Bad Oldesloe. Kulturamtschefin Inken Kautter geht. Im Interview spricht sie über den schwierigen Start, tägliche Herausforderungen und zieht Bilanz.
Nach fast sieben Jahren steht für Inken Kautter, derzeitige Kulturamtschefin in Bad Oldesloe und Leiterin des Kultur- und Bildungszentrums KuB, der nächste Karriereschritt an. Die 44-Jährige wechselt von der schleswig-holsteinischen Klein- in die niedersächsische Großstadt Göttingen, übernimmt dort den Fachbereich Kultur. In ihrer Oldesloer Zeit hat sie das Kulturleben entscheidend mitgeprägt und attraktiver gemacht, für neue Formate geöffnet, verstärkt lokale Akteure mit eingebunden und zahlreiche Netzwerke gegründet. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie das KuB zu einem Ort mit einem vielfältigen Bildungs- und Kulturangebot entwickelt, der nicht nur Stormarner, sondern auch Besucher aus dem Umland anzieht. Das gilt ebenso für Veranstaltungen im öffentlichen Raum wie das Kleinkunstfestival „PflasterArt“ oder das Open-Air „KuB auf dem Feld“.
Am heutigen Freitag feiert Kautter ihren Abschied im Kulturhof. Im Gespräch mit dem Abendblatt blickt sie zurück auf eine spannende Zeit, die von vielen Herausforderungen, aber auch von vielen Erfolgen geprägt war.
Hamburger Abendblatt Können Sie sich erinnern, mit welchem Gefühl Sie im September 2015 Ihre Stelle angetreten haben?
Inken Kautter Ich war sehr beflügelt, weil ich mich so darauf gefreut hatte. Eine Stadt mit 25.000 Bürgern, die so viel Begeisterung für Kultur und Bildung hat, dass sie mit einem Bau wie dem KuB den Kulturbereich ausbauen will – völlig antizyklisch gegen den damaligen Trend. Ich hatte erwartet, dass sich alle riesig freuen, dass es jetzt endlich losgeht.
War das nicht der Fall?
Kautter Faktisch kam ich in eine Stadt, in der die Stimmung ein bisschen am Kippen war. Weil die Baukosten von ursprünglich drei langsam auf 13 Millionen Euro stiegen und sich alle fragten, ob das nicht vielleicht doch zu viel ist für eine Stadt dieser Größenordnung. Und weil die Politik mittlerweile unter enormem Rechtfertigungsdruck stand und die Presse immer wieder den Begriff von der „Travephilharmonie“ ins Spiel brachte.
Wie wirkte sich das auf Ihre Arbeit aus?
Kautter Gleich am ersten Tag hat man in meinem Beisein im Bildungs-, Sozial- und Kulturausschuss den Arbeitsetat für das KuB eingefroren. Er wurde zwar nicht gestrichen, aber es hieß: „Wir stellen 100.000 Euro ein für die Kulturarbeit, aber mit Sperrvermerk, bis Sie begründet haben, warum Sie das Geld überhaupt brauchen.“ Danach kam ich erst einmal ernüchtert nach Hause und dachte, das wird schwerer als erwartet.
Wie ging es weiter?
Kautter Zum Glück hat sich die Atmosphäre im Kulturausschuss später gelockert. Wir haben zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gefunden. Und die erfolgreiche Arbeit, die wir hier machen konnten, hat all das erfüllt, was im Konzept stand, und den kulturellen Aufbruch eingelöst, den man sich vom Bau des KuB versprochen hatte.
Was waren die drängendsten Aufgaben?
Kautter Ein paar Wochen nach Dienstantritt war der KuB-Saal im Rohbau fertig, Glasfassade und Foyer fehlten noch. Das Einzige, was vollumfänglich vorhanden war, war das historische Rathaus. Der Rest war Baustelle. Die Inbetriebnahme des KuB und der Aufbau des Kulturbereichs der Stadt waren die beiden Aufgaben, die unter Hochdruck angegangen werden mussten. Bei allen Fragen betreffend die Nutzung des Gebäudes war in den Sitzungen immer darauf verwiesen worden, dass man warten wolle, bis die KuB-Managerin da sei.
Wie lief die Eröffnung des KuB ab?
Kautter Bei der Eröffnung am 2./3. September 2016 wollten am liebsten alle Oldesloer dabei sein. Doch der Saal fasst nur etwa 200 Personen. Für die große Gala mit Kulturprogramm am ersten Abend gab es eine Liste mit geladenen Gästen und 20 Karten wurden unter den Bürgern verlost. Aber weil es ein Haus der Bevölkerung und nicht der Honoratioren ist, wurde das KuB am nächsten Tag offiziell für Besucher geöffnet. Es gab Reden, Führungen, ein Straßenfest mit Musik und Stelzenläufern. Außerdem hatten wir einen Audiowalk über die Geschichte und Zukunft des Gebäudes produziert. Nach dem erfolgreichen Auftakt ging es darum, das KuB als Bildungs- und Kulturort zu etablieren.
Welche Bereiche umfasste Ihre Tätigkeit?
Kautter Die Stelle ist bis heute von zwei Augenmerken geprägt. Einerseits leitet man das Kulturbüro und den Betrieb im KuB und andererseits den Kulturbereich, der ja viel größer und eher eine Verwaltungstätigkeit ist.
Sind das nicht eigentlich zwei Stellen?
Kautter Das ist ein bisschen so, hat aber immer was mit persönlichem Engagement zu tun und damit, wie viele tolle Mitarbeitende man hat. Nachdem ich mit einem Kollegen angefangen hatte, durfte ich nach und nach weitere selbst einstellen. Ein so großes Aufgabengebiet kann nur erfolgreich bespielt werden, weil ganz viele Leute unterschiedliche Tätigkeiten übernehmen. Das Team besteht aus Voll- und Teilzeitkräften, die in der Verwaltung, im Archiv, bei der städtischen Raumvergabe, in der Stadtinfo und bei Abendveranstaltungen im Einsatz sind. Im KuB ist Katrin Offen zuständig für die Programmarbeit, Anna Plog für Außenveranstaltungen und Tim Knackstedt für Kulturarbeit und die Veranstaltungen für ältere Erwachsene.
Was macht das Programm so erfolgreich?
Kautter Ein Programm in der Bandbreite und Qualität kann man als Sachbereich nur gemeinsam erstellen. Will man richtig gute Kultur einladen, sollte man die Produktionen vorher gesehen haben. Dazu sind Menschen mit verschiedenen Schwerpunkten nötig. Ich komme beispielsweise aus dem Sprechtheater, Tim Knackstedt ist stark in klassischer Musik und Katrin Offen deckt den Bereich Kabarett und moderne Musik ab.
Wie sah Ihr Arbeitsalltag aus?
Kautter Mein Telefon und der Schreibtisch standen im KuB. Ich bin viel gelaufen, denn der große Umfang meiner Stelle führte dazu, dass ich sehr stark in viele Gespräche eingebunden war. In meinem Kalender standen jeden Tag mindestens drei, vier Termine zu Vor- und Nachbesprechungen, Neuorganisation und Strukturdebatte.
Wie lief die Zusammenarbeit im Team?
Kautter Meine 14 Kolleginnen und Kollegen ergänzen sich so gut und arbeiten so fantastisch zusammen, dass es eine Freude war, in diesem Bereich arbeiten zu dürfen. Auf der menschlichen Ebene ist das wirklich ganz großes Ballett.
Warum dann der Wechsel?
Kautter Da spielen persönliche Gründe und berufliche Ambitionen eine Rolle. Zum einen ist es für meine Familie ein extrem guter Zeitpunkt für einen Ortswechsel. Mein älterer Sohn kommt von der Grund- in die weiterführende Schule. Mein Mann orientiert sich gerade beruflich neu. Sagen wir, es gibt persönlich eine Wechselstimmung.
Spielte bei dieser Entscheidung auch die Doppelrolle als KuB-Managerin und Kulturchefin eine Rolle?
Kautter Der Verwaltungsanteil der Stelle wollte, dass ich vormittags immer da bin und Gespräche in der Verwaltung führe, die Belange meines Sachbereichs dort vertrete und durchsetze. Dafür muss man aber morgens früh an seinem Rechner sein, sonst ist man bei den wichtigen Dienstbesprechungen nicht anwesend. Und die Stelle der KuB-Leitung wollte, dass ich abends spät anwesend bin, Veranstaltungen umsetze und Künstler zum Teil selbst betreue, weil die Personaldecke nicht immer ausreichend ist. Das führt zu Arbeitstagen von enormer Länge und einer Aufgabenspanne, die nicht immer zu 100 Prozent zu bewältigen ist. Das ist zwar ganz toll, macht riesig Spaß und fordert enorm, ist aber deutlich keine Position, auf der man es sich leisten kann, älter zu werden.
Im Klartext heißt das, sie halten den Zuschnitt der Position für überdimensioniert?
Kautter Darin ist noch ein Anlagefehler. Der führt dazu, dass man weiß, dass man die Stelle nicht für immer gut machen kann. Hinzu kommt, dass ich ein Wandervogel bin. An meiner beruflichen Biografie lässt sich ablesen, dass ich fast immer rund sieben Jahre in jeweils unterschiedlichen Positionen gearbeitet habe. Dann werde ich neugierig und habe Lust und Spaß an etwas anderem. Ich schaue mich um und überlege, ob ich noch etwas lernen kann über mich, die Welt und Kulturszene an einem anderen Ort.
Was bedeutet Ihr Weggang für Ihre Mitarbeiter und die Entwicklung der Kultur in der Kreisstadt?
Kautter So sehr meine Kolleginnen und Kollegen im Moment sagen, dass es furchtbar ist, wenn ich jetzt gehe: Ein Wechsel könnte einen neuen Blickwinkel auf die Kultur eröffnen. Zwar ist eine gewisse Kontinuität in der Leitung des KuB schön. Die Ansiedlung eines Kulturbetriebs in einer Stadtverwaltung führt aber dazu, dass man relativ viele Verortungskämpfe führen muss und es sich nicht leisten kann zu ermüden. Dazu ist die Kulturarbeit zu wichtig, die Stadt hat hier ein Kulturjuwel gebaut. Für die Stelle ist es dann gar nicht so schlecht, da kommt ein frischer Gedanke und eine neue Art, Dinge zu regeln, rein.
Was verbuchen Sie als persönlichen Erfolg?
Kautter Was fantastisch geklappt hat, ist, dass das KuB-Team so offen und kulturbegeistert ist. Einerseits werden hochkarätige, teilweise experimentelle und schwierige Produktionen eingeladen. Wir konnten ein Publikum gewinnen, das uns so sehr vertraut, dass es sich manchmal Dinge anschaut, unter denen es sich vorher nichts vorstellen konnte. Andererseits wird mit der gleichen Intensität auf die Kulturentwicklung im Ort geschaut. Kulturschaffende werden durch Kooperationen eingeladen, selbst mitzugestalten. Dass dieser multiperspektivische Ansatz in einem Haus wie diesem so gut funktioniert, ist total schön. Und natürlich, dass wir 2019 die Marke von 20.000 Besuchern bei den KuB-Veranstaltungen geknackt haben.
Und was ist nicht so gut gelaufen?
Kautter Es gibt immer Dinge mit Verbesserungspotenzial. Jedoch keinen einzigen Punkt, der so hätte nicht passieren dürfen. Natürlich gibt es immer noch Richtungen, in denen eine weitere Entwicklung möglich ist. Ich würde mich freuen, wenn es meiner Nachfolge gelingt, dass man den Druck auf diejenigen Kräfte, die abends die Veranstaltungen betreuen, durch personelle Nachrüstung senkt. Wir bespielen das KuB mit 170 bis 190 Veranstaltungen pro Jahr. Diese Vielzahl der Betreuung von Künstlern, Planung der Ankunft, Aufbau, Catering, Publikumseinlass ist so zeitintensiv, dass für die eigentliche Arbeit der Spezialisten im Kulturteam zu wenig Zeit bleibt.
Welche Qualitäten sollte Ihr Nachfolger Ihrer Einschätzung nach mitbringen?
Kautter Einen klaren Blick darauf, welche Kulturarbeit für diese Stadt gut ist. Man muss sehr gut ein Kulturprogramm konzipieren können und nachdenken, was passt hierher, was wird angenommen, aber vielleicht auch, was fordert ein bisschen mehr heraus. Das Programm muss jede Bevölkerungsschicht ansprechen. Wenn das KuB sich nur an ein Segment richten würde, könnte das nicht funktionieren, weil wir für jedes nur einen gewissen Anteil an Publikum haben. Außerdem muss man die Klaviatur der Verwaltung spielen können und sehr genau wissen oder lernen, wie man innerhalb eines kommunalen Zusammenhangs auch Finanzierung, Geldflüsse, Mittelbewirtschaftung, Personalplanung und Projektumsetzung hinkriegt.
Was reizt Sie besonders an der Leitung des Kulturamtes in Göttingen?
Kautter Mich reizt als allererstes die Stadt mit einem umfangreichen kulturellen Leben und einer extremen Vielfalt. Es gibt dort allein 17 institutionell geförderte Kultureinrichtungen und dazu noch eine Projektförderung. Daran sieht man, was auf dieser Ebene durch die Stadt unterstützt wird. Es gibt zahlreiche Kinos und Theater, soziokulturelle Zentren und durch die studentische Prägung ein sehr offenes Publikum. Ich weiß die Lebensqualität in einer größeren Stadt sehr zu schätzen. Im Grunde sind in der Stelle ganz viele Bereiche verankert, die ich bereits kenne. Der städtische Kulturbereich gestaltet selbst ein umfangreiches Kulturprogramm vom Figurentheaterfestival über die Verleihung von Preisen bis hin zum Sommerfestival. Die sechs Bibliotheken liegen ebenso in meinem Bereich wie das Archiv und das städtische Museum. Die Herausforderung liegt in der Größenordnung mit 60 Mitarbeitern. Kulturarbeit auf dieser Ebene finde ich total spannend.
Wann ist Ihr letzter Arbeitstag in der Oldesloer Verwaltung?
Kautter Am Freitag, 13. Mai. Ab 16 Uhr feiere ich im Bürgerhaus-Innenhof meinen Abschied.
Was werden Sie vermissen?
Kautter In erster Linie das Team, auf einer zweiten Ebene die Freiheit, etwas gestalten zu können, das Bedeutung hat für die Menschen. Es ist beruflich eine einzigartige Chance, dass man so etwas wie das KuB mit aufbauen und sich Gedanken machen darf, was für die Menschen, die Stadt und Besucher schön sein könnte. Was ich wahnsinnig schätze, ist, dass es viele aktive Bürger gibt, die bereit sind, mitzutun. Wie die Gruppe, die den Jugend-Courage-Preis aus der Taufe gehoben hat, ein Projekt, mit dem das Engagement von jungen Menschen gewürdigt wird. Bemerkenswert ist auch, mit wie viel Engagement beispielsweise die BookOldesloe, Ernte deine Stadt oder das Kindertheater für alle umgesetzt werden. Dinge, die entstehen, weil Menschen an unsere Tür geklopft haben.
Wie würden Sie das Oldesloer Publikum charakterisieren?
Kautter Ich beobachte, dass sich das Publikum zunehmend für Neues öffnet und bereit ist, sich auf Experimente einzulassen. Wie die im KuB produzierte Oper „The rape of Lucretia“, die sehr unter die Haut ging, oder das vertikale Tanzstück „Maranja“. Dass der Austausch mit dem Publikum funktioniert, liegt an den Kolleginnen in der Stadtinfo, die sich mit dem Programm auseinandersetzen, gut beraten und Rückmeldungen weiterleiten. Ich werde die Stadt und das KuB auf jeden Fall besuchen. Da ich so oft den Wohnort gewechselt habe, ist es so, als hätte ich viele verschiedene Leben gelebt – und jetzt gibt es das Oldesloer Leben, das ich vermissen werde. Der Abschied fällt mir jedenfalls nicht leicht.