Diese Autoren bewegten - von Nobelpreisträgerin Herta Müller über Stephenie Meyer (“Twilight“) bis zum verstorbenen US-Star David Foster Wallace.

Frankfurt/Main. Auch Schriftsteller können über Nacht zu Shooting-Stars werden: Das hat Herta Müller erfahren – die Entgegennahme des Nobelpreises am 10. Dezember in Stockholm war der vorläufige Höhepunkt des kometenhaften Aufstiegs einer zuvor nur bei Insidern bekannten Autorin. Lesungen mit der kämpferischen 56-Jährigen sind zu riesigen „Events“ geworden. In Frankfurt wurde im November eine Lesung sogar abgesagt, weil die Nachfrage nach Karten die Kapazitäten des Literaturhauses sprengte.

Es scheint kein Zufall, dass die stets schwarz gekleidete Sprachkünstlerin mit ihrem eher dunklen Stil den Nerv der Zeit trifft. Müllers ureigenes Thema – Leben und Überleben in einem unmenschlichen politischen System – ist wieder aktuell. 20 Jahre nach dem Fall der Mauer sind die Narben der europäischen Teilung nicht verheilt. Und die schon fast vergessene Schar der Schriftsteller, die unter der Ceausescu-Diktatur in Rumänien nach Deutschland kam, sieht sich plötzlich mit einer Debatte über Überwachung und Bespitzelung in der alten Heimat konfrontiert.

Mit der „Atemschaukel“, die der Hanser Verlag als Lizenz in rund 40 Länder verkaufte, hat Müller auf den Bestsellerlisten kurzzeitig sogar Stephenie Meyers Fantasy-Welt verdrängt („Bis(s)“-Reihe (Twilight). Die von der Amerikanerin in mehreren Bänden ausgewalzte Love-Story von einer braven US-Schülerin und einem Vampir hat den Buchverkauf in diesem Jahr angekurbelt – das vernichtende Urteil der Kritik störte da wenig. Nur der im Oktober zur Frankfurter Buchmesse mit viel Publicity auf den Markt geworfene neue Dan Brown („Das verlorene Symbol“) konnte Meyer schnell übertrumpfen.

Mit Kathrin Schmidt, die beim Deutschen Buchpreis den Vorzug noch vor Herta Müller für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres erhielt, hat eine bis dato ebenfalls wenig bekannte Frau für Aufsehen gesorgt. Ihre autobiografische Beschreibung („Du stirbst nicht“) des Schicksals einer Frau, die sich nach einem Hirnschlag langsam wieder die Welt erobern muss, wurde von der Kritik allgemein als würdiger Preisträger gelobt.Frauen greifen viel öfter zu Romanen als Männer – da kann es nützlich sein, wenn ein Autor so attraktiv ist wie Frank Schätzing, der zum Buchstart im Oktober auch noch für einen Unterwäsche- Hersteller posierte. Der „Schwarm“-Autor hat allerdings in seinem neuen Thriller „Limit“ gezeigt, dass er nicht nur über die Tiefsee, sondern auch über die Besiedelung des Mondes unterhaltsam schreiben kann. Das Werk verkauft sich prächtig.

Für Begeisterung in den Feuilletons sorgte auch das endlich auf Deutsch erschienene 1552-Seiten Werk „Unendlicher Spaß“ des Autors David Foster Wallace, der sich 2008 das Leben genommen hatte. 1996 war „Infinite Jest“ in den USA herausgekommen. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung gearbeitet. Es hat sich gelohnt.

Auch die Kategorie Ratgeber/Sachbuch bleibt angesagt. Besonders erfolgversprechend sind Bücher dann, wenn ein Prominenter Lebenshilfe gibt und dies noch mit Humor paart. Der Kabarettist und Arzt Eckart von Hirschhausen hat nach „Die Leber wächst mit ihren Aufgaben“ mit seinem neuen Buch wieder einen Glückstreffer gelandet: „Glück kommt selten allein“.

Ein anderer Arzt mit kabarettistischer Begabung, der Psychiater Manfred Lütz, kommt in seinem Bestseller zum Ergebnis, dass die eigentlich Verrückten der Gesellschaft die Normalos sind: „Irre – Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen – Eine heitere Seelenkunde“. Die evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann, von Krebserkrankung und Scheidung gebeutelt, hat noch vor ihrer Wahl zur EKD-Vorsitzenden einen Verkaufshit gelandet („In der Mitte des Lebens“). Und FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher widmet sich in seinem neuen Bestseller „Payback“ instinktsicher dem weit verbreiteten Unbehagen über die Informationsflut durch das Internet und geht der Frage nach, ob der Mensch tatsächlich zum „Multitasking“ geboren ist.

Insgesamt hat sich der deutsche Buchmarkt im Rezessionsjahr weit besser behauptet als erwartet. Wenn das wichtige Weihnachtsgeschäft mitspielt, könnte für 2009 sogar ein Umsatzplus herausspringen. „Das differenzierte Buchmarktsystem in Deutschland mit seinen starken klein- und mittelständischen Elementen hat die Krise weit besser gemeistert als die Märkte in den USA“, sagt Stephan Füssel, Leiter des Instituts für Buchwissenschaft an der Universität Mainz. Neben dem flächendeckenden Netz an Buchhandlungen habe dazu auch die Preisbindung beigetragen. Über deren stabilisierende Wirkung wird derzeit in der deutschsprachigen Schweiz heftig diskutiert. Es gibt Bestrebungen, zur Preisbindung zurückkehren, die dort für Bücher 2007 abgeschafft worden war.

Trotz der passablen Bücherkonjunktur wird bei Deutschlands Verlagen aber eisern gespart. Die Zahl der Titel reduziert sich, die Bedeutung von Bestsellern wächst. Zu den Verlagen, die sich dem kommerziellen Trend hartnäckig zu widersetzen versuchen, gehört Suhrkamp. Das renommierte Haus sorgte mit internen Machtkämpfen für viele Schlagzeilen. Doch die Suhrkamp-Seifenoper findet mit dem Umzug von Frankfurt nach Berlin zum Jahreswechsel ein Ende. In einem Kampf, der an große Dramen erinnert, hat sich Ulla Unseld-Berkéwicz, Witwe des 2002 gestorbenen Suhrkamp-Patriarchen Siegfried Unseld, gegen alle Widersacher durchgesetzt. Joachim Unseld, der „verstoßene Sohn“ Siegfried Unselds und schärfste Umzugsgegner, hat als Minderheitsgesellschafter seine Verlagsanteile verkauft.

Der Verlierer ist die Stadt Frankfurt, die das gesamte Suhrkamp-Archiv an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach abgeben muss. Frankfurt kann sich aber damit trösten, dass die Buchmesse der Stadt noch mindestens bis zum Jahr 2022 erhalten bleibt. Der Vertrag wurde im Juni verlängert.