Ein lebendiges Stück über Tod und Ausweglosigkeit: “Caligula“ im Thalia-Theater in der Gaußstraße.
„Können Sie bitte mal hierher kommen“, sagt der Tyrann höflich. Am Eingang zur Thalia-Werkstattbühne in der Gaußstraße müssen die Zuschauer sich dem kaiserlichen Willen unterwerfen. Caligula-Darsteller Mirco Kreibich zwingt jeden, sein Konterfei auf einem Kopiergerät abfotografieren zu lassen. Später hängen die Bilder mit verzerrten Grimassen als Totengalerie an der schwarzen Rückwand - Opfer des kaiserlichen Allmachtswahns.
Von blondem Zottelhaar umrankt und in eine vergilbte Bettdecke gehüllt trottet dieser Caligula als Widergänger von Grunge-Ikone Kurt Cobain über die Bühne. Nach dem Tod seiner Geliebten – und Schwester – Drusilla – hat er entdeckt: „Die Menschen sterben und sie sind nicht glücklich.“ Schon bald erfährt die Schar jugendlicher Untertanen mit dem Zuschauer: Die Welt ist ohne Sinn. Voller Widersprüche. Das Ende kommt sowieso. Der Kaiser aber rebelliert. Will erst, dass jemand den Mond vom Himmel hole. Später wird er alle, Untertanen wie missliebige Patrizier, wie ein Irrer abschlachten. Regisseurin Jette Steckel ringt dem 1945 uraufgeführten Erstlingsdrama „Caligula“ des damals 25 Jahre jungen Albert Camus wahrhaftige und nur gelegentlich im Flapsigen verpuffende Szenen voller Spiellust ab. Hier entwarf Camus erste Züge seines „absurden Menschen“. Dass diese Erkenntnis des Absurden der Existenz ausgerechnet diesem grausamen Kaiser, Synonym für zeitgenössische totalitäre Herrscher, dräut, bleibt ein Rätsel. Das Meucheln wird für ihn zur einzig möglichen Auflehnung. Andere Wege kennt er nicht.
Die Zuschauer dürfen sich hier mit auflehnen. Die vierte Wand reißt ein, einer wird zum Verlassen des Saales aufgefordert, ein anderer soll sich da vorne kurz mal wie Gott fühlen. Mit vernünftiger Rede erreichen sie Caligula nicht mehr, die Vertrauten Scipio (Thomas Niehaus) und Cherea (Jörg Pohl), nur die Geliebte Caesonia (Alwara Höfels) singt gegen das Morden an. Der feinnervige Körperderwisch, der da tobt, ist eine echte Entdeckung. Mirco Kreibich, neu im Thalia-Ensemble, schlurft, rast und dreht wie eine aufgezogene Spielzeugpuppe über die Bühne, dann wieder kauert er zerknirscht in einer Ecke, lauert, verzweifelt. Zwingt sich in Frauenkleider. Liest seinen eigenen Tod vor. Am Ende wird auch er seinen Kopf auf den Kopierer legen. Eigentlich geht es ja um Tod und Ausweglosigkeit. Selten hat man das so lebendig gesehen.
Caligula nächste Vorstellungen 15.10., 20./21.10., 28./29.10., jew. 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de