Die Rapperin Lady Bitch Ray spielt mit voyeuristischen Erwartungshaltungen. Sie bedient sich wie Annie Sprinkle oder Charlotte Roche in der Pornografie - Und ist eigentlich Geisteswissenschaftlerin.

Hamburg. Die Türen des Fundbureaus sind noch geschlossen. Ein paar Baseballkappenträger, an den zu großen Jacken und zu tief im Schritt hängenden Jeans sofort als Hip-Hop-Fans auszumachen, ist das egal. Mit einer Flasche Jim Beam wird vorgeflutet. Die Menschentraube vor dem Klub an der Stresemannstraße wird größer, unter den Wartenden herrscht gespannte Erwartung. Man ist nicht hergekommen, um ein Konzert zu erleben, sondern einen Skandal.

Spätestens seit Rayhan Sahin alias Lady Bitch Ray vor zehn Tagen die Nachttalker Schmidt & Pocher mit expliziter Sprache und einem Döschen vermeintlichem Intimsekret aus der Fassung brachte, ist sie in aller Munde. MDR-Intendant Udo Reiter kritisierte das Moderatoren-Duo scharf und verbot ebenso wie das Bayerische Fernsehen eine Wiederholung der Sendung, ARD-Programmdirektor Günter Struve bezeichnete die Talkshow mit Lady Bitch Ray als "ziemlich ui-jui-jui".

In Hamburg kommt Lady Bitch Ray kurz vor 23 Uhr auf die Bühne. Um ihren Hals baumelt ein großes Kreuz, wie Madonna es in ihrer "Like A Virgin"-Phase getragen hat, dazu trägt sie einen rosa Schleier, ein schwarzes Tüllkleid und ein bezauberndes Lachen. "Ich hasse Dich" heißt die erste Nummer, und der Gegner ist ausgemacht: Männer und ihr Machoverhalten, ihre derbe Sprache, ihr dumpfer Sexismus. Der frauenverachtende Hip-Hop von Rappern wie Bushido und Kool Savas wird genauso auf die Schippe genommen wie pornografische Fantasien über Krankenschwestern oder Lkw-Fahrer mit Hecksprüchen wie "Damen aufgepasst! Meiner ist 20 Meter lang".

Lady Bitch Ray benutzt eine derbe, pornografische Sprache. Sie nennt sich selbst "bitch", Schlampe und Hure, sie reduziert sich darauf, an nichts anderes als Sex zu denken, und entspricht damit dem Bild, das sich klischeehaft durch viele Texte männlicher Hip-Hopper zieht: Frauen als Lustobjekt, austauschbar, immer bereit, den Männern jeden sexuellen Wunsch zu erfüllen. Doch sie dreht den Spieß um, indem sie eine "bitch" kurzerhand zu einer positiven Figur macht. "Eine Bitch steht zu ihrer vaginalen Selbstbestimmung und macht sich nicht von Männern abhängig", sagt sie in einem aktuellen "Stern"-Interview. Mit dieser Art von neuem Feminismus, der sich zu Sex bekennt und Pornografie nicht verteufelt, befindet sich Lady Bitch Ray plötzlich in überraschender Gesellschaft. Gestern demonstrierten in Frankfurt Prostituierte gegen die Verleihung des Börne-Preises an die Feministin Alice Schwarzer. "Mein Geschlechtsteil gehört mir!" steht auf den Plakaten. Die Prostituierten beklagen die Doppelmoral von Alice Schwarzer, die sich gegen Pornografie ausspricht und versucht, Frauen Vorschriften über die wahren und die falschen Ausdrucksformen ihrer Sexualität zu machen.

Populärste Vertreterin einer Kultur unterhalb der Gürtellinie ist zurzeit Charlotte Roche. Ihr Buch "Feuchtgebiete" verkaufte sich fast eine halbe Million Mal. Dieser offensive Umgang mit den eigenen Körperöffnungen ist jedoch so neu nicht. In ihrem Fotoband "Sex" schrieb Popstar Madonna 1992, dass sie oft vor dem Spiegel sitze und ihre Vagina betrachte, die Performance-Künstlerin Annie Sprinkle ließ in den 80er-Jahren vom Publikum ihren Gebärmutterhals mit Taschenlampe und Spekulum begutachten - dagegen sind Charlotte Roche und Lady Bitch Ray nur Maulheldinnen.

In ihrer Show, mehr Sex-Kabarett als Konzert, lässt Lady Bitch Ray keine Zote aus, alles dreht sich in ihren Texten um die primären Geschlechtsorgane und was man damit alles anstellen kann. Durch die maßlose Übertreibung zieht sie ihren Pornografie-Rap ins Lächerliche. Für Sex-Voyeure taugen ihre Auftritte nicht. Ein paar Hip-Hop-Kids skandieren vor der Bühne "Ausziehen! Ausziehen!". Lady Bitch Ray kontert gelassen: "Spinnt ihr? Dann hätten die Tickets 75 Euro kosten müssen!"

Ihre Konzerte sind übrigens nur ein Standbein von Reyhan Sahin. Die in Bremen aufgewachsene Türkin hat an der Uni Linguistik, Germanistik und Sexualpädagogik studiert und promoviert gerade über Bedeutung und Wirkung des muslimischen Kopftuchs. Die 26-Jährige kennt sich mit Sprache aus und versteht es, damit zu spielen. Für die Jim-Beam-Fraktion vor der Bühne war ihr Wortwitz eine Nummer zu groß. Ihr Debütalbum soll - in Anspielung auf den Königsberger Philosophen und den englischen Begriff für Vagina - "Die Aufklärung der Emmanuelle Cunt" heißen.