Selbst Experten haben derzeit kaum verlässliche Informationen über die Situation der Museen und antiken Ausgrabungsstätten.
Hamburg. Noch Anfang dieses Jahres warben deutsche Reiseveranstalter für Kulturreisen durch Libyen. "Willkommen in einem Land mit einzigartigen Baudenkmälern und Ruinen aus römischer und griechischer Antike", heißt es zum Beispiel in einem Prospekt von "Berge & Meer", in dem eine neu konzipierte achttägige Reise durch den Nordwesten Libyens angeboten wurde. Die Route der vom Veranstalter erst Anfang Februar endgültig abgesagten Rundreise sollte über Tripolis und die 70 Kilometer westlich gelegene, von Phöniziern gegründete Handelsstadt Sabrata weiter in Richtung Süden zur Oase Ghadames im Länderdreieck Libyen, Tunesien und Algerien führen. Als abschließender Höhepunkt stand ein Besuch im etwa 100 Kilometer östlich von Tripolis gelegenen Leptis Magna auf dem Programm, eine der großartigsten und am besten erhaltenen antiken Ausgrabungsstätten im gesamten Mittelmeerraum. Alle drei Orte gehören zum Unesco-Weltkulturerbe und sind wie zahlreiche weitere Zeugnisse einer Jahrtausende zurückreichenden Geschichte in dem nordafrikanischen Land zurzeit aufs Äußerste gefährdet.
Im Moment gibt es keine verlässlichen Informationen über die Situation der Museen und antiken Ausgrabungsstätten. Doch schon aufgrund ihrer geografischen Lage stellt sich die Gefährdungslage recht unterschiedlich dar. Ähnlich wie das Ägyptische Museum in Kairo hat auch das libysche Nationalmuseum für Archäologie eine zentrale und exponierte Lage. Es grenzt direkt an den Märtyrer-Platz, auf dem es mehrfach regimekritische Demonstrationen gegeben hat und der sich durchaus noch zum zentralen Ort der politischen Auseinandersetzung entwickeln könnte. Das im "Roten Schloss" (Saray al-Hamra) untergebrachte Nationalmuseum beherbergt auf 13 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche Schätze der Weltkultur, wie zum Beispiel die römische Kopie einer griechischen Marmorstandfigur der badenden Venus, die Mussolini aus Leptis Magna geraubt und später Hermann Göring geschenkt hatte. Sie war erst 1999 nach Libyen zurückgekehrt. Da im Museum aber auch Propagandastücke wie ein VW Käfer präsentiert werden, in dem Gaddafi vor 42 Jahren aufrührerische Schriften in die Stadt geschmuggelt haben soll, sieht der Libyen-Experte Joachim Willeitner Gefahr für die benachbarten Kunstschätze. In einem Beitrag für die "FAZ" schrieb er kürzlich: "Sollte der Volkszorn sich an dieser 'Reliquie' austoben, würden die sie umgebenden Antiken mit leiden."
Doch zumindest im Moment scheint das Nationalmuseum nicht akut gefährdet zu sein. Nach Einschätzung des Archäologen und Libyen-Kenners Detlev Kreikenbom gilt das wahrscheinlich auch für Leptis Magna.
"Diese Ausgrabungsstätte liegt etwa 100 Kilometer östlich von Tripolis und damit noch auf einem Gebiet, das zurzeit von Regierungstruppen kontrolliert wird. Kritisch würde es erst, wenn der Ort im Zuge weiterer Auseinandersetzungen zwischen die Fronten geriete", meint Kreikenbom, der Feldforschungen in Leptis Magna durchgeführt hat und heute an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz lehrt. Größere Sorgen macht sich Kreikenbom um Sabrata, das sich zeitweise in der Hand der Rebellen befunden hat. "Dort wurde nachweislich gekämpft. Was das für Auswirkungen auf die antiken Stätten gehabt haben mag, lässt sich im Moment überhaupt noch nicht ermessen", sagte Kreikenbom dem Abendblatt. Völlig unklar ist auch, welches Ausmaß die Schäden an den antiken Städten der östlich von Bengasi gelegenen Großlandschaft Kyrenaika erreicht haben, die sich auf dem Gebiet der Aufständischen befinden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es hier Zerstörungen und Plünderungen gegeben hat, die möglicherweise noch andauern.
Einige Archäologen fürchten inzwischen, dass auf dem internationalen Antikenmarkt schon bald vermehrt Objekte auftauchen werden, die in Libyen geraubt worden sind.