Ahrensburg. Viele Haushalte rutschten in den vergangenen Monaten in die Grundversorgung. Kosten haben sich mehr als verdoppelt.
Das alte Jahr ging für Peter Wentzel (Name geändert) mit einer Hiobsbotschaft zu Ende. Die festlichen Feiertage waren gerade vorüber, da flatterte dem 79-Jährigen ein Brief seines Energieversorgers ins Haus. In dem Schreiben vom 27. Dezember teilte ihm die Stromio GmbH mit, dass der Vertrag für sein Haus in Trittau rückwirkend zum 21. Dezember gekündigt worden sei und er seinen Strom künftig vom zuständigen Grundversorger beziehe, in diesem Fall E.ON. „Das war natürlich ein Schock für mich“, so Wentzel. Denn statt eines monatlichen Abschlags von bislang 138 Euro, soll er fortan 323 Euro zahlen, also weit mehr als das Doppelte. „Das ist für mich als Rentner ein erheblicher Preisaufschlag, der mich im Jahr über 2200 Euro mehr kostet“, so Wentzel.
Die Verbraucherzentrale NRW schätzt, dass innerhalb der vergangenen Monate rund zwei Millionen Haushalte in die Grundversorgung gerutscht sind. Betroffen sind vor allem Strom- und Gaskunden, die Billiganbietern vertraut haben. Die so genannten Energiediscounter locken gern mit diversen Bonuszahlungen. So wie Stromio, das zum Firmengeflecht Grünwelt von Ömer Varol mit Sitz in Kaarst (NRW) gehört.
An den Börsen Preisaufschläge von 400 Prozent
Laut Kündigungsschreiben sah sich das Unternehmen mit einer „nie dagewesenen Preisexplosion an den europäischen Energiehandelsplätzen konfrontiert“. Das „Zusammentreffen verschiedener Faktoren“ habe an den Beschaffungsmärkten zu Preisaufschlägen um mehr als 400 Prozent geführt. Eine Gesamtentwicklung, die in dieser Form nicht vorhersehbar gewesen sei.
Die Bundesnetzagentur geht nach „Spiegel“-Recherchen indes dem Verdacht nach, Varols Unternehmen hätten in den vergangenen Wochen ihre Gas- und Stromkontingente im Großhandel zu Höchstpreisen veräußert, um anschließend den eigenen Endkunden die günstigen Verträge zu kündigen.
Verbraucherzentrale rät zu Schadenersatzklagen
Die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein vertritt jedenfalls die Auffassung, dass viele dieser Kündigungen nicht rechtmäßig sind. „Die Kündigung wegen eines veränderten Preisgefüges ist kaum zu rechtfertigen“, sagt Lenia Baga, Juristin mit dem Schwerpunkt Energierecht. Das Unternehmen trage das Risiko dafür, dass es sich am Markt zu Konditionen eindeckt, die unterhalb seiner Abgabepreise liegt. Folglich trage es auch die Verantwortung dafür, langfristig ihre Einkaufspreise zu sichern.
„Wir raten daher gekündigten Energiekunden, wenigstens zu versuchen, Schadensersatz gegenüber dem alten Stromanbieter durchzusetzen“, so Baga. Dazu biete die Verbraucherzentrale kostenlose Musterbriefe an. Ob die Kunden dann Geld erhalten, hängt aber letztlich davon ab, wie zahlungsfähig der ehemalige Anbieter noch ist.
39 Energieanbieter gaben im Vorjahr auf
Die Suche nach einem alternativen Energieversorger gestaltet sich unterdessen schwierig. Im Zuge der Turbulenzen auf dem Energiemarkt kam es im vergangenen Jahr zu einer Marktbereinigung in großem Stil. Laut Bundesnetzagentur haben 39 Energielieferanten ihr Geschäft aufgegeben. Wer auf den großen Vergleichsportalen Tarife vergleicht, landet inzwischen fast automatisch bei den Dickschiffen der Branche, wie etwa Vattenfall, E.ON und LichtBlick.
Auf dem Vergleichsportal Check 24 erscheint die Grundversorgung von E.ON im Bereich Trittau für einen Vier-Personen-Haushalt mit 136,37 Euro monatlich und einem Arbeitspreis von 34,88 Cent pro Kilowattstunde momentan tatsächlich konkurrenzlos günstig. Allerdings gilt dieser Preis nur für die Laufzeit von einem Monat. Wer eine Preisgarantie für mindestens ein Jahr wünscht, muss deutlich mehr investierten.
Regionale Anbieter haben es schwer
KlickEnergie aus Neuss war bei unseren Recherchen am Montag bei einem Arbeitspreis von 44,85 Cent/kWh im Tarif KlickStrom12 plus mit 170,93 Euro pro Monat gelistet, Vattenfall bei einem Arbeitspreis von 50 Cent/kwh im Tarif Easy12 Strom mit 182,23 Euro und LichtBlick bei einem Arbeitspreis von 49,98 Cent/kWh im Tarif ÖkoStrom Komfort12 mit 180,13 Euro.
Regionalen Anbietern wie etwa den Vereinigten Stadtwerken mit Sitz in Ratzeburg fällt es schwer, da mitzuhalten. Ende Mai war der Stromtarif moinstrom.12regio noch für einen Arbeitspreis von 31,19 Cent/kWh zu haben. Aktuell hat er sich auf 65,55 Cent/kWh mehr als verdoppelt, womit monatlich mindestens 254,42 Euro fällig werden.
Einkaufspreise auf historischem Höchststand
Moritz Manthey vom e-werk Sachsenwald, dem Grundversorger der Stadt Reinbek, verfolgt die Entwicklung der Strom- und Gaspreise an der Leipziger Strombörse täglich. „Solche Preissteigerung wie in den letzten Monaten habe ich noch nicht erlebt, die Preise sind auf einem historischen Höchststand“, sagt der 41 Jahre alte Vertriebschef, der auch für den Energieeinkauf zuständig ist.
Bislang habe man die Preisspitzen abfedern können, da die Stadtwerke ihre Energie nicht täglich, sondern vorausschauend über zwei, drei Jahre einkaufen. Eklatante Preiserhöhungen wie bei manchen Discountern gebe es deshalb nicht. „Anfang des Jahres mussten wir durch die gestiegene CO2-Abgabe unsere Gaspreise aber um rund zehn Prozent anheben“, so Manthey. Die Strompreise seien hingegen unverändert geblieben.
e-werk Sachsenwald meldet Kundenzuwächse
Mit 7,2 Cent pro Kilowattstunde bei einem jährlichen Verbrauch von mehr als 7135 kWh in der Grundversorgung sei der Preis im Vergleich zu anderen Energieversorgern aber immer noch moderat. Deshalb verzeichne das E-Werk derzeit viele neue Kunden und einen monatlichen Zuwachs von rund zehn Prozent beim Gas und fünf Prozent beim Strom. Nicht wenige seien von den insolventen Discountern gekommen.
Allzu sehr wachsen will der lokale Versorger aus Südstormarn allerdings nicht. „Das e-werk Sachsenwald versorgt vornehmlich Kunden im eigenen Versorgungsgebiet. Bergedorfer und andere Interessenten darüber hinaus können wir derzeit aber nicht mitversorgen“, sagt Manthey. Momentan beliefert der Versorger 8300 Haushalte in Reinbek, Wentorf, Glinde, Barsbüttel, Oststeinbek, Aumühle und Wohltorf mit Gas, und 25.000 Haushalte mit Strom.