Der Höhepunkt eines Theaterstücks findet oft im dritten Akt statt -­ auch auf der Aktionärsversammlung der Daimler AG in Berlin. In Akt Drei trägt Daimler-Chef Dieter Zetsche den Geschäftsbericht vor.

Berlin. Der Höhepunkt eines Theaterstücks findet oft im dritten Akt statt -­ auch auf der Aktionärsversammlung der Daimler AG in Berlin. In Akt Drei trägt Daimler-Chef Dieter Zetsche den Geschäftsbericht vor.

Rund 8000 Aktionäre blicken auf den Mann mit dem großen, weißen Schnauzer. "Das erste Quartal wird deutlich negativ", sagt er. "Desch isch super", ruft ein Schwabe aus den Rängen dazwischen. Das Publikum lacht. Zetsche spricht weiter, jetzt über Entlassungen. Auftritt Zwei des Schwaben: "Ja, desch kannsch." Plötzlich ruft ein anderer: "Raus." Erste im Publikum stehen auf. Nach und nach fallen alle ein: "Raus, raus, raus!" Das Publikum übernimmt die Regie und lässt den Aufrührer aus dem Saal entfernen. Ende des Aktes.

Die Daimler-Aktionärsversammlung war simultan Schauplatz einer außergewöhnlichen Inszenierung. Die Theatergruppe Rimini Protokoll schleuste zahlendes Publikum in die Ränge. Rund 150 Zuschauer verfolgten das gut zwölf Stunden lange Programm wie ein Bühnenstück. Die Regie führte das Stuttgarter Unternehmen und das Publikum.

Maria Wolgarst erlebt Akt Drei über einen Bildschirm in der Lobby des Konferenz-Zentrums ICC. Sie kichert, als das Publikum kollektiv "raus" ruft. "Das ist super. Das ist Theater extrem. Wir beobachten einfach, was hier geschieht", sagt die Zuschauerin. Die Lobby war einige Stunden zuvor bereits Schauplatz von Akt Eins.

Es ist 8.00 Uhr. Es ist hektisch und laut. Es riecht nach Kaffee. Die vornehmlich älteren Aktionäre stürzen sich auf das Frühstücks- Buffet. Irgendwo fällt eine Rentnerin hin. Die Theaterbesucherin Wolgarst hält eine Tasse Tee in der Hand und liest in einem weißes Buch. "Hauptversammlung. Ein Schauspiel in 5 Akten" steht auf dem Titel. Rimini Protokoll hat die 112 Seiten zur Veranstaltung publiziert. Neben einer Auflistung zur Besetzung, also dem Vorstand der AG, einer Illustration des Bühnenaufbaus gibt es detaillierte Beschreibungen des Ablaufs. Zu Akt Zwei gibt es zudem eine Checkliste zu den vorgeschriebene Protokoll-Punkten einer Aktionärsversammlung. Werden die Aktionäre begrüßt? Abgehackt. Applaus gespendet? Abgehackt. Gedenken an die Toten. Abgehackt. Vorstellung des Notars. Abgehackt. Applaus 2? Abgehackt.

"Eine solche Versammlung ist ein Ritual", sagte Daniel Wetzel von Rimini Protokoll. "An sich ist es kein Ereignis, hier geht es nicht um Neuigkeiten. Wann geklatscht wird, steht vorher fest." Vielmehr sei die Versammlung als eine Bühne zu sehen, auf der jeder seine Rolle spiele - Redner, Zuschauer, Hostessen und Journalisten. Denunzieren wollen die Theatermacher das Groß-Unternehmen damit nicht, nur auf Versammlungen als eine Art Schauspiel aufmerksam machen.

Die Dokumentartheatergruppe ist gerade für Stücke bekannt, in denen nicht Schauspieler, sondern Experten aus verschiedenen Bereichen auf der Bühne stehen. Die Spanne bei Rimini Protokoll reicht von der Welt der Modelleisenbahner bis zu Marx' "Kapital". Die Daimler AG war davon informiert und hat die Veranstaltung mit der Bedingung geöffnet, dass die Theaterzuschauer selbst Aktionäre sind oder über Einladungen verfügen, die Aktionäre an diese abgetreten haben.