Zwei Monate Haft und ein Maulkorb haben Ai Weiwei nicht zum Schweigen bringen können. Jetzt interviewte sogar ein Parteiblatt den Künstler.

Peking. Sieben Wochen nach seiner Freilassung meldet sich der chinesische Regimekritiker Ai Weiwei zurück. In gewohnter Manier setzte sich der Künstler im Kurzmitteilungsdienst Twitter für zwei Dissidenten ein, denen mehrjährige Haftstrafen drohen. Auch verurteilte der 54-Jährige die Misshandlung von vier Mitarbeitern, die mit ihm in Haft genommen worden waren. Mit seiner neuen Twitter-Offensive demonstriert der Künstler, dass er sich nicht auf Dauer den Mund verbieten lassen will.

Ob die Staatsorgane ein begrenztes Maß an Aktivismus zulassen, muss sich noch zeigen. Zumindest lockerten sie erstmals kurz den Maulkorb für den Künstler. Ausgerechnet der „Global Times“, einer englischsprachigen Zeitung der Kommunistischen Partei, wurde erlaubt, ein Interview mit ihm zu führen. Gepaart mit kritischen Stimmen, die Ai Weiwei der Steuerhinterziehung für schuldig halten oder seine Kunst in Zweifel ziehen, räumte das nationalistische Blatt dem Künstler überraschend viel Raum ein, seine Sicht der Dinge darzustellen.

Welches Motiv dahinter steckt, war unklar. Vielleicht wollte das Blatt, das sich allein an ausländische Leser richtet, eine ungeahnte Liberalität demonstrieren. Sonst hatte die Zeitung aber heftig über ihn hergezogen. Auch stellt die „Global Times“ seine ausländischen Unterstützer gerne als China-Feinde dar, die das Land nur ins Chaos stürzen wollten. „Ais Fall wurde von Leuten im Westen benutzt“, wurde auch diesmal der Professor Wu Danhong von der Universität für Politik, Wissenschaft und Recht zitiert. Einige Länder wollten eben kein starkes China.

Immerhin konnte Ai Weiwei aber in dem Interview die amtliche Darstellung bestreiten, dass er Steuerhinterziehung zugegeben haben soll. Er machte unmissverständlich deutlich, weiter politisch aktiv bleiben zu wollen. Wer nicht auf seinen Rechten bestehe, gebe sie auf, mahnte der Künstler seine Landsleute. Er wolle China nicht verlassen und könne auch nicht aufhören, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen. Fast dankbar hob das Blatt hervor, dass sich Ai Weiwei gegen eine radikale Revolution und für schrittweise Reformen aussprach, vermied es aber, eine chinesische Version des Interviews zu veröffentlichen.

Ai Weiwei wurde immerhin als „angesehener Künstler“ beschrieben, „politisch angriffslustig“ und „skurril“. Der Artikel gibt ihm Gesicht und porträtiert ihn bei aller Kritik durchaus in einem positiven Licht, was in der Regel ohne Signal von oben nicht möglich gewesen wäre. Auf jeden Fall nimmt Ai Weiwei seit Anfang der Woche auch wieder politische Freiräume in Anspruch, indem er über Twitter erneut seine Stimme für die Verfolgten in China erhebt.

„Wenn du nicht verschwinden oder fälschlicherweise beschuldigt werden willst, äußere deine Sorge über Wang Lihong“, appellierte Ai Weiwei am Mittwoch an seine 97 000 „Follower“. Der Aktivistin wird am Freitag in Peking wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ der Prozess gemacht. Ähnlich trommelt Ai Weiwei in einer anderen Botschaft Unterstützung für den Dissidenten Ran Yunfei zusammen. Ihm wird Untergrabung der Staatsgewalt vorgeworfen. Zwar ist Twitter in China gesperrt, doch umgehen viele Nutzer die Zensur im Netz durch Proxyserver oder Tunneldienste.

In einer weiteren Botschaft zeigte sich Ai Weiwei erschüttert, dass einer seiner ebenfalls festgenommenen Studio-Mitarbeiter in Haft einen Herzinfarkt erlitten hatte und fast gestorben wäre. „Weil sie mit mir zu tun hatten, wurden diese vier Leute – Liu Zhenggang, Hu Mingfen, Wen Tao, Zhang Jinsong – illegal festgenommen. Obwohl sie unschuldig sind, durchlitten sie große psychologische und körperliche Folter.“