Ingo Metzmacher dirigierte Pfitzners “Von deutscher Seele“ in der Berliner Philharmonie.

Berlin. Gut zwei Stunden lang wallt und wogt es episch vor sich hin, die Orgel orgelt, das Blech choralt, die Pauken rammen dramatische Rhythmen ins Tutti, drei Solisten singen ihre Parts mit praller Inbrunst. Hans Pfitzners Orchesterkantate "Von deutscher Seele", in den frühen 1920ern komponiert, ist damit aber noch kein vorwegempfundener Reichsparteitag-Soundtrack, sondern vor allem ein riesiges Trauma-Protokoll. Ein Beleg für die Zerrissenheit dieser hochproblematischen, selbst in ihrem Extrem noch sehr deutschen Künstlerseele, die mehr wollte, als sie konnte. Ständig klingt Pfitzners Ringen mit dem eigenen Eifer durch, das zähe Ringen auch mit den Texten Eichendorffs, in dem kein urdeutscher Romantik-Topos (Wald, Wanderer, Einsamkeit) ausgelassen wird, und sei er noch so entrückt, melancholisch und bodennebelverhangen. Aber es gibt auch Stellen, die faszinieren, weil sie nicht wie eine schlechte Mahler-Kopie oder wie mittelprächtiger Debussy-Ausschuss wirken. Passagen, in denen Kombinationen aus Hörnern und Harfen Klangfarben aufleuchten lassen, die wie aus der Zeit gefallen scheinen.

Doch jede Note von Pfitzner ist nicht bloß Musik, sondern sofort auch ein Politikum. Pfitzner war Antisemit. Sein Ruf als Charakterschwein ist zu Recht viel schlechter, als seine Musik es je sein könnte. Ausgerechnet diese Musik wurde in der Berliner Philharmonie zur Diskussion gestellt, am Tag der Deutschen Einheit zudem. Der ehemalige Hamburger Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher, neuer Chefdirigent des Deutschen Symphonie Orchesters (DSO) Berlin, startete damit in seine erste Saison, die sich mit dem Deutschen in der Musik auseinandersetzt. Zumindest aus Hamburger Perspektive nichts Neues von ihm.

Es wurde ein Konzert, das Hochachtung verdient. Metzmachers sparsames Dirigat ließ der Musik völlig den Vortritt, als wollte er signalisieren: Überseht mich, mich bekommt ihr hier noch oft genug zu sehen. Er sorgte dafür, dass die Qualitäten seines neuen Orchesters plastisch zur Geltung kamen, zeichnete ein klar konturiertes Stimmungsbild im Zwielicht.

"Auch ein musikalisches Genie kann ein politischer Idiot sein", hatte Egon Bahr in der Einführungsveranstaltung gemeint. Das mit dem Genie wäre viel zu viel der Ehre, der Idiot ist noch untertrieben. Am Ende wurden Metzmacher, die Solisten und das DSO bejubelt, weil sie diese Musik so respektvoll präsentierten, wie sie es verdient. Erst recht. Trotz allem.