Frühes Kommen sichert gute Plätze. Aber will in Bayreuth schon schnell an seinen Platz? Hans-Jürgen Fink, Mitglied der Abendblatt-Chefredaktion, berichtet für abendblatt.de von den wirklich wichtigen Dingen der Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth.

Bayreuth. Frühes Kommen sichert gute Plätze – wer diese Binsenweisheit nicht beherzigte, sah vor allem Rücken und Hinterköpfe und konnte vor der Eröffnungsvorstellung am Sonnabend um 16 Uhr nur über die Applausintensität beim Rätseln dabeisein: War das jetzt schon Merkel, oder steckt die noch im Stau? Oder Genscher, Seehofer, Beckstein und Stoiber, Zypries, zu Guttenberg? Oder nur einer der unzähligen Staatssekretäre und der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias formieren sich hügelan zum Promi-Stau, der Vorplatz ist argusäugig bewacht, Hubschrauber kreisen. „Tommy kommt nicht, der wartet bestimmt auf die nächste Premiere“, sagt einer. Bei Gottschalk hätte man wenigstens gewusst, warum geklatscht wird. Sonst ist das schwer auszumachen: nette Begrüßung oder nur freundliches Mitleid angesichts 250 Minuten auf hartem Sitz, die vor den Gästen liegen. Geklatscht wird nachher auch beim abgekordelten Gang ins Restaurant und zurück, da ist auch der rechte Platz fürs huldvolle Winken.

Im Foyer sind derweil langjährige Bayreuth-Gänger am Suchen: Wohin hat man Lilo Heuberger verbannt, die freundliche alte Dame, die seit 50 Jahren Operngläser verleiht, deren Stärke sie sorgfältig auf Sitzreihe und damit den Abstand zur Bühne abstimmt? In einer Ecke des Foyers werden sie fündig, Lilo Heuberger ist ein Stück altes Bayreuth – und soll es auch bleiben.

Wenig Beifall finden die grauen Hosenanzüge der ehemals „Blauen Mädchen“, die es zwischen all den Bodyquards aber auch schwer haben. Sie zeigen zwar mit dem Schal in der Leitfarbe Lila noch einen Farbtupfer, strahlen in ihrem neuen Outfit aber etwas sehr sachliches aus. Wie sagte die neue Chefin Katharina Wagner: „Außerdem kommt man schneller zum Platz, wenn man nicht dauernd auf die hübschen Beine der Mädels schaun muss.“ Aber wer bitte will in Bayreuth schnell zu seinem Platz?

Der Herr in der Mitte der gut 60 Plätze langen Reihe garantiert nicht. Er kommt mit stoischer Gelassenheit Sekunden kurz vor Aufführungsbeginn und quält sich zu seinem Platz. So entsteht „la onda“ im Festspielhaus – dreimal vor drei Akten. Die anderen Reihenbewohner haben damit schon mal ein Gesprächsthema und müssen sich nicht mehr dauernd umdrehen, ob sie „die Merkel“ entdecken. Langsam wird das Licht abgedunkelt, die gerade noch eine Reihe hinter mir gestellte zentrale Frage der Oper – „Ist er jetzt mit seiner Frau hier oder mit seiner Freundin?“ bleibt deswegen einstweilen unbeantwortet.

Und auf der Bühne bereitet sich ein junger Seemann auf seine ersten Takte vor:

„Westwärts schweift der Blick:

ostwärts streicht das Schiff.

Frisch weht der Wind der Heimat zu ...”