Westerwelle setzt sich für die Freilassung des Künstlers Ai Weiwei ein. Nobelpreisträger Liu Xiaobo muss wohl noch bis 2020 im Gefängnis bleiben.

Hamburg. China versucht derzeit, seine bedeutendsten Künstler mundtot zu machen. Auch wer bisher glaubte, aufgrund öffentlicher und internationaler Aufmerksamkeit einen gewissen Schutz zu genießen, wird jetzt immer ungenierter ins Visier genommen. Man hindert sie am Kontakt mit Freunden im In- und Ausland, sperrt sie ein und hofft darauf, dass die Welt wegschaut und vergisst.

Jetzt wurde in Peking der weltbekannte Künstler und Regierungskritiker Ai Weiwei festgenommen; er, dessen Haustür permanent im Fokus von zwei Überwachungskameras liegt, wurde durch die Festnahme an einer Reise nach Hongkong und weiter nach Taiwan gehindert. Sein Atelier in Shanghai wurde kürzlich abgerissen; Ai Weiwei hat, der Respressalien müde, kürzlich verkündet, er wolle sich in Berlin ein zweites Standbein aufbauen, in Peking könne er kaum noch künstlerisch arbeiten. Dort wurden in seinem Studio jetzt 30 Computer beschlagnahmt. Außenminister Guido Westerwelle, gerade aus China zurückgekehrt, setzte sich umgehend für die sofortige Freilassung Ai Weiweis ein.

Der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, Mitverfasser der Bürgerrecht-Manifests „Charta 08“, soll aufgrund eines Willkürurteils noch bis 2020 im Gefängnis sitzen. 200 Aktivisten, die analog zu Tunesien zu „Jasmin-Kundgebungen“ aufgerufen haben, stehen unter einer Art Hausarrest. Sowohl Liu Xiaobos Frau als auch die von Ai Weiwei sind telefonisch nicht mehr erreichbar; bei Ai Weiwei wurde im ganzen Stadtviertel während der Hausdurchsuchung der Strom abgestellt, damit ja niemand per Internet Nachrichten darüber verbreiten kann. Und auch der Schriftsteller Liao Yiwu wird schikaniert; er darf, wie am Wochenende bekannt wurde – nun schon zum 16. Mal – nicht frei ausreisen.

Für ihn setzt sich Wolf Biermann ein. Der Hamburger Schirftsteller und Liedermacher hat die Ohnmacht und Macht in der Verfolgung bis zu seiner Ausbürgerung aus der DDR im Jahr 1976 am eigenen Leib erfahren. Er sagte dem Abendblatt: „Seit unseren Konzerten in Hamburg und Berlin, im vorigen Jahr, weiß ich, dass die Funktionäre des modernen Turbo – KZ – Kapitalismus in China diesen Dichter schikanieren können, wieder einsperren oder töten. Mehr aber nicht. Seine Wahrheiten sind längst in der Welt.“

Im September 2010 konnte Liao Yiwu, 53, der zu den bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Chinas zählt, zum ersten Mal sein Heimatland verlassen und Deutschland besuchen. In Hamburg und Berlin hatte er, eingeladen vom Harbour Front Literaturfestival, dem Internationalen Literaturfestival Berlin und dem Hamburger Abendblatt, seine ersten Lesungen im Ausland und auch Konzerte in Hamburg und Berlin mit Wolf Biermann gegeben. Damals hatten ihn, der wegen eines Gedichts über das Tiananmen-Massaker am 4. Juni 1989 schon einmal vier Jahre im Gefängnis saß, deutliche Warnungen der chinesischen Staatssicherheit begleitet – die letzte kam noch schnell per Handy, als er bereits im Flieger saß.

Liaos „Verbrechen“: Er schreibt auf, was er mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Ohren gehört hat. Es sind keine Nachrichten aus einer heilen Konsum- und Verdrängungs-Welt, sondern aus den dunklen Ecken der kommunistischen Herrschaft. Berichte über Menschen, in deren Lebensgeschichten der Heilsanspruch der KP Chinas und die gesellschaftliche Wirklichkeit schwer gegeneinander schrammen.

Liaos Besuch in Deutschland gab Anlass zur die Hoffnung auf einen liberaleren Umgang mit kritischen Denkern in China. Sie währte nur kurz. Nach den Repressalien gegen Dissidenten im Umfeld der Nobelpreisverleihung im Dezember 2010, auch mit ängstlichem Blick auf die arabischen Unruhen, gibt es derzeit eine geradezu panische Verfolgung jeder oppositionellen Regung.

Jetzt erreichen Freunde beunruhigende Nachrichten aus Liaos Heimatstadt Chengdu: Erneut wurde der Schriftsteller daran gehindert, ins Ausland zu reisen. Eine lange vorbereitete Lese- und Vortragstour durch die USA – Chicago, Boston, New York und Gespräche mit seinem australischen Verlag – hat die Staatssicherheit am Dienstag vergangener Woche kurzerhand verboten. Und es sich dabei auch gleich verdorben mit den Eliteuniversitäten Yale und Harvard sowie mit dem "Seventh PEN World Voices Festival“. Liao schreibt: „Seit ich im letzten Jahr aus Deutschland wieder zurück in China bin, bin ich unter ständiger Überwachung gewesen, immer wieder musste ich das „Teetrinken“ erdulden (so heißen verniedlichend die Einschüchterungsgespräche bei der Staatssicherheit, d. Red.), berichtet Liao, „in meiner Schriftstellerei bin ich immer wieder unterbrochen worden.“ Viele von Liaos Manuskripten werden ihm bei ständigen Hausdurchsuchungen abgenommen.

Mag sein, dass die derzeitige Nervosität der chinesischen "Gedankenpolizei" arabische Wurzeln hat, mag aber auch sein, dass sie daher rührt, dass derzeit in Deutschland und den USA neue Veröffentlichungen von Liao Yiwus Werken anstehen. In Deutschland bringt der S. Fischer Verlag am 8. Juni sein Buch „Für ein Lied und hundert Lieder: Ein Zeugenbericht aus chinesischen Gefängnissen“ heraus, eine bittere Chronik, die den letzten Rest Glauben an die Menschlichkeit erschüttert. Fischer wird noch in diesem Jahr auch die erste deutsche Veröffentlichung von Texten des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo drucken. In Amerika soll bei Harper Collins im September Liaos Buch „God is Red“ herauskommen. Die Welt schaut eben nicht weg, sie liest, und sie vergisst nicht.

Liaos Freunde sind besorgt angesichts der neuen Repressalien. Ulrich Schreiber vom Internationalen Literaturfestival Berlin sagt: „Wir haben in Liao Yiwu einen sanften Radikalen im September letzten Jahres kennen gelernt: sanft im Umgang und Ton auch mit Andersdenkenden, radikal im Denken und in seiner Haltung. Das Beste und Klügste, was die Herrschenden dort im fernen, jedoch immer näher kommenden China tun können, ist, einen runden Tisch einzurichten, an dem auch Männer wie Liao Yiwu und Liu Xiaobo mit ihnen sitzen, zusammen mit anderen kritischen Geistern, und Modelle einer Demokratisierung mit ihnen diskutieren, und zwar bevor das nächste Blutvergießen stattfindet. Sie sollten erkennen und annehmen, dass es Patrioten im allerbesten Sinne des Wortes sind, die eine bessere Zukunft ihres Landes wollen.“