In der TV-Talkshow „Was nun, Herr Scholz?“ tritt ein lang vermisster Bundeskanzler auf – nämlich klar, offen und leidenschaftlich.
Der Vorwurf, dass der Bundeskanzler seit Beginn des Ukraine-Krieges zu wenig zu hören und zu sehen ist, war immer übertrieben. Olaf Scholz war als alleiniger Gast in den Talkshows von Maybrit Illner und Anne Will, er hat sich auf Pressekonferenzen erklärt und sogar im Kinderfernsehen ein Interview gegeben. Er hätte natürlich noch mehr sagen können, gerade in Kriegszeiten muss der Kanzler seine Politik öfter erklären, weil vieles, was da gerade passiert, für die Menschen so neu wie beunruhigend ist.
Doch das Problem war nie die Zahl der Auftritte. Das Problem war, was er dabei gesagt beziehungsweise nicht gesagt hat. Oft wirkte der Kanzler blutleer und zögerlich, hier antwortete er nicht auf Fragen, die ihm gestellt wurden, dort las er stockend vom Blatt ab. Das war ein Rückfall in Zeiten, die man überwunden geglaubt hatte und aus denen sein wenig schmeichelhafter Spitzname stammt: Der „Scholzomat“ war zurück, und wer ihm zuhörte, war hinterher verwirrter als vorher.
Scholz macht Kehrtwende
Dass es anders geht, dass es tatsächlich einen Olaf Scholz gibt, der offen, leidenschaftlich und verständlich sprechen kann, hat er in der Sendung „Was nun, Herr Scholz?“ gezeigt. Warum erst jetzt? Der Kanzler hätte sich viel Häme und uns, den Bürgerinnen und Bürgern, viel Ratlosigkeit und Verärgerung ersparen können, wenn er seit Beginn des Krieges so geredet hätte wie bei seinem jüngsten TV-Auftritt.
Den Mann, den man dort sehen konnte, erleben Journalisten sonst nur, wenn die Kameras ausgeschaltet sind, in sogenannten Hintergrundrunden. Gestern trat der Olaf Scholz, den es auch gibt, endlich einmal in den Vordergrund, und man kann nur hoffen, dass das so bleibt. Dass er sich ein für alle Mal von seinem klassischen Kommunikationsstil verabschiedet, der Fragen einordnet, statt sie zu beantworten, der Dinge andeutet, ohne sie zu erklären.
Die Rhetorik des Kanzlers enttäuschte
Es war vor allem die Rhetorik des Kanzlers, weniger seine Politik, die die Menschen in Deutschland und die Partner im Ausland enttäuschte. Scholz’ Art, bedächtig und vorsichtig in Zeiten zu sein, in denen das „Geraune“ von einem Dritten Weltkrieg leider mehr ist als Panikmache, war vernünftig. Und wer behauptet, Deutschland würde weniger tun als andere, sagt nicht die Wahrheit.
Es wirkte nur so, als ob das so wäre, weil Scholz eben Politik nicht im „Stil einer PR-Abteilung“ macht und zudem wenig von überwiegend symbolischen Handlungen hält. Kommt hinzu, dass er am liebsten nur dann etwas sagt, wenn er glaubt, dass es etwas zu sagen gibt und er das, was er verkündet, umsetzen kann.
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Jetzt müssen nur noch Taten folgen
Das sind alles keine schlechten Eigenschaften für einen Regierungschef, und in normalen Zeiten reichen sie völlig aus. Wenn aber in Europa ein von der Atommacht Russland ausgelöster Krieg tobt, an dem Deutschland und die Nato-Staaten in einer Form beteiligt sind, die noch vor wenigen Wochen undenkbar gewesen wäre, muss ein Kanzler anders auftreten, und zwar genau so, wie Scholz jetzt aufgetreten ist. Und er muss gar nicht zu viel sagen, wenn seine Botschaften nur eindringlich sind und keiner weiteren Erklärungen bedürfen.
Dass Scholz so sprechen kann, hat er bewiesen, und das wird nachwirken: nach außen, weil sich die Diskussionen über seinen Regierungsstil beruhigen dürften, und nach innen, weil der Kanzler deutlich gemacht hat, dass er künftig nicht nur inhaltlich, sondern auch kommunikativ eine Führungsrolle beansprucht.
Dass dies so ist, hat Scholz übrigens schon einmal gezeigt, bei seiner sogenannten Zeitenwende-Rede im Deutschen Bundestag. Nur ist damals nach seinen Worten zu wenig nachgekommen. Was ein Fehler war, der ihm hoffentlich nicht noch einmal passiert.