“Die Ballade von Cenk und Valerie“ ist der letzte “Tatort“ für Hamburgs Kommissar Mehmet Kurtulus.
Hamburg. Er lächelt entspannt wie nach einer hawaiianischen Lomi-Massage. Das Sakko wirkt mehr übergeschmissen als vor dem Badezimmerspiegel angelegt, dazu T-Shirt, Jeans, Selbstbewusstsein. Wenn man nicht wüsste, dass sich Mehmet Kurtulus nichts dabei gedacht hat, würde man denken: Er hat sich etwas dabei gedacht. Naheliegender aber ist, dass sein Outfit nur der Sahneklecks ist auf einem Kessel brodelnder Zuversicht, eine Sorgloshaltung im Quadrat sozusagen. "Ich versuche zuzuhören. Einen Moment lang anzuhalten, mich nicht gleich wieder mit allem Möglichen abzulenken, dann kommen die Dinge von alleine auf dich zu", sagt Kurtulus mit Brummstimme.
Nun ist dies kein Gespräch über Zen-Kloster, Zeitgeistkrankheiten und Stillsitzübungen. Sondern eines über letzte Dinge. Über Glückssuche(r) und Abschied von einer Rolle, die längst mehr war als nur irgendeine Rolle. An diesem Wochenende wird Mehmet Kurtulus zum letzten Mal im Hamburger "Tatort" zu sehen sein, "Die Ballade von Cenk und Valerie" heißt die Folge, die auch ein Abschiedswalzer ist, ein Tanz mit Tod und Teufel. Nie wieder wird sich der verdeckte Ermittler Cenk Batu mit James-Bond-hafter Weltenrettergeste (aber ohne die Pose, ohne das Martini-Gerühre) in den islamistischen Untergrund stürzen, Mädchenfängerbanden aushebeln, das SEK unterwandern. Es waren keine Superheldenabenteuer, die dieser Mann durchlebte, sondern Geschichten aus der Gegenwart dieses Landes. Und Cenk Batu war kein Kommissar, der wie ein Stehaufmännchen aus jedem Fall herausspazierte, hinein ins nächste Abenteuer, nur mit anderem Dienstwagen. Er war nach bestandener Aufgabe ein anderer, hatte sich gehäutet, manches auf der Strecke gelassen, anderes am Wegrand aufgelesen. Und dann auf dem Grund seines Herzens versenkt. Ironischerweise war gerade Batu, dessen Privatleben sich der Zuschauer mit Hilfe von Fernschach und Flirts in der Waschküche selbst zusammenbasteln musste, der menschlichste und nahbarste aller "Tatort"-Ermittler.
+++Cenk Batu: Ein spektakuläres Finale+++
Und damit soll nun Schluss sein, warum denn bloß? "Das ist eine Parallele zwischen Cenk Batu und mir: Ich liebe auch das Risiko. Ich brauche auch die Ungewissheit, aus der ich kreative Kraft schöpfe, und die sichere Bank hat mich noch nie gereizt", sagt Kurtulus mit Abenteuerblick. Sätze wie Ohrfeigen. Zum Teufel mit der Bequemlichkeit, dem Immergleichen, der Welt der Konjunktive. Ziemlich genau vor fünf Jahren wurde die Idee des verdeckten Ermittlers geboren. Doris Heinze - in der Branche wird heute mit Vorliebe getan, als hätte es die frühere NDR-Fernsehspielchefin nie gegeben - beharrte auf die Besetzung von Kurtulus, der bislang Liebesfilme und Katastrophenmehrteiler fürs Fernsehen gedreht und den Filmen von Fatih Akin, etwa der Altona-Saga "Kurz und schmerzlos", seine melancholische Aura geliehen hatte.
Er war der erste türkischstämmige Ermittler im deutschen Fernsehen, der erste Undercover-Agent im "Tatort". Drehte Fälle, die man mögen konnte oder nicht, die aber nie Durchschnittsware waren, niemals harmlos, nett, schon vergessen, wenn sich Jauchs Fragerunde an den Abspann anschloss. Aber darum ging es nur zweitrangig. Viel wichtiger waren die Klarheit und die Kraft des Genres, die die Krimifolgen aus Hamburg gegen die Albernheiten der Kommissare, gegen das Heitere und das Seichte setzten.
"Natürlich ist es vollkommen okay, sich auch mal einfach nur vom Fernsehen berieseln zu lassen. Beim Hamburger 'Tatort' ging das nicht", sagt Kurtulus, der als Cenk Batu mit beinahe prophetenhaft sicherem Stilgefühl seine Aufträge erledigte, die immer kleine Lebenswerke waren und in lückenlosen, straffen Spannungsbögen erzählt wurden. Hingeschnoddert manchmal, dass man nur die Hälfte verstand, langweilig nie.
Dass die Zuschauer im Vergleich zu den Polizeimarkeninhabern aus Münster oder Köln eher zögerlich einschalteten - es war der Preis, den man bereit war zu zahlen für das Netz ohne doppelten Boden, auf dem die Batu-Filme balancierten. Attentat auf den Bundeskanzler? Noch während man innerlich den Kopf schüttelt über diese leise größenwahnsinnige Prämisse als Plot für den Sonntagskrimi, weiß man: Wenn, dann nur mit Batu. Weil hier höher gezielt wurde als anderswo und in Kauf genommen wurde, auch mal übers Ziel hinauszuschießen.
"Die Ballade von Cenk und Valerie" ist der fatalistischste, dunkelste, traurigste Fall des "Borderliner-Kommissars", wie Kurtulus ihn nennt. Mehr Tragödie als Krimi. Und in seiner Mischung aus Melancholie und Verrat, aus Misstrauen und Größenwahn, wunderbar getroffen für einen Schluss- und Höhepunkt nach sechs "Tatort"-Filmen. Ein Film von Menschen, die etwas riskieren, über Menschen, die etwas riskieren, ach was: alles aufs Spiel setzen, selbst das eigene Leben. Und das des Bundeskanzlers, den Batu erschiessen soll, um seine Freundin zu retten.
Eher beiläufig haben die Vorgängerfolgen von der Identitätskrise eines Mannes mit zahllosen Identitäten erzählt; diese hier rückt den Ermittler mitsamt seinen Träumen und Wünschen in den Mittelpunkt, um 90 Minuten lang Gut und Böse durcheinanderzuwirbeln, bis es nur noch stark und schwach gibt, keinen Gewinner, überall nur Verlierer.
"Zeit zu sterben, Cenk", sagt Corinna Harfouch als Auftragskillerin Valerie zu Batu, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt schon keine Waffe mehr halten kann, selbst das Handy rutscht ihr aus der zitterigen Hand. Kalt lässt dieser Film niemanden, Kurtulus schon gar nicht, aber: "Am Flughafen mit dem Rucksack über der Schulter - das ist nicht Cenk Batu." Mehr als ein würdiges Ende musste ein Ende her, das so kompromisslos ist wie die Figur von vornherein angelegt war. Gefunden haben sie eines, dem man auch das alte Dante-Zitat zum Hölleneingang voranstellen könnte: "Lasst alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr hier eintretet."
Mehmet Kurtulus ist bekannt dafür, dass er nicht gern über seine Filme spricht, lieber macht er den nächsten. In Zeiten, in denen Til Schweiger, seines Zeichens Nachfolger von Kurtulus als Hamburg-Kommissar, den "Tatort"-Vorspann umstricken möchte; Schauspieler Matthias Brandt dagegen lieber einen "Tatort"-Vorspann vor seinem "Polizeiruf" sehen würde, in diesen Zeiten freut man sich umso mehr über einen wie Kurtulus. Der kommt, spielt und geht. Aber traurig ist das Ganze schon, oder nicht? "Hamburg geht nicht verloren, Hamburg wird immer einen Platz in meinem Leben haben", sagt Kurtulus, der nicht zu Sentimentalitäten neigt, ein wenig sentimental. Er sagt auch: "Liebe ist Entdeckung. Ich bin gespannt, was es morgen wieder Neues zu entdecken geben wird." Man kann ihm nicht widersprechen, man kann ihn nicht aufhalten, abhalten von dem, was der Schauspieler "an anderen Stränden surfen" nennt. "Ich will nicht irgendwann aufwachen und denken: Mist, war dieses Leben lebenswert?", sagt Kurtulus, der erst vor einer Woche seinen 40. Geburtstag feierte.
"Auf der Sonnenseite" hieß der erste "Tatort" mit Cenk Batu. In diesem letzten hört es nicht auf zu regnen, es schüttet wie aus Eimern. Die lichtgefluteten Erinnerungsfetzen von dem Fischerdörfchen auf Lanzarote, die Abenddämmerung und das Lachen von Batus Freundin Gloria (Anna Bederke) sind nur ein schwacher Trost unter der Haut aus Eis. Der in Hamburg geborene Regisseur Matthias Glasner, der auch das Drehbuch schrieb, hat einen Film inszeniert, der keine Fragezeichen kennt, keinen Weichzeichner und kein Vielleicht. Er fängt nicht vernünftig an, er endet nicht vernünftig, ja, er will verdammt noch mal nicht vernünftig sein, Logik und Realität ignoriert er geflissentlich. In "Die Ballade von Cenk und Valerie" hat Cenk Batu keine Wahl mehr und keine Chance.
Mehmet Kurtulus dagegen stehen alle Wege offen.