In Köln stürzt plötzlich das Historische Stadtarchiv in sich zusammen, reißt Teile der angrenzenden Häuser und zwei ihrer Bewohner mit, und man muss befürchten, dass der U-Bahn-Bau unter der Kölner Innenstadt die Ursache sei. Da fällt einem Hamburger Bürger natürlich sofort die U 4 ein, jene U-Bahn, deren Tunneltrasse derzeit unter der Hamburger Innenstadt vorangetrieben wird...

In Köln stürzt plötzlich das Historische Stadtarchiv in sich zusammen, reißt Teile der angrenzenden Häuser und zwei ihrer Bewohner mit, und man muss befürchten, dass der U-Bahn-Bau unter der Kölner Innenstadt die Ursache sei. Da fällt einem Hamburger Bürger natürlich sofort die U 4 ein, jene U-Bahn, deren Tunneltrasse derzeit unter der Hamburger Innenstadt vorangetrieben wird, demnächst circa 40 Meter unter dem Jungfernstieg. Und schon treten die Experten auf und sagen, es sei alles unter Kontrolle. Gesamtprojektleiter Hoffmann sagt, laut Abendblatt, auch am Jungfernstieg sei die Entfernung der Trasse zu den Häusern so groß, dass "gravierende Schäden nach menschlichem Ermessen auszuschließen sind".

In Amsterdam stürzt, nur drei Kilometer vor der Landebahn des Flughafens Schiphol, ein Verkehrsflugzeug auf einen Acker und zerbricht in drei Teile. Der Höhenmesser hat falsch angezeigt und per Autopilot den Schub gedrosselt, aber die Piloten haben das zu spät korrigiert - eine Verbindung von technischem Defekt und "menschlichem Versagen".

Das Ermessen und das Versagen verbindet ein Adjektiv: menschlich. Liegt es daran, dass wir die Formulierung "nach menschlichem Ermessen" als eine Einschränkung empfinden? Und das ist sie ja auch. "Nach menschlichem Ermessen" will sagen: soweit man es überhaupt beurteilen kann. Im öffentlichen Recht ist das Ermessen, also der Beurteilungsspielraum, den beispielsweise eine Behörde bei der Risikoabwägung von Baumaßnahmen hat, ziemlich genau festgeschrieben. Das kann (und wird auch künftig) Katastrophen wie die in Köln wohl nicht verhindern. Denn nicht das Ermessen ist das Problem, sondern das Adjektiv "menschlich".

"Menschliches Versagen" ist längst eine gebräuchliche Formel, die (resignierend) hingenommen wird. "Irren ist menschlich" - das weiß, das sagt doch jeder. Trauen wir uns nichts mehr zu? Ist dieses Adjektiv "menschlich" zur Maske des Misstrauens in unsere eigenen Fähigkeiten geworden? Gründe für diese Annahme stehen täglich in der Zeitung, nicht erst heute. "Alle menschlichen Einrichtungen sind unvollkommen im höchsten Maße und am meisten staatliche Einrichtungen", hat schon der Kanzler Otto von Bismarck 1884 im Reichstag gesagt.

Wer will, kann auch das Buch der Bücher als Zeugen aufrufen. Dort steht im 1. Buch Mose (Kapitel 8,21) in Luthers Übersetzung: "... denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf." Und das soll dann so bleiben? Natürlich nicht. Aber, bemerkt Goethe im "Wilhelm Meister": "Welchen Weg musste nicht die Menschheit machen, bis sie dahin gelangte, auch gegen Schuldige gelind, gegen Verbrecher schonend, gegen Unmenschliche menschlich zu sein! Gewiss waren es Männer von göttlicher Natur, die dies zuerst lehrten." Dass dies so ist, weiß auch der Teufel, und es verdrießt ihn. Würde sonst Mephisto im Vorspiel zum "Faust", nach einem Dialog mit jener höheren Instanz, sarkastisch sagen: "Es ist gar hübsch von einem großen Herrn, /So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen"?

Wie nahe "menschliches Ermessen" und "menschliches Versagen" einander sind, das ist (und bleibt) unser Problem. Wir entscheiden das.