Für seine Rollen muss Mirco Kreibich schon mal bluten. In China will der Thalia-Schauspieler nun die Zuschauer kopieren.
Hamburg. Mit seinen Gedanken ist Mirco Kreibich schon in China. Mitte Juni reist er mit anderen Schauspielern und Technikern des Thalia-Theaters nach Shanghai, um dort Jette Steckels Inszenierung von " Caligula " vier Tage lang im Dramatic Arts Center aufzuführen. Kreibich spielt die Titelrolle in Albert Camus' Stück über den wahnsinnigen römischen Kaiser.
Über sein chinesisches Publikum macht er sich ganz handfeste Gedanken: "Ob die Chinesen sich wohl fotokopieren lassen?" Bevor das Stück beginnt, muss jeder Zuschauer seine Nase auf einen Fotokopierer legen und wird gescannt. Später hängen diese Copy-Porträts an der Wand des Bühnenbildes und werden zur Totengalerie des blutrünstigen Imperators. In Deutschland verfährt Kreibich sehr rigoros mit dem Publikum. "Wer nicht will, kommt auch nicht rein. Den schicke ich wieder raus. Oder sehe ihn so lange so böse an, bis er doch mitmacht. Aber ob die Chinesen überhaupt verstehen, was ich will?"
"Caligula" ist die erste große Rolle, die Mirco Kreibich am Thalia-Theater spielt. Der 27 Jahre alte Berliner gehört zu den jungen Schauspielern, die der neue Intendant Joachim Lux ans Haus am Alstertor verpflichtet hat. Auch Lux' Vorgänger Ulrich Khuon hatte Kreibich ein Angebot unterbreitet, denn der Nachwuchsschauspieler war drei Jahre lang am Deutschen Theater in Berlin engagiert, wo Khuon jetzt Chef ist. "Ich hatte zuerst große Bedenken, Berlin zu verlassen", sagt er, "aber jetzt bin ich doch froh, den Schritt gemacht zu haben. Es ist schon unglaublich, mit wie viel Leidenschaft sich hier alle in die Arbeit stürzen." Mit seinen blonden strubbeligen Haaren wirkt Kreibich wie ein Bruder von Kurt Cobain, eine Äußerlichkeit, die so offensichtlich ist, dass er von diesen Vergleichen leicht genervt ist. Genauso, wenn jemand ihn auffordert: "Tanz doch mal was!"
Kreibich hat eine Ausbildung als Balletttänzer an der Staatlichen Ballettschule und Schule für Artistik in Berlin hinter sich. "Eigentlich hatte ich mit vier Jahren mit Eiskunstlaufen angefangen. Doch nach der Wende hat es mit den neuen Trainern nicht so viel Spaß gemacht. Ich habe dann Ballett getanzt, bin später auf die Schauspielschule. So hat sich eins aus dem anderen entwickelt", erzählt er. Eigentlich möchte dieser drahtige Energiebolzen nicht auf den "körperlichen Schauspieler" reduziert werden, andererseits weiß er auch, dass er Fähigkeiten besitzt, die andere Kollegen nicht haben. Nach seinen Turnereien auf dem Kopierer in "Caligula" und der Free-Climbing-Einlage in "Andersen" blättern viele Theatergänger fast automatisch in den Programmheften, um sich den Namen dieses Schauspielerakrobaten zu merken.
Dass Mirco Kreibich auf der Bühne tatsächlich bis an die Schmerzgrenze geht, konnten Zuschauer in der vergangenen Saison am Deutschen Theater erleben, wo er die Titelrolle von Brechts "Baal" spielte. In einem Wutausbruch zerschmetterte er einige Glasflaschen, boxte in die Scherben und schnitt sich dabei einen Finger bis auf den Knochen auf. Das Blut strömte, Kreibich musste von der Bühne, aber den Zuschauern war im ersten Moment nicht klar, dass hier kein Theaterblut floss. Der Schauspieler wurde ins Krankenhaus gebracht, die Vorstellung wurde abgebrochen. "Ich ärgere mich heute noch, dass ich nicht weitergespielt habe, bis es wirklich nicht mehr ging. Das hätte so gut zu der Figur Baal gepasst. Das war ein bisschen feige."
Schonung kennt Kreibich nicht. Auch nicht in "Invasion!". In diesem hochpolitischen Drama von Jonas Hassen Khemiri, in der Garage des Thalia-Theaters in der Gaußstraße, sucht er die Konfrontation auf und außerhalb der Bühne und zeigt, dass er auch als 100-Meter-Läufer eine blendende Figur abgibt. "Invasion!" ist zum Kultstück dieser Saison geworden. Fast jede Vorstellung ist ausverkauft, mittlerweile werden vormittags wegen der großen Nachfrage Schülervorstellungen angeboten. Und Kreibich wieder mittendrin.
Gern würde er mal seine Kumpels in Berlin besuchen und bei seinem Lieblingsitaliener essen, doch es fehlt an Zeit. Bereits jetzt haben die Vorproben für einen Liederabend im Großen Haus begonnen, Kreibich weiß schon, dass er im "Hamlet" und in "Was ihr wollt" mitspielen wird, zurzeit muss noch ein Extraprogramm für die Expo in Shanghai einstudiert werden, und "Caligula" in China ist auch noch nicht final im Kasten. Die Kopierer-Nummer wird herausfordernd. Andererseits: Ausgerechnet mit Copyright haben die Chinesen ja noch nie ein Problem gehabt.
Die nächsten Termine von "Caligula" (Thalia/Gaußstraße): 25.5., 25.6., 1.7.; "Invasion!" (Garage/Gaußstraße) läuft am 27.5., 1.6., 23.6, 24.6.