Hamburg. Sozialsenatorin spricht in abendblatt@work über Armut in Hamburg. Wie der Abendblatt-Verein den Menschen in der Stadt hilft.
Für manche lautet das größte Problem kurz vor dem Fest, wie sie noch an Geschenke kommen, wenn die Läden geschlossen sind und Amazon wegen Überlastung nicht mehr rechtzeitig liefert. Es gibt jedoch Menschen, die keine Geschenke bekommen werden, weil ihnen schlicht das Geld dafür fehlt oder sie niemanden haben, der ihnen ein Präsent machen wird. In unserer Talkshow abendblatt@work sprachen die Sozialsenatorin Melanie Leonhard und Abendblatt-Redakteurin Sabine Tesche vom Verein „Hamburger Abendblatt hilft e. V.“ mit Moderatorin Yvonne Weiß über Armut in Hamburg.
Mehr als 70.000 Menschen wurden in diesem Jahr von unserem Verein mit der Kostenübernahme von dringenden Rechnungen, Therapien, Lebensmittelgutscheinen und Sachspenden unterstützt. Oftmals reichen die 432 Euro eines Hartz-IV-Empfängers nicht aus, um sich eine Waschmaschine zu leisten, wenn die alte plötzlich den Geist aufgibt. „Der Staat kann viel machen, wir sind für die Versorgung zuständig,“ erklärt Leonhard, „doch zusätzliche Hilfen wie von Ihrem Verein machen den Unterschied zwischen Überleben und Teilhaben – die Möglichkeit für ein Kind beispielsweise, auf Klassenreise zu gehen.“
Die Hilfsbereitschaft der Hamburger hat uns regelrecht überrollt
Sabine Tesche fragt sich, ob der Staat genug Hilfe leistet: „Wir übernehmen durch unsere Spendengelder oftmals seine Aufgaben, da würde ich mir ab und an mehr Großzügigkeit wünschen.“ Wenn beispielsweise eine Frau, die gerade aus dem Frauenhaus kommt, nach einem Kinderbett fragt, es aber nicht erhält, weil sie schon mal eines bekommen hat (das aber in der Wohnung des prügelnden Mannes steht). Oder wenn - wie gerade jetzt erst – einer Mutter von zwei Kindern der Strom abgestellt werden soll. „Der Mann von Vattenfall stand schon vor der Tür. Wir sind dann häufig schneller und unbürokratischer als die Behörden“, sagt Sabine Tesche. Sie weist daraufhin, dass sich Vereine in dieser Stadt um Nachhilfe kümmern, Schulmittagessen zahlen, Frühstückshilfen geben, Kleiderkammern und Tafeln organisieren und Einzelfallhilfen leisten.
Der Lockdown im Frühjahr zeigte außerdem, dass viele bedürftige Hamburger und Familien nicht ohne Lebensmitteln der Tafeln zurechtkommen. Der Verein „Hamburger Abendblatt hilft e. V.“ initiierte daraufhin eine Lebensmittelgutschein-Aktion. Gutscheine sind eine würdevollere Art der Unterstützung, weil sie den Menschen die Möglichkeit geben, sich ihre Produkte selbst auszusuchen. Es wurde die erfolgreichste Hilfsaktion seit Gründung des Abendblatt-Vereins im Jahr 1975: 1,34 Millionen Euro kamen zusammen. „Die Hilfsbereitschaft der Hamburger hat uns regelrecht überrollt, aber das war einfach wunderbar“, berichtet Sabine Tesche.
„Wir können den Menschen nicht die Trauer, aber wir können ihnen die finanzielle Last nehmen"
Sozialsenatorin Leonhard empfindet große Dankbarkeit darüber, wie viele mitfühlende Menschen es in dieser Stadt gibt: „Hamburg ist beides, arm und reich. Und es zeigt sich immer wieder, wie viele großzügige Menschen es hier gibt, die noch nicht einmal reich sind!“ Gerade in der Vorweihnachtszeit erreichten sie viele Anfragen von Menschen, die helfen wollen, beispielsweise in der Obdachlosenhilfe. Die Politikerin erlebt jedoch auch immer wieder schwere Schicksale, die sie lange beschäftigen: „Gewisse Fälle sind so tragisch, da ist es dann auch egal, wie lange man dabei ist.“
Der Abendblatt-Hilfsverein erhält täglich rund 15 Anfragen, besonders mitgenommen reagiert Sabine Tesche, wenn ein Elternteil stirbt oder unheilbar erkrankt und Kinder ganz alleine übrig bleiben. Das raubt der Journalistin dann den Schlaf. Doch bei der Bewältigung des Leids helfe es immer, sich vor Augen zu führen, wie man unterstütze. „Wir können den Menschen nicht die Trauer, aber wir können ihnen die finanzielle Last nehmen, eine Beerdigung zahlen etwa, oder den traumatisierten Kindern eine Reittherapie ermöglichen.“ Wenn eine todkranke Mutter sich dann bedankt, welche Last ihr von den Schultern genommen wurde, weil sie sich in ihrer letzten Sterbephase auf ihre Kinder konzentrieren kann, dann seien alle schlaflosen Nächte vergessen.
Bei einem Fall im Jahr 2018, als ein Mann am Jungfernstieg seine Ex-Frau und die kleine Tochter mit einem Messer tötete, taten sich Tesche und Leonhard spontan zusammen, um den vier minderjährigen Söhnen der Frau zu helfen. „Wir unterstützen die Jungs immer noch, mal mit einem neuen Fahrrad, mal mit einer kleinen Reise oder einem Laptop“, berichtet Tesche. Im weiteren Gespräch erzählte Melanie Leonhard, wie sie es als Jugendliche in ihrer Gemeinde durchboxte, dass auch Mädchen in der Kirche als Messdienerin akzeptiert wurden und was sie arbeitenden Müttern rät, die ein schlechtes Gewissen plagt, weil sie befürchten, nicht genug für die Kinder da zu sein: „Ich kenne das Problem.“
Das ganze Gespräch sehen Sie vom 24.12. an unter: www.abendblatt.de/work