Hamburg. Hamburgs Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Matthias Iken. Heute geht es um die Lehren aus der Flut.
Matthias Iken: Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen wird die Ministerpräsidentenkonferenz vorgezogen. Erleben wir eine Neuauflage des Ringens zwischen Bund und Ländern?
Klaus von Dohnanyi: Der Bund kann immer nur allgemeine Regeln formulieren, Länder und Kommunen müssen diese dann ortsnah und pragmatisch anwenden. Die reale Welt vor Ort ist nämlich der viel beschimpfte „Flickenteppich“, nicht die Politik! Politik muss aber dieser Vielfalt gerecht werden. Deswegen sollte auch mit den Ländern die reale Welt am Beratungstisch sitzen. Ich finde, unsere föderale Verfassung bietet hier mehr Vor- als Nachteile!
Iken: Wäre nicht allen gedient, dem Bund insgesamt mehr Kompetenzen zu übertragen?
Dohnanyi: Ja und nein. Unklare Zuständigkeiten von Ländern und Bund haben jedenfalls gefährliche Nachteile. Verantwortungen müssen gerade im Föderalismus besonders eindeutig sein. Beispiel: Die Gesundheitsämter sind unbedingt zu digitalisieren: gesetzliche Regelung beim Bund; Umsetzung und Aufsicht bei den Ländern. Oder: Der Katastrophenschutz braucht bundesweit (vielleicht sogar europaweit) ein gleichartiges Warnsystem: Regelung und Koordinierung beim Bund; Einbau, Wartung und Alarmauslösung bei den Ländern, beziehungsweise den Kommunen. Katastrophen sind eben meist regional und werden am besten auch regional bekämpft.
Iken: Aber zeigen nicht gerade die verheerenden Folgen der Flut, dass die Länder überfordert sind – und der Bund als oberster Katastrophenschützer einspringen sollte?
Dohnanyi: Niemand weiß besser, was im Ernstfall fehlt, als Bürgermeister oder Landrat vor Ort. Aber Länder und Bund müssten die Vorsorge jetzt besser regeln. Wir haben lange Erfahrungen mit Flutkatastrophen, warum gibt es offenbar dennoch keine detaillierten Karten bedrohter Siedlungen? Das sollte der Bund regeln. Und die Planung sollten die Länder dann erstellen. Kein Bundesministerium könnte eine Flut in Ahrweiler bekämpfen! Unser Föderalismus hat große Vorteile; andere Staaten möchten ihn einführen. Aber auch Föderalismus braucht Modernisierung. Eine wichtige Aufgabe der nächsten Bundesregierung.