier begreift und erkundet, im Wald, in der Kunst, in der Gesellschaft. Und der sich ein ums andere Mal fragt: "Bin ich gefangen oder geborgen worden?"
Steckel, die Kreibich erstmals in der Box des Deutschen Theaters Berlin sah und ihn dann für ihren "Caligula" besetzte, will den Preis als Zeichen verstanden wissen, dass "sich seine Suche lohnt, weil wir etwas darin finden". Dass sich dieses Entdecken, Berühren, Verwirren und Erstaunen auch auf einer Preisverleihung ereignen kann, die ja prinzipiell unter Beweihräucherungsverdacht steht, ist der große Pluspunkt der diesjährigen Boy-Gobert-Matinee.
In acht Thalia-Inszenierungen ist Kreibich derzeit zu sehen. Von Merlin bis zum Don Carlos. Und zu seinem sehr physischen, mitreißenden, fragenden Spiel, in dem er den Schalk oft am Abgrund tanzen lässt, passte das musikalische Entree von Philipp Hagen auf der Tuba bestens: Hüpfende Melodien kreuzte dieser mit Dissonanzen, Andeutungen, Geheimnissen.
Die Reden gerieten ebenfalls anregend, amüsant, gefühlvoll. Kultursenatorin Barbara Kisseler pries Kreibich als "grandiosen Bühnenakrobaten", der - wie viele seiner Kollegen - "unsere Widersprüche durchlebt". Regisseur Christoph Mehler, der mit Kreibich am Deutschen Theater arbeitete, erinnerte sich an verausgabende Proben zu Brechts "Baal": "Wir wollten's wirklich wissen, wir wollten an die Ränder."
Dass diese Risikofreude honoriert wird, ist nicht zuletzt das Verdienst der Körber-Stiftung, die den Preis zum 31. Mal verlieh. Die Jury fand so schöne Worte wie "Grungetyrann" und "Jeansprinz", um Kreibich in seinen Rollen zu charakterisieren. Als Vorsitzender der Expertenrunde verabschiedete sich Martin Willich, der das Amt 22 Jahre innehatte. Klaus Wehmeier von der Körber-Stiftung dankte für dessen Engagement und stellte unter viel Applaus Schauspieler Burghart Klaußner ("Das weiße Band") als Nachfolger vor.
Doch in den knapp zwei Stunden wurde nicht nur über Schauspielkunst parliert, sie war auch zu erleben. Und wie! Die Ensemblemitglieder André Szymanski und Bruno Cathomas lieferten im Tutu als weiße Odette und schwarze Odile eine juchzende Parodie auf das klassische Schwanensee-Ballett - flankiert von Jörg Pohl (humpelnd) und Thomas Niehaus als musizierende Prolls. Kreibich wiederum porträtierte sich selbst in Tanz, Wort und Musik - nicht jedoch, ohne zuvor den Preisträgerblumenstrauß beherzt ins Publikum zu werfen und sich so von allem Ballast des Lobes zu befreien.
In der Ecke entledigt sich Kreibich dann Sakko, Schlips, Schuhen und Shirt. Aus dem weißen Unterhemd ragen die durchtrainierten Arme des Bühnenathleten. Minutenlang läuft er im Kreis, der Takt der Füße beschleunigt sich. Kreibich reißt das Hemd vom Körper, die Bauchdecke ist angespannt. Als zeige ein Dressurpferd seine Stattlichkeit. Dann ein Straucheln, ein Sturz. Langsam hievt sich der Protagonist zurück in die Spur, um sogleich in die Mitte des Kreises aus- und einzubrechen. Der Suchende, er balanciert in Zeitlupe, lässt seinen Körper absichtlich scheitern, fließt von akkuraten Pirouetten in taumelndes Kreisen, schlägt sich, scheint sich selbst zu häuten. Angreifend ausweichen. Schließlich bricht er am Boden zusammen, kauert sich wie ein nervöses Tier auf die Theaterbretter und spricht als Monolog Heiner Müllers "Herakles 2 oder Die Hydra". Mit der wechselvollen Erkenntnis: "Lange schon war der Wald, den zu durchschreiten er geglaubt hatte, das Tier gewesen, das ihn trug im Tempo seiner Schritte." Kreibichs Schritte jedenfalls erzeugen eine Spannung, die mitunter schwer auszuhalten ist. Und der man sich immer wieder aussetzen möchte.