Kultursenator Reinhard Stuth will die Verantwortung für die Elbphilharmonie keinesfalls abgeben und lieber Altes stärken als Neues wagen.

Hamburg. Die Aussicht ist atemberaubend, und außerdem hat der Ort Symbolkraft: Hamburgs neuer Kultursenator Reinhard Stuth , 53, gibt sein erstes Abendblatt-Interview nicht im Senatorenbüro an den Hohen Bleichen, sondern direkt auf seiner im wörtlichen wie im übertragenen Sinn größten Baustelle. Im Rohbau der Elbphilharmonie, in luftiger Höhe gleich neben dem Großen Saal, zeigt sich die Hamburger Stadtsilhouette unter einem dramatischen Wolkengebirge. Ein paar Hohlblocksteine werden herangeschleppt und Holzpaletten drübergelegt, dann nehmen der Senator und die Abendblatt-Redakteure in diesem ziemlich zugigen Büro Platz, um mit weitem Blick auf Hamburg über Perspektiven und Sachzwänge, Probleme und Projekte zu sprechen. Eigentlich, verrät Stuth nebenbei, hätte er jetzt in Kampala sein wollen, wo er als Berater für die ugandische Regierung tätig sein wollte. Doch manchmal ändern sich die Dinge beinahe über Nacht. Noch vor zehn Tagen hätte er sich nicht vorstellen können, in der Elbphilharmonie mit dem Abendblatt über Hamburgs Kulturpolitik zu sprechen. Jetzt muss er Fragen beantworten und sich daran gewöhnen, beim Wort genommen zu werden.

Abendblatt:

Das städtische Problemmanagement des Projekts Elbphilharmonie lief schon alles andere als rund, als Sie nur Staatsrat waren. Jetzt sind Sie als Senator wieder da. Die Fronten sind total verhärtet. Wie wollen Sie diese Misere wieder auf einen ordentlichen Weg bringen?

Reinhard Stuth:

Wir hatten eine Phase, wo es wirklich viele Schwierigkeiten gab. Seit Nachtrag 4 im November 2008 läuft es erheblich besser. Das Management der Elbphilharmonie Bau KG funktioniert gut. Mit Hochtief gibt es weiterhin Auseinandersetzungen, doch wir sind jetzt sehr viel besser sortiert.

Das haben wir schon viel zu oft gehört.

Ich sage ja nicht, dass alles in Ordnung ist, sondern nur, dass wir uns jetzt professionell organisiert haben.

Wird es je wieder zielführende, normale Gespräche mit dem Baukonzern Hochtief geben können? Das gegenseitige Verklagen hat bislang nicht viel gebracht.

Wir haben bei dem Bauplan, der jetzt gilt, vier Monate Verzögerung und sind der Meinung, dass dieses weitgehend in die Verantwortung von Hochtief fällt. Das werden wir geltend machen. Die Strafzahlung könnte sich auf bis 40 Millionen Euro belaufen.

Die Kulturbehörde hatte von Anfang an riesige Probleme mit ihrer Verantwortung für die Elbphilharmonie. Soll die weiter in Ihrem Haus bleiben - oder bleibt sie dort, weil sonst niemand dieses heiße Eisen übernehmen mag?

Die Entscheidung, die Verantwortung in der Kulturbehörde zu bündeln, war richtig. Beim Großen Saal kommen wir in die heiße Phase. Würden wir jetzt die bauliche Verantwortung von der späteren Bespielung trennen, würden wir damit neue Schnittstellen eröffnen. Dass in der Kulturbehörde nicht die eigentlichen Bauexperten sind, ist klar. Dafür haben wir ja entsprechende Gremien wie den Bauausschuss geschaffen oder gestärkt, wie etwa den Aufsichtsrat, die sich damit auskennen. Die beraten uns, denen vertrauen wir.

Also keine Themen-Übergabe an die Stadtentwicklungsbehörde?

Das haben wir nicht vor. Je näher der Bau an der Vollendung ist, desto weniger Sinn macht es, Zuständigkeiten zu ändern.

Mitgefangen, mitgehangen, heißt es. Davor haben Sie keine Angst?

Nein, ich muss Verantwortung übernehmen, dazu bin ich bereit.

Das ist nur eines von vielen sehr komplexen Themen. Was ist Ihr drängendstes Problem?

Es sind Themen, keine Probleme. Neben der Elbphilharmonie beschäftigt mich vor allem natürlich die Museumslandschaft und generell die Haushaltssituation.

Sie haben die Kulturbehörde 2009 nicht freiwillig verlassen. Belastet dieser Rauswurf als Staatsrat Sie jetzt bei der Rückkehr als Senator?

Ich glaube, überhaupt nicht, denn ich habe mich für dieses Amt ja nicht beworben. Ich bin berufen worden. Jetzt gibt es einen Neuanfang.

Die nächste Wahl ist nur 18 Monate entfernt. Was wollen Sie in dieser knappen Zeit erreichen, wo wollen Sie Schwerpunkte setzen?

Ich werde sehr auf Kontinuität setzen und stütze mich gern auf die Dinge, die Frau von Welck vorbereitet hat. Meinen persönlichen Schwerpunkt setze ich auf den Denkmalschutz, Fragen des Urheberrechts in der digitalen Welt und das Thema Integration.

Das sind Nebenschauplätze für einen Kultursenator.

Es sind meine persönlichen Schwerpunkte.

Ein absoluter Schwerpunkt der nächsten Zeit ist doch die Haushaltsdebatte. Es gibt Spekulationen, dass wieder mit dem Rasenmäher der Finanzbehörde durch die Behördenetats gefahren wird. Welche guten Argumente wären für die Kulturbehörde denkbar, um von diesem pauschalen Sparzwang verschont zu bleiben?

Wir haben dieses gute Argument, es ist nicht neu, aber richtig: Die Eigenart des Kulturhaushalts lässt es nicht zu, eine Quote einzusparen, weil es dort völlig andere Konsequenzen hätte als in anderen Bereichen. Für mich ist Kultur auch die starke Kraft für Innovationen in der Gesellschaft, in der Stadt, für Reformen. Das konnten wir im Gängeviertel sehen.

Mit Ihnen wird keine Einrichtung geschlossen werden?

Das werde ich nie sagen, weil es kein guter Stil wäre.

Haben Sie Bedingungen gestellt, als Sie das Amt angetreten haben?

Nein. Einem Bürgermeister, der mich fragt, stelle ich keine Bedingungen. Ich weiß, worauf ich mich einlasse und bin argumentations- und kampfbereit.

Sie haben bereits eingeräumt, dass es Sparnotwendigkeiten gibt, denen Sie sich nicht entziehen könnten.

Haushaltskonsolidierung ist eine gesamtstädtische Aufgabe, der ich mich nicht im Vorfeld entziehen kann. Die Sicherung der kulturellen Infrastruktur ist aber auch eine.

Ihre Vorgängerin hat sich bemüht, die Museumskrise zu überwinden und ist gescheitert. Wie wollen Sie verfahren?

Frau von Welck ist nicht gescheitert. Wir sind ja noch mitten in einem Prozess. Als Erstes werde ich alle städtischen Museen besuchen. Heute habe ich mit dem Völkerkundemuseum schon begonnen, in diesen Wochen folgen noch weitere. Obwohl ich schon als Staatsrat mit den Museen zu tun hatte und auch privat oft in Museen gehe, will ich mir jetzt ein eigenes Bild machen. Sicher bestreitet niemand, dass man auch in der Hamburger Museumslandschaft noch manche Dinge besser machen kann. Dabei steht für mich nicht im Vordergrund, nur sparen zu wollen, mir geht es vor allem darum, dass die Hamburger Museen an Ausstrahlung und Anziehungskraft gewinnen. Deshalb sollten sie auch stärker in die Außendarstellung einbezogen werden, etwa durch Hamburg Marketing und Hamburg Tourismus.

Die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Museen sind hoch, andererseits sind die sieben großen Museen mit den jetzt zur Verfügung stehenden Mitteln nicht dauerhaft zu unterhalten. Sind unter diesen Rahmenbedingungen die Schließung einiger Außenstellen und sogar von Hauptstandorten nicht unvermeidlich?

Über lange Sicht ist eine Museumslandschaft nie statisch, sondern verändert sich. Da kommen neue Dinge dazu, manchmal durch großzügige Stiftungen, anderes wird zusammengelegt. Wir haben zum Beispiel maritime Sammlungen gleich in mehreren Museen. Meine Fantasie lässt es schon zu, dass man hier manches neu ordnet.

Zurzeit können sich viele Museen schon aus finanziellen Gründen keine attraktiven Ausstellungen leisten. Ist das für Sie befriedigend?

Nein, kein Museum wird auf Dauer den Platz einnehmen, der ihm zusteht, wenn es keine größeren Ausstellungen anbieten kann. Mit vergleichsweise wenig Mitteln könnte man einen enormen Sprung nach vorne machen.

Die Expertenkommission, die Ihre Vorgängerin eingesetzt hat, ist der Meinung, dass Sonderausstellungen zwar sein können, aber nicht zum eigentlichen Geschäft der Museen gehören.

Bei allem Respekt vor dem Sachverstand der Mitglieder dieser Kommission bin ich der Meinung, dass große Ausstellungen notwendig sind. Wenn viele Menschen eine Ausstellung besuchen, wie das zum Beispiel in der Kunsthalle mit Caspar David Friedrich war, finde ich das schon sehr wünschenswert. In meinen Augen ist das auch keine populistische Ausstellungspolitik.

In Berlin stehen Menschen stundenlang Schlange, um eine Ausstellung zu sehen.

Ja. Aber die Berliner Museen erhalten auch zweistellige Millionenbeträge für solche Maßnahmen vom Bund. Ich finde es nicht gut, dass sich das Auswärtige Amt und andere Institutionen im Wesentlichen auf Berlin konzentrieren. Oder auf die alte Bundeshauptstadt Bonn, die sich den Umzug von Parlament und Regierung auch kulturell teuer bezahlen lässt. Darunter leiden wir, leidet der Föderalismus in Deutschland. Da müssen sich einige Dinge ändern.

Das Verhältnis zwischen Ihrer Vorgängerin und Hubertus Gaßner war zweifellos zerrüttet. Wie beurteilen Sie Gaßners Arbeit? Glauben Sie, dass er als Direktor der Kunsthalle bleiben wird?

Das gehört zu den Themen, die ich mir kurzfristig ansehen will. Ich habe wiederholt meine hohe Wertschätzung für Herrn Gaßner zum Ausdruck gebracht. Trotzdem wird man bald Gespräche führen müssen. Es gibt einen Entscheidungsbedarf, wie die Stadt jetzt mit diesem Thema umgeht. Da der Vertrag im Januar ausläuft, ist das sehr dringlich.

Gilt der Anschlussvertrag nicht, den Gaßner in letzter Minute doch noch unterschrieben hat?

Nach meiner Kenntnis ist er juristisch nicht verbindlich. Es gibt im Augenblick keinen gültigen Folgevertrag.

Es gab das Bestreben von Frau von Welck, eine Generalintendanz von Kunsthalle und Deichtorhallen mit Dirk Luckow als Direktor zu schaffen.

Auch darüber müssen wir sehr bald sprechen.

Wann haben Sie erfahren, dass Sie Senator werden sollen? Wie kurz war die Frist, in der Sie sich das überlegen konnten?

Es war weniger als eine Woche, also dementsprechend kurz. Ich habe diese Frist genutzt, um meine Anwaltstätigkeit zu beenden.

In den vergangenen Monaten wurde viel darüber diskutiert, ob es überhaupt wieder einen Kultursenator geben wird - nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme. Wie wollen Sie Ihre Schutzbefohlenen auf Ihre Seite bringen?

Durch viele Gespräche, durch Erreichbarkeit. Die meisten der Intendanten, Direktoren und anderen Repräsentanten kenne ich ja noch aus meiner Zeit als Staatsrat in der Kulturbehörde, und ich habe auch weiter den Kontakt zu ihnen gehalten.

Große Festivals können wir uns derzeit wohl abschminken. Wird es überhaupt Neues geben?

Wenn ich die Entscheidung zu treffen hätte, ob eine bestehende Institution erhalten bleiben oder etwas Neues entstehen soll, dann neige ich dazu, erst die vorhandenen Institutionen zu stärken, bevor man etwas Neues anfängt. Das ist keine Aussage zu jedem Einzelfall, aber es wäre meine Leitlinie.

Ihre Vorgängerin hat eine Vereinbarung unterschrieben, die die Anbindung der Sammlung Falckenberg an die Deichtorhallen vorsieht. Das wäre mit einer Erhöhung der jährlichen Zuwendungen an die Deichtorhallen in Höhe von 570 000 Euro verbunden. Wird es dazu kommen?

Es ist eine hervorragende Idee. Beides passt perfekt zusammen. Deswegen will ich alles tun, was möglich ist. Aber es ist nicht zu trennen von den Haushaltsberatungen.

Was ist Ihr privater Zugang zur Kultur?

Sehr stark in der Literatur. Aber ich habe schon als Schüler meine erste Grafik von A. Paul Weber gekauft. Ich war Mitglied im Kunstverein. Ich bin begeistert vom Tanzprogramm auf Kampnagel, insbesondere wenn es aus Afrika kommt.

Wenn Sie für Ihre Tätigkeit ein Motto wählen müssten, wie würde es lauten?

Ich bin Anwalt für die Kultur und bin da auch parteiisch.