Auch mit 50 Jahren ist die Sängerin kaum zu bremsen. Wirklich überzeugen konnte ihr Konzert in der O2 World trotzdem nicht.

Hamburg. "Bin ich hier in Hamburg oder Castrop-Rauxel?", fragt Nena nach der Hälfte ihres Konzerts in der O2 World, und tatsächlich hat die Stimmung der knapp 7000 zu diesem Zeitpunkt kein Erstliga-Niveau. Zwar war "Liebe ist" einst Titelsong der quotenstarken Sat.1-Telenovela "Verliebt in Berlin", textsicher sind hier dennoch die wenigsten. Zum leichten Unwillen der 50-Jährigen, die sich in eben jener Provinz wähnt, aus der sie selbst stammt.

50? Allerdings. Auch wenn Nena in funkelnder Glitzerjeans (hauteng!) und schwarzer Lederjacke über die Bühne fegt, als sei immer noch 1982 und sie im knallroten Minirock auf der NDW-Überholspur. Damals, als neues deutsche Fräuleinwunder, hatte sie sogar in den USA Erfolg und als unverkennbares Markenzeichen diese von sehnsuchtsvollem Seufzen durchwirkte Stimme. Die lud Mitte der Achtziger selbst banale Zeilen wie "Los, zeig mir dein Gesicht, komm her und versteck dich nicht" ("Ganz oben") oder "Gib mir die Hand, ich bau dir ein Schloss aus Sand" ("Irgendwie, irgendwo, irgendwann") mit einer Aura unbestimmten Begehrens auf.

Okay, kann auch schlicht fortgesetzte Atemlosigkeit dank schlechter Technik gewesen sein, klingt aber bis heute ziemlich sexy. Jedenfalls solange Nena nicht wie am Donnerstagabend auf die Idee kommt, die alten Hits als moderne Electrorock-Nummern aufzupeppen. Bei "Nur geträumt" fällt das nicht weiter ins Gewicht, weil die Fans ohnehin lauter sind als die vielköpfige Band, "Leuchtturm" hingegen erlebt eine schonungslose Dancefloor-Hinrichtung und wird seines ganzen Erste-Liebe-Engtanz-Charmes beraubt. Schade.

"Ich weiß selber ganz genau, was für mich das Beste ist", singt Nena, aber die Dramaturgie ihres Konzerts spricht eine andere Sprache. Die Masse will tanzen, mitsingen, sich an Jugendtage erinnern, doch Nena nimmt immer wieder das Tempo raus. Streut neuere Songs ein, lässt eine Jana aus Hamburg ans Mikro oder bittet die beiden Schlagwerker zum Doppelsolo. Für manch Elternteil im Publikum immerhin die Gelegenheit, um den blasenschwachen Nachwuchs mal schnell auf den Pott zu setzen.

Mit dem unkaputtbaren "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" könnte nach zwei Stunden eigentlich Schluss sein, doch Nena hat noch einen. "Dieser Song dauert 20 Minuten", kichert sie und lässt gefühlte 200 Kinder auf die Bühne laufen. Das Resultat: Szenen wie man sie vom HSV kennt, wenn es zehn Minuten vor Schluss 0:2 steht. Massen strömen den Ausgängen entgegen, um einen Platz im ersten Shuttlebus zu ergattern. Passiert ja eh nix mehr. Was in diesem Fall auch stimmt.

Die diversen Liebesbekundungen bei der finalen Bandvorstellung ("Dies ist mein Freund ...", "Dies ist meine Freundin ...") erlebt ein erheblicher Teil des Publikums jedenfalls nicht mehr. Und auch die im Foyer aufgebaute "Nena-Glückwünsche-Video-Box" bleibt ungenutzt. Hier sollen Fans eigentlich persönliche Grußbotschaften zum Fünfzigsten aufzeichnen, die sich dann auf einer kommenden Live-DVD wiederfinden. Doch jetzt ist Stauvermeidung schlicht wichtiger als möglicher Bonus-Material-Ruhm. Wir sind hier schließlich in Hamburg - und nicht in Castrop-Rauxel.