Rund 1300 prominente Autoren und Wissenschaftler, darunter auch der Hamburger Schriftsteller Siegfried Lenz, werfen dem Internet-Konzern Google Urheberrechtsverletzungen vor und fordern in einem „Heidelberger Appell“ die Unterstützung deutscher Politiker. Sehen Sie hier zehn prominente Hamburger, die den Appell unterzeichnet haben.

Rund sieben Millionen Bücher sind seit 2004 digital erfasst worden. Für den Internet-Konzern Google ist das noch längst nicht das Ende einer weltumspannenden Erfassung geistigen Eigentums. Man will nicht weniger als das "Wissen der Welt" digitalisieren und daran beispielsweise durch eingeblendete Werbung verdienen. Eine Google-Mitarbeiterin verglich die Bedeutung dieses Projekts mit der Mondlandung.

Doch wenn es nach dem Willen von mehr und mehr deutschen Autoren geht, soll daraus eine Bauchlandung werden. Rund 1300 Autoren, Verleger und Wissenschaftler werfen dem US-Konzern Urheberrechtsverletzung vor. In einem "Heidelberger Appell"(nachzulesen unter www.textkritik.de/digitalia) fordern sie Rückendeckung durch die deutsche Politik. Mit dabei sind unter anderem Autoren wie Siegfried Lenz, Daniel Kehlmann ("Die Vermessung der Welt"), Durs Grünbein, "Zeit"-Herausgeber Michael Naumann, viele Büchner-Preisträger, Wissenschaftler und Fotografen.

Der Hamburger Publizist Matthias Matussek sagte dem Abendblatt dazu: "Es geht hier um die Enteignung von Autoren. Ich halte es für eine Unverschämtheit, auf diesem Wege Autoren und Publizisten um ihre Rechte zu bringen. Sie leben von ihren geistigen Produkten und das muss ihnen weiterhin möglich sein."

Die Hamburger Autorin Regula Venske erklärte: "Ich habe unterschrieben, weil ich mich persönlich betroffen und ratlos fühlte und weil ich es grotesk finde, dass ein regionales amerikanisches Gericht über meine Interessen befindet." Die Begründung der Hamburger Krimi-Autorin Carmen Korn: "Jeder Hobbymusiker bei einem Gartenfest muss Gebühren an die Gema entrichten, aber Google druckt Texte ab, ohne sie bei der VG Wort anzumelden."

Initiator dieser spektakulär gestalteten Aktion gegen das drohende Google-Monopol ist der Heidelberger Germanistikprofessor Roland Reuß, der den Appell mitsamt einem "Brandbrief" an Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel, alle Ministerpräsidenten und zahlreiche Bundespolitiker geschickt hat. Reuß Mitherausgeber der Kafka- und der Kleist-Werkausgabe sieht laut "Rhein-Neckar Zeitung" "Gefahr im Verzug" und fordert, dass sich die Politiker "mit derselben Entschiedenheit für die Wahrung des Urheberrechts und die Publikationsfreiheit eintreten wie für die Interessen der Automobilindustrie".

Im Februar hatte Reuß in einem "FAZ"-Artikel zu Vokabeln wie "Machtergreifung" und "Enteignung" gegriffen und aus Wut eine Unterschriftenliste unter der Überschrift "Für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte" ins Internet gestellt. Die Protestler werfen Google vor, Texte "ohne Einwilligung der Urheber zum kostenlosen Herunterladen im Internet" zur Verfügung zu stellen. Zahlreiche Bibliotheken unterstützten zudem die Suchmaschine ohne Zustimmung der Autoren. In der "Frankfurter Rundschau" schrieb Reuß kürzlich dazu: "Da viele auf diese Suchmaschine nicht mehr verzichten wollen, Google zugleich aber allein durch die Macht, die es mit seiner Datenerhebung akkumuliert, eine Gefahr für alle demokratischen Institutionen darstellt (…), führt auf Dauer kein Weg daran vorbei, dass man die Enteigner enteignet."

Stichtag beim Streit ums nicht mehr gedruckte Wort ist der 5. Mai. Dann läuft eine Widerspruchsfrist ab, die ein Bundesbezirksgericht in New York festgesetzt hat, nachdem US-Autoren im Herbst 2005 eine Sammelklage eine sogenannte "class action" eingereicht hatten. Im Juni soll die Entscheidung des Gerichts in Sachen "Google Book Settlement" fallen. Der betreffende Vergleich betrifft allerdings nur bereits vergriffene Bücher, vorgesehen ist eine einmalige Entschädigungszahlung in Höhe von 60 Dollar pro eingescanntem Buch (von Reuß in der "Frankfurter Rundschau" als "schlechter Witz" bezeichnet) sowie eine 63-Prozent-Beteiligung des Rechteinhabers am jeweiligen digitalen Verwertungsgewinn. In dem Vergleich hat sich Google bereit erklärt, 125 Millionen Dollar für Anwaltsgebühren, die Einrichtung einer rechteverwaltenden Instanz und Ausgleichszahlungen an die betroffenen Autoren auszugeben. Dafür sollen 45 Millionen Dollar verwendet werden Peanuts für den milliardenschweren Konzern.

Die deutsche "Verwertungsgesellschaft Wort" hat ihren Mitgliedern davon abgeraten, den Vergleich abzulehnen. "Wenn man im Vergleich bleibt, hat man alle Möglichkeiten offen", wird Thomas Golda von der VG Wort in der "FAZ" zitiert.

Weiter verkompliziert wird die Angelegenheit dadurch, dass Reuß mit seinen Appellbemühungen nicht nur gegen die Absichten von Google, sondern auch gegen die sogenannte "Open access"-Praxis antritt, indem er den offenen Zugang zu öffentlich geförderten Forschungsresultaten auf eine Stufe mit der Praxis des Suchmaschinen-Moguls stellt. Mit dieser Gratis-Zugangsmethode reagieren mehr und mehr Wissenschaftsistitutionen auf die immer drastischere Preisgestaltung von Wissenschafts-Großverlagen, die für die Publizierung ob nun auf Papier oder im Internet verlangt werden.

Bei diesem Aspekt zügelte Reuß inzwischen seinen Zorn und bezeichnet diese Möglichkeit als "Gift der Nötigung" für Geisteswissenschaftler und mittelständische Verlage. Der Druck, gratis im Internet publizieren zu müssen, würde die Forschungsfreiheit und Arbeitspläte gefährden.

Der aktuelle Streit um den Umgang mit Literatur ist eine weitere Facette der ebenso epochalen wie schmerzhaften Veränderungen, die auch die Medien, die Musik-, TV- und Kinobranche derzeit erleben. Die Suche nach neuen Geschäftsmodellen läuft. Die Zeit aber auch. Wie der Kampf einiger Hundert vor allem deutscher Davids gegen den amerikanischen Internet-Goliath Google ausgeht, ist unklar. Die Fronten sind verhärtet. Ein kleiner Trost für Reuß und seine Mitappellierer mag zumindest sein, dass er sich in illustrer historischer Gesellschaft befindet. Die Philosophen Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte wetterten schon Ende des 18. Jahrhunderts in ihren Kampfschriften "Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks" und "Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks". Bei Interesse an deren Argumenten: Die Texte sind im Internet zu finden.