Hendryk M. Broder, Thomas Gottschalk, Harald Schmidt und Frank Schirrmacher verleihen Marcel Reich-Ranicki die für ihn erfundene Börne-Medaille.
Frankfurt. Es war eine nicht nur angebliche, sondern tatsächliche Mischung aus feierfreudiger Unterhaltung und ernster Kritik. Und damit die denkbar beste Form, Marcel Reich-Ranicki zu würdigen. Denn für diese Mischung aus Showbusiness und kritischem Geist steht er heute, kurz nach seinem 90. Geburtstag, wie kein anderer.
Der Wunsch, Reich-Ranicki zu seinem Jubiläum öffentlich zu rühmen, ließ die Börne-Stiftung die Börne-Medaille aus der Taufe heben - den Börne-Preis hatte Reich-Ranicki bereits 1995 erhalten und hätte ihn nicht ein zweites Mal bekommen können. Zu seinen Ehren also strömten Hunderte aus Kultur, Politik und Unterhaltung in die Frankfurter Paulskirche, wo die Feierstunde in Richtung unbeschwerter Jubelstimmung Fahrt aufzunehmen schien. Doch einer der Laudatoren, Hendryk M. Broder, fand einen Weg, Reich-Ranicki mit seinen eigenen Mitteln sowohl herauszufordern als auch die Reverenz zu erweisen.
Broder erinnerte kurz daran, welche nahezu einhelligen Jubelchöre der Kulturbetrieb auf Reich-Ranicki zu dessen Geburtstag angestimmt hatte, und resümierte: Das gerade verflossene Jubiläum sei offenbar der "tipping point" gewesen, an dem noch die letzte Gran Missgunst in öffentlich bekundete Zuneigung umgeschlagen sei. Und dann tat Broder, was Reich-Ranicki in der Vergangenheit oft getan hatte: Er übte Kritik und nannte Gründe.
In der deutschen Literatur könne man zu Hause sein, aber auch Reich-Ranicki lebe letztlich in Deutschland und müsse sich deshalb den politischen Konflikten der Gegenwart stellen. Für Broder sind das vor allem die Anzeichen eines noch immer fortwirkenden Antisemitismus in Deutschland und vor allem die sich aus seiner Sicht immer weiter zuspitzenden Konflikte zwischen Israel und einigen arabischen Staaten. Warum, fragte Broder, schweige Reich-Ranicki zu diesen Themen, anstatt mit dem Gewicht seiner Popularität in dieser Debatte Signale zu setzen?
Broder übernahm die Rolle des Ruhestörers inmitten des allgemeinen Begeisterungstaumels. Doch ist es tatsächlich die Aufgabe Reich-Ranickis, sich zur Galionsfigur im Streit um Israel machen zu lassen, weil er Jude ist? Er verdankt seinen Ruhm seinem literarischen, nicht seinem politischen Urteil.
Dem Showstar Reich-Ranicki gratulierten Harald Schmidt und Thomas Gottschalk. Schmidt, indem er zum Klavier Brechts Gedicht "Erinnerungen an Maria A." sang. Gottschalks rhetorisch brillante Rede mündete in der nicht ganz neuen Feststellung, Reich-Ranicki sei ein "begnadete Entertainer".
Frank Schirrmacher schließlich verband die beiden Pole der Feier und zeichnete noch einmal ein Porträt des mit allen Wassern der Verblüffungskunst gewaschenen Publikumslieblings. Er hob Reich-Ranickis Fähigkeit zum friedlichen Meinungsstreit auf offener Bühne hervor, er sei das "Staatsoberhaupt der literarischen Republik".
Das Schlusswort lag naturgemäß bei Reich-Ranicki. Auf Broders politische Vorhaltungen ging er mit keinem Wort ein. Mit der für einen Lebensrückblick bemerkenswerten Lakonie sagte er, er habe sein Leben lang nur getan, was ihm Spaß mache. Schon das mache ihn, anders als Gottschalk es behaupte, zu einem "Außenseiter". Auch heute noch fühle er sich als solcher. Aber inzwischen wisse er, welches Glück darin liege, ein Außenseiter zu sein.