Festspiele: Komponistenenkel Wolfgang Wagner spricht über seine Nachfolge, über Tochter Katharina und über Bayreuth im Dritten Reich.
Bayreuth. Nachdem Wolfgang Wagner im ersten Teil des großen Abendblatt-Interviews über die Zusammenarbeit mit "Parsifal"-Regisseur Christoph Schlingensief geredet hatte, geht der 85jährige Leiter der Bayreuther Festspiele auf folgende Fragen ein: Wie steht es um seine Nachfolge? Ist Tochter Katharina die geeignete Kandidatin? Könnte der Spielplan erweitert werden? Und: Was bedeutet es - nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Zeit des sogenannten Dritten Reichs -, den Namen Wagner zu tragen?
ABENDBLATT: Nun schickt sich Ihre Tochter Katharina mit einigen - mal mehr, mal weniger gut aufgenommenen - Arbeiten an, als Regisseurin auf sich aufmerksam zu machen . . .
WAGNER: . . . na, das ist doch klar, da ist der Name Wagner eine schwere Hypothek, der schadet unheimlich. Dann heißt es doch gleich, die braucht nichts zu können, die hat ja einen weltberühmten Urgroßvater.
ABENDBLATT: Aber Sie geben ihr in zwei Jahren die Bayreuther "Meistersinger". Ist da ihr Einfall gerade beim Münchner "Waffenschmied", die Marie buchstäblich an ihren Vater zu ketten, als Fingerzeig zu verstehen?
WAGNER: Das ist ihre Sache, wir sind ja schließlich verbunden in einer besonderen Form. Ich habe dazu nichts gesagt. Ich habe mir mal eine Probe angeschaut und mir gedacht, aha, die will's so haben. Aber ich werde den Teufel tun und ihr sagen, laß das weg. Dann heißt es doch wieder gleich, der Alte hat ihr reingeredet. Das wär' ja übel. Jeder soll sich schließlich selbst entwickeln.
ABENDBLATT: Festspielleitung besteht nicht nur aus Regie, da sind noch andere Fähigkeiten gefragt.
WAGNER: Katharina hat sich von jeher auch für Organisation und Finanzen interessiert. Allein das wäre schon eine Vorgabe. Und ein großes Plus war es auch, daß sie ihr Abitur am Wirtschaftsgymnasium gemacht hat. Bei Planungen wird sie schon lange miteinbezogen. Aber entscheiden muß der Stiftungsrat. Sie sagt selber, sie wisse noch nicht, ob sie meine Nachfolge antreten mag.
ABENDBLATT: Man hat auch Ihrer Frau Ambitionen nachgesagt.
WAGNER: Sie ist die einzige Universalerscheinung hier, die nicht nur nach außen mit den Leuten, sondern auch mit den Menschen hier umzugehen weiß und großes Vertrauen genießt. Schließlich ist sie 40 Jahre hier beschäftigt.
ABENDBLATT: Sie waren 31, als sie nach dem Krieg Neu-Bayreuth schufen, das heißt: Ihre Tochter wäre, wenn die "Meistersinger" Premiere haben, im gleichen festspielfähigen Alter. Wäre das nicht ein Datum auch für Sie?
WAGNER: Wann ich aufhöre, darüber rede ich nicht.
ABENDBLATT: Aber vor noch gar nicht so langer Zeit haben Sie darüber geredet. Das Ergebnis war ein mittlerer Vulkanausbruch an Begehrlichkeiten.
WAGNER: Von anderen. Was man denen eigentlich auch nicht übelnehmen kann.
ABENDBLATT: Sie nannten das damals einen Testballon.
WAGNER: Das war vielleicht ein falsches Wort, aber es wurde sehr ernst genommen. Es geht darum, daß nicht Matthäi am letzten ist, wenn ich heute aufhöre. Der Stiftungsrat bestimmt den Nachfolger. Wenn ich dann nicht mehr verkalkt bin als heute, bin ich gespannt, was dann passiert.
ABENDBLATT: Können die Festspiele denn einzig mit dem Namen Wagner weiter existieren?
WAGNER: Wenn jemand geeignet ist, dann ist dieser Name zusätzlich ein hervorragendes Etikett.
ABENDBLATT: Können Sie sich vorstellen, daß nicht eine Einzelperson, sondern ein beratendes Gremium entscheidet, was in Bayreuth passiert?
WAGNER: Beraten kann keiner, hier müssen wir arbeiten. Ich stehe mit diversen Agenten in Verbindung, reise viel, höre mir diese und jenen an und schaue mir die Arbeit von Regisseuren an. Was soll ein Gremium? Der eine will den Herrn X haben, der andere den Herrn Y, da kommt doch nichts bei heraus, wenn nicht Verantwortung übernommen wird. Die besten Empfehlungen kommen immer noch von Sängern, die hier arbeiten und die mir raten, auf den oder jenen ein Auge zu werfen, der könnte was werden für Bayreuth. Das einzige, was in der Nachfolge wohl nicht mehr sein wird, ist, daß der Festspielleiter gleichzeitig auch Finanzchef sein wird. Das wird wohl geteilt werden.
ABENDBLATT: Sie sind im 55. Jahr Festspielleiter; gibt es etwas, das Sie besonders stolz macht?
WAGNER: Stolz bin ich überhaupt nicht; ich hasse das Wort. Stolz ist eine Eigenschaft der Selbstüberschätzung.
ABENDBLATT: Anders herum: Gibt es etwas, das Sie um die Fortführung der Festspiele fürchten läßt?
WAGNER: Die Festspielidee Richard Wagners ist heute uneingeschränkt gültig: daß man nämlich zu einem besonderen Ereignis anreist, nur für dieses exklusive Ereignis da ist. Wir wären sonst nicht ständig ausverkauft. Die Leute schätzen uns immer noch.
ABENDBLATT: Und Sie können ruhig schlafen bei dem Gedanken, jedes Jahr viele Menschen, die keine Karten bekommen haben, unglücklich zurückzulassen?
WAGNER: Nun, leicht fällt das nicht. Ich denke aber, jeder bekommt schon eine Chance. Ich bin dankbar, daß nach wie vor so viele Leute aus aller Welt an Bayreuth interessiert sind.
ABENDBLATT: Was halten Sie von der Idee, die auch aus Ihrer Verwandtschaft schon mal angedacht worden war, nämlich: Den Spielplan hier zu erweitern, beispielsweise mit einem konzertanten "Rienzi"?
WAGNER: Konzertant wäre es das Teuerste hier, was es gäbe. Da müßte ich für nur eine Aufführung - denn mehr wollen die Leute wahrscheinlich nicht sehen - so viel Geld ausgeben, daß ich finanziell ruiniert wäre. Die Dienst- und Probenpläne für unser 190-Mann-Orchester sind so voll auskalkuliert, daß ich keine Zusatzmöglichkeiten sehe. Außerdem machen "Liebesverbot", "Feen" oder "Rienzi" gar keinen Sinn. Das hat der Alte . . .
ABENDBLATT: . . . Ihr Großvater Richard Wagner . . .
WAGNER: . . . ja, also: das hat er doch nicht aus Zufall so gesagt. Eine spezielle Spielstätte muß ein spezielles Programm haben, selbst wenn es sich gegen die eigene Person richtet.
ABENDBLATT: Was ist die wichtigste Voraussetzung, diese speziellen Festspiele zu leiten?
WAGNER: Man muß etwas von der Kunst Richard Wagners verstehen, das empfiehlt sich auf jeden Fall. Mein Bruder Wieland und ich sind ja noch irgendwie organisch hineingewachsen. Der Krieg brachte dann die Unterbrechung, danach hat unsere Mutter uns Brüdern das übergeben. Außerdem hat unsere Mutter gesagt, irgend etwas müssen sie vom Handwerk verstehen; dieses war bei unseren Schwestern nicht so erreichbar.
ABENDBLATT: Gestatten Sie eine persönliche Frage: Es gibt dieses Foto mit Ihnen und Ihrem Bruder mit Adolf Hitler in der Mitte . . .
WAGNER: . . . ja.
ABENDBLATT: Wie geht man damit um, einem solchen Menschen so nahe gekommen zu sein?
WAGNER: Das kam bis zu einem gewissen Grad so über meine Mutter. Hitler war in seiner Anfangszeit, also vor der Machtergreifung, einer der wenigen Politiker, die sich echt für Bayreuth interessiert haben.
ABENDBLATT: Aber Sie sind ja immer wieder, wie mit einer Hypothek belastet, damit konfrontiert worden, diesen Mann gekannt zu haben?
WAGNER: Mein Bruder hat das auf den einfachsten Nenner gebracht: "Die einzigen, die Richard Wagner gefördert haben, das waren zwei Irre: König Ludwig und Hitler."
ABENDBLATT: Lassen Sie uns nachfragen: Bayreuth ist nach dem Krieg eine ganze Zeit konfrontiert worden mit den Vorwürfen, es sei Hitlers Lieblingsort gewesen, wurde von Wagners besonders herzlich begrüßt, hat bei Ihnen gewohnt und so weiter. Hat Sie das irgendwie mal bedrückt, haben Sie versucht, das loszuwerden, haben Sie gesagt "Jetzt machen wir etwas ganz anderes"?
WAGNER: Ja. Es war alles in allem eine Hypothek, die mein Bruder und ich mit allen Mitwirkenden abzuarbeiten versuchten. Und wir haben vieles ja ganz anders gemacht, wenn auch nichts völlig anderes.
ABENDBLATT: Haben Sie bei den ersten Nachkriegsfestspielen 1951 versucht, diese geistige Hypothek loszuwerden?
WAGNER: Es war ein Prozeß, der sich entwickelte. Auf einen Schlag kann so etwas gar nicht gelingen. Allerdings haben mein Bruder und ich von Anfang an klare Zeichen gesetzt, um den Festspielen ein anderes Image als früher zu geben.
ABENDBLATT: Wie kam es, daß Sie den ungewöhnlichen Ruf haben, daß Sie leicht explodieren?
WAGNER: Hab' ich den? Na ja, temperamentvoll bin ich schon immer gewesen. Aber Sie dürfen nicht vergessen, daß solche gewittrigen Entladungen manchmal die Atmosphäre reinigen können. Und das tut dann gut.
ABENDBLATT: Ihre Eintrittspreise liegen im internationalen Vergleich am Ende der Skala. Haben Sie schon einmal daran gedacht, die Kartenpreise zu erhöhen?
WAGNER: Wir könnten die Karten natürlich teurer verkaufen, aber das zieht allerhand nach sich: Da steigen die Gagen. Da kommen dann die Sänger und sagen, jetzt, wo ihr mehr Geld über den Kartenverkauf einnehmt, da singe ich doch nicht mehr für die alte Gage. im Regelfall müssen wir aber die Preise alle zwei Jahre linear um ein geringes erhöhen, um steigende Kosten auszugleichen. Aber es stimmt schon, unsere Preise sind sozialverträglich.
ABENDBLATT: Vor allem im Verhältnis zu Salzburg.
WAGNER: Das will ich nicht miteinander vergleichen; ich glaube, wir folgen anderen Prämissen.
ABENDBLATT: Können Sie sich vorstellen, einmal hier zu sitzen und zuschauen zu müssen, wie ein anderer die Festspiele leitet?
WAGNER: Meine Vorstellungskraft ist größer, als mancher vielleicht denkt.