Der deutsche Grand-Prix-Beitrag ist in der Kritik. Es geht auch anders: Der Wahlhamburger Pascal Finkenauer singt beim Bundesvision Song Contest, Patricia Kaas beim Grand Prix für Frankreich.
Hamburg. Pascal Finkenauer macht es sich nicht leicht. Und dem Hörer auch nicht. Wenn der Wahl-Hamburger diesen Freitag für sein Geburtsland Rheinland-Pfalz beim Bundesvision Song Contest antritt, wählt er absichtlich keinen massenkompatiblen Song.
"Ich finde es gut, wenn ich mit meinen Sachen im Wohnzimmer stattfinde - bei Leuten, die das sonst nicht mitbekommen", sagt der 32-Jährige. Für Finkenauer und viele andere junge Musiker ist der Musik-Wettstreit, den Moderator Stefan Raab bei ProSieben ausrichtet, nicht nur ein gutes Kontrastprogramm zum Grand Prix. "Ich finde, der Bundesvision Song Contest ist die einzige Plattform im deutschen Fernsehen, in der Musik, die ein bisschen kantiger ist, ein breiteres Publikum erreichen kann. Es gibt zum Beispiel bei 'Wetten dass ..?' keinen Slot für einen Newcomer. Warum ist das so?", kritisiert Finkenauer die vor allem in Sachen Pop sehr verflachte TV-Landschaft.
Dass es sich lohnt, junger, innovativer Musik eine größere mediale Bühne zu bereiten, demonstriert Finkenauer mit seiner aktuellen Platte "Unter Grund" eindrucksvoll. Die zwölf neuen Songs verstören und fesseln zugleich. Schon wenn er seine dunkle, intensive Stimme den befreundeten Kollegen von Fettes Brot leiht, für Stücke wie "Ich lass dich nicht los" oder "An Tagen wie diesen", erhält der Hip-Hop-Sound der Hamburger eine tragische Tiefe. Nun, auf seinem dritten Soloalbum, ist der Multiinstrumentalist zwar seinem musikalischen Handwerkszeug treu geblieben, kombiniert Punk und Rap, Rock, Pop und Elektro. Doch innere und äußere Abgründe lotet der Pop-Künstler noch eine Spur kraftvoller aus als auf dem Vorgänger "Beste Welt".
Bei "Unter Grund" kann der Hörer Geologe sein, kann graben, entdecken, tiefer gehen. Als Minenarbeiter seiner selbst fördert Finkenauer verschiedenste Schichten zu Tage. So lässt sich die Platte als Trennungs- und Beziehungsgeschichte hören - mit Zeilen wie "Ich schlaf mit dir/du schläfst mit mir,/der Rest ist die Idee vom Wir."
Die Lieder sind aber auch als Dialog mit dem eigenen Ego zu verstehen . "Was ist Untergrund? Welche Jugendbewegung funktioniert noch? Wo findet heute Andersartigkeit statt?" Das chansoneske "Weißt du noch" schildert sehr eindringlich den Wandel von jugendlichem Stürmen und Drängen hin zu der Frage, welche Ideale heute brauchbar, welche Symbole noch provokant sind. Für Finkenauer führten die Antworten in letzter Konsequenz zu einer "Revolution gegen sich selbst".
Schon der erste Song "Ich blicke an dir vorbei" manifestiert diese Grundhaltung: "Weg von der Oberfläche." Das Album erzählt von einem Menschen, "der gefangen ist in all dem, was er von sich hält" - und der diese Strukturen aufgibt, der sich selbst untergräbt. "Gesetze brechen, ohne Gesetze zu brechen", nennt Finkenauer das.
Ein nachdenklicher Gesprächspartner ist er, dieser schlanke Typ, der gern Hut trägt. Doch die Konzentration auf die eigene Person sei keineswegs depressiv gemeint, vielmehr wie eine Initiation. Vor einem Neustart stehen aber, wie so oft, dunklere Phasen der Selbstfindung, die Finkenauer in seiner Musik eindrucksvoll durchläuft.
Zu hören ist diese "Unmuts-Ästhetik" in Songs wie dem nervös-jazzigen "Verdammt sein", das das Dilemma zwischen bürgerlicher Existenz und Carpe diem beleuchtet. Oder in "Zu glatt", das eine fast psychopathenhafte Aura entfaltet.
Gerade live hat für Finkenauer die Wucht und Wut seiner Songs auch einen kathartischen Effekt. "Ich muss das auch mal rauslassen können." Eine Bühnenenergie, die ihn mit dem Goethe-Institut bis nach Israel brachte, wo Schüler beim Konzert mit der Taschenlampe seine Texte mitlasen und "schrien wie bei den Beatles".
Die gesunde Egozentrik, die er auf "Unter Grund" propagiert, hat er auch in puncto Produktion entwickelt - und ein Label gegründet. "Ich hatte Lust, das Ganze selbst anzugehen und ein Team zusammenzustellen - aus purem Erfahrungshunger." Lästiger Papierkram inklusive. Er macht es sich eben nicht leicht. Zum Glück.