John Neumeiers neues Ballett „Orpheus“ hat am Sonntagabend eine umjubelte Premiere in der Hamburger Staatsoper gefeiert.
Hamburg. Ein ohrenbetäubender Krach reißt Orpheus, den gefeierten Violinkünstler, mitten in der Verbeugung nach einem Konzert aus dem Hochgefühl des Erfolgs. Ein Auto stürzt zu Boden und eine junge Frau rollt heraus. Tot.
Mit diesem Szenario konkretisiert John Neumeier in seinem Ballett „Orpheus“ erstmals überhaupt die genaue Todesursache von Eurydike und lässt die Leidenszeit des Orpheus durch den Verlust Eurydikes beginnen.
In der Staatsoper erlebte „Orpheus“ jetzt eine umjubelte Uraufführung mit dem tänzerisch glänzenden Otto Bubenicek in der Titelrolle und Hélène Bouchet als ätherischem Zauberwesen Eurydike.
Es ist nicht der große Wurf im Sinne eines Bekenner-Balletts, der alle Höhen und Tiefen, Überschwang, Leiden, Leidenschaft und Enttäuschung, Ruhm, Einsamkeit und Vergessen im Leben eines Künstlers vollkommen auslotet. Es ist ein Ballett, das gewissermaßen moderato cantabile tanzt und so einleuchtend einfach in den verschiedenen Beziehungsgeflechten daher kommt, wie schon lange nicht mehr bei Neumeier.
Es ist ein Ballett, das von der Liebe eines göttlichen Musikers handelt, der ohne sein Instrument auch nur ein Mensch ist und der das, was er am meisten liebt, Eurydike, durch sein Fehlverhalten ein zweites Mal verliert. Und für diese Liebe, von der ersten Begegnung bis zum tragischen Ende, findet Neumeier eine unverkrampfte, verständliche Tanzsprache.
Auf Igor Strawinskys Musiken zu „Apollon musagète“ und „Orpheus“ und vor allem durch die wundervollen Rosenkranz-Sonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber, die der Geiger Rüdiger Lotter traumverloren schön spielt als musizierendes Alter Ego des Orpheus, hat Neumeier sich eine musikalische Grundierung von hohem Reiz zusammengestellt, scharf kontrastiert von den Lyrics aus dem Album „Orpheus the Lowdown“ von Peter Blegvad & Andy Partridge.
Diese Musik inspirierte den Choreographen im „Schattenreich“ des zweiten Teils zu neuen, von innerer Spannung vibrierenden Bewegungen, verleitete ihn aber auch zu plakativ illustrierendem Leerlauf und oberflächlicher Dekoration innerhalb der chorischen Szenen. Abgesehen davon, dass bei Neumeier Künstler gern auf Stühlen stehen.
Das alles freilich hätte nicht realisiert werden können, wenn nicht Otto Bubenicek für den verletzten Gast-Star Roberto Bolle eingesprungen und binnen Kürze die Rolle des Orpheus einstudiert hätte. Noch fehlen Bubenicek Reife und Tiefe und die letzte Durchdringung bei einer schon jetzt tänzerisch makellosen Gestaltung.
Mit dem enorm gereiften Edvin Revazov als Apollo, Anna Laudere als Kalliope und Johan Stegli in der Rolle des Seelengeleiters Hermes, hat Neumeier im zwischen Welt und Unterwelt magisch oder trübe changierenden Bühnenbild Ferdinand Wögerbauers durchaus eine Bereicherung seines Spielplans geschaffen. Zumal, wenn die Philharmoniker so inspiriert spielen wie am Uraufführungsabend unter Simon Hewett. Er ist ein Riesengewinn für das Hamburg Ballett.