Hamburg. Wieso der renommierte Architekturkritiker Gert Kähler für den Wolkenkratzer am Stadteingang einen Sinn für die Gesellschaft fordert.

Es kommt nicht auf die Größe an, sondern auf die Bedeutung. Was schert es den Betrachter, ob das geplante Hochhaus an den Elbbrücken 235 oder 275 Meter hoch ist, zumal die Höhe eines Hauses kaum zu schätzen ist, wenn die Fassade von oben bis unten gleich aussieht?

Was der britische Architekt David Chipperfield an den Elbbrücken geplant hat, sieht elegant aus, die leichte Wendung der Geschosse schafft ein Element der Dynamik, der Bewegung, die spannend zu werden verspricht; Chipperfield ist schließlich ein großartiger Architekt. Nur: Was verbirgt sich hinter der glatten Fassade? Büros. Ein Hotel. Und Fitnessstudio. Und ein überdachtes Atrium, in dem sich Öffentlichkeit treffen kann - „kommunikativ“ sei das, so die Planer.

Elbtower: Größe allein ist nicht entscheidend

Das mag ja sein, nur trifft es nicht den entscheidenden Kern eines Bauens, das an den besonderen Orten einer Stadt gern auch als wichtige Architektur auftritt. Die tritt hier nur rhetorisch auf, indem die Befürworter nicht weiter begründete Behauptungen aufstellen: Auf der Website der HafenCity ist von einem „Zeichen setzenden Hochhaus“ die Rede – aber Zeichen für was?

Der Bauherr, eine Signa Real Estate, verspricht, „mit dem Projekt wollen wir einen Ort schaffen, der die gesamte Gesellschaft anspricht und miteinander verbindet“ – ein ganz schön großer Anspruch: die gesamte Gesellschaft! Und die zuständige Senatorin Dorothee Stapelfeld beschwört, „für diejenigen, die sich mit dem Auto oder der Bahn vom Süden über die Elbbrücken der Stadt nähern, wird der Elbtower deutlich machen, dass die wachsende Stadt Hamburg sich etwas traut“.

Nur: Was traut sich die Stadt?

Die einzige Bedeutung, die man aus dem Entwurf ablesen kann, ist: Es kommt auf die Größe an. Hamburg soll mal wieder Weltgeltung erlangen dadurch, dass es ein Hochhaus (wenn auch im weltweiten Vergleich eher mäßig hohes) baut. Und das ist alles?

Die Stadt hält sich immer noch weitgehend an das städtebauliche Credo, die mittelalterliche Silhouette der Stadt nicht zu zerstören. Deshalb müssen hohe Häuser wie die rund 120 Meter hohe Elbphilharmonie einen Anstandsabstand zur historischen Stadtmitte einhalten.

Historische Silhouette der Stadt beachten

Die historische Silhouette, das sind die Kirchtürme und der Turm des Rathauses, unter denen sich, in gebührendem Abstand, die Wohnhäuser ducken. Das zeigt jede historische Abbildung der Stadt. Auch damals spielt die Größe, die Höhe die entscheidende Rolle. In einer Gesellschaft, die sich noch im christlichen Glauben vereint sah, waren die Kirchtürme die sichtbaren Zeichen eines gemeinsamen Verständnisses. Die über Jahrhunderte gewachsene, bürgerlich-republikanische politische Ordnung fand ihren Ausdruck in einem Rathausbau, der das den Bürgern auch durch seinen hohen Turm mitteilte.

Es waren Bauten, die als gemeinschaftliche Anstrengung verstanden wurden; über die Rathaus-Architektur wurde 50 Jahre lang gestritten; mit seinem Bau identifizierte man sich. Im Ergebnis war die Stadt lesbar, verstehbar. Es war klar, was den Bürgern als gebauter Ausdruck ihrer Gesellschaft wichtig war; „öffentlich“ und „privat“ standen sich für jeden verstehbar gegenüber.

Die Kraft der Architektur

Diese Kraft hat Architektur immer noch, und Hamburg hat ein wunderbares Zeichen dafür in der Elbphilharmonie: Erst begeistert gefeiert, als der Entwurf bekannt wurde, im Bauverlauf verflucht wegen der Pleiten und Pannen, aber im Kern nie grundsätzlich angezweifelt. Und nach der Eröffnung ist es ein Haus, mit dem sich die Bürger identifizieren, selbst wenn sie nie im Konzert waren. Insofern hat der Bau die gleiche symbolische Kraft und Bedeutung wie früher Kirchen oder Rathaus.

Welche Bedeutung aber hat der „Elbtower“? Welches „Zeichen“ setzt er? Was sagt er denjenigen, die sich von Süden der Stadt nähern außer, „dass sich die Stadt etwas traut“, indem sie ein paar Stockwerke mehr als üblich stapelt? Welche Bedeutung hat das für eine Gesellschaft, die ihn ja immerhin aushalten muss? Keine. Auf der Homepage heißt es: „Der Elbtower wird mit internationalen Ausstellungen, Konzerten und Events die Kultur- und Kunstszene der Stadt mitprägen.“ Diese Szene der Stadt aber liegt nicht an den Elbbrücken. Und wir reden über ein Bürohaus mit weiteren Nutzungen. Über nichts sonst.

Botschaft des privaten Kapitals am Stadteingang

Mag sein, dass privates Investment und Büros für 3000 Angestellte wichtig sind. Aber hier entsteht eine Hülle mit der einzigen Botschaft, dass privates Kapital stadtbildprägende Dominanz hat. Das ist nicht neu, an diesem wichtigen Ort, am symbolischen Eingang zur Stadt aber überflüssig.

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Man kann an den Elbbrücken als Signal und Stadt-Einfahrt durchaus etwas Neues bauen. Und ja: Es darf auch hoch sein. Nur sollte es auch einen Sinn, eine Bedeutung besitzen, in der sich eine Gesellschaft erkennt. Denn das ist es, was uns die mittelalterliche Stadt lehrt, die wir doch so sehr lieben, dass wir ihre Silhouette bewahren wollen. Alles andere ist Disneyland.