Während in den USA die Quoten für Castingshows konstant bleiben, schalten die Deutschen immer seltener ein. Woran liegt das?
Das Zahnpastalächeln sitzt. Die Nachwuchsmodelkandidatinnen Jennifer, Johanna, Jenny und Anika plumpsen für die Kamera auf dicke Turnmatten, ziehen den nicht vorhandenen Bauch ein, damit die strassverzierten Bikinis besser zur Geltung kommen und wischen sich gegenseitig die Wimperntuscheschlieren aus dem Gesicht, wenn der Traum vom Modelberuf plötzlich so weit weg erscheint wie die Katzenberger vom Kanzleramt. Besser (im Sinne von beflissener) kann man es kaum machen.
Hübsche Mädchen, die sich freiwillig zum Deppen machen, sind, so sollte man meinen, eine ansehnliche Abwechslung zu all den Messies, Schuldnern, Kiloprotzen, gepiercten Teenie-Müttern und Auswanderfreaks, die uns das Fernsehen sonst gerne präsentiert. Und doch schalten die Zuschauer längst nicht mehr ein. Das Halbfinale der Vox-Laufstegshow "Das perfekte Model" interessierte gerade einmal 690 000 Zuschauer zwischen 19 und 49 Jahren - ein Quotenflop, der sich auch heute Abend im Finale wohl fortsetzen wird. Eine neue Staffel gilt als höchst unwahrscheinlich.
Damit ist die Modelsendung, die als kuscheliger Gegenentwurf zu Heidi Klums Domina-Zirkus gestartet ist, nicht allein. Ein Jahrzehnt nach Beginn des deutschen Casting-Booms scheint die Hochzeit der Formate schon wieder vorbei zu sein. Die RTL-Tanzoffensive "Let's Dance" startete mit einem Marktanteil von 18,7 Prozent bei den jungen Zuschauern - so schwach wie noch keine Staffel. Dieter Bohlens Ein-Mann-Show "Deutschland sucht den Superstar" fiel innerhalb von einer Woche von 5,69 Millionen Gesamtzuschauern auf 4,86 Millionen, und Heidi Klum kämpft in diesen Tagen nicht nur gegen eine private Durststrecke: "Germany's Next Topmodel" verliert seit Staffelstart Zuschauer, vergangene Woche wollten lediglich 2,55 Millionen Menschen (8,1 Prozent Marktanteil) die fernsehgerechte Modelwelt-Version von ProSieben sehen.
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Die Zuschauer sind des Aus- und Rauswählens - das Prinzip, auf dem jede Castingshow beruht - offenbar müde. Kurzzeitig schien es, als könnten Sendungen, die auf Respekt statt Affenzirkus setzen, diese Interessenverlagerung aufhalten. "The Voice of Germany" machte nicht nur durch das hohe musikalische Niveau der Kandidaten von sich reden, sondern vor allem durch den fairen Umgangston, der meilenweit entfernt war von den Bohlen-Beleidigungen, von Klobürsten-Assoziationen und Volle-Hosen-Vergleichen. Aber auch hier enttäuschten die Quoten auf lange Sicht.
Dafür ist einerseits die Abnutzung verantwortlich, gegen die kein noch so erfolgreiches TV-Format immun ist. Einmal Knallchargen von der Bühne buhen ist amüsant, siebenmal darauf hoffen, dass ProSieben in diesem Jahr die neue Kate Moss entdeckt und die Siegerin dann doch wieder nur Schuhmode vom Discounter bewirbt, ist auf Dauer öde. Kaum ein Castingshow-Teilnehmer, der nicht die Kopie eines Vorgängers wäre, der Zuschauerverblüffungseffekt ist dementsprechend gleich null. "Es gibt feste Rollen, die es zu besetzen gilt: den Checker, das Küken, die dunkelhäutige Schönheit, etwas Androgynes, einen Schmuselatino. Inzwischen ermüden die Stereotypen", schreibt der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe.
Wenn jedoch weder sanfte Gerechtigkeit und Empathie in den Sendungen gefragt ist noch das einst so wirksame Fremdschämgefühl, der leise Rausch an der Erniedrigung der Kandidaten, dann steht die Castingsendung vor einem Grundsatzproblem. In Amerika, von wo aus der Großteil der Formate exportiert und an deutsche Sehgewohnheiten angepasst wurde, ist von einem derartigen Quotenverfall nichts zu spüren. Sodass die Frage bleibt: Widerstrebt das Aussieben der Schwachen, der "Du musst Gas geben, wenn du es schaffen willst"-Drill, der Konkurrenzdruck einem tief verwurzelten gesellschaftlichen Konsensdenken? Vielleicht ist auch die Illusion, dass jeder ein Star werden kann, vom Kuhstall auf den Catwalk sozusagen, schlicht Ernüchterung gewichen. Nun lebt das Fernsehen, lebt das Kino von Träumen, deren Erfüllung und Zerplatzen. Doch wenn der Zuschauer zu träumen aufhört, ist dies oft das Ende.
"Das perfekte Model" heute, 21.15 Uhr, Vox