Trittau. In ihrer Werkschau lässt die Stipendiatin Anna Mieves die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen.

Dass Anna Mieves für die Werkschau zum Abschluss ihres einjährigen Aufenthalts in der Wassermühle Trittau das Publikum mitgedacht hat, sieht der Besucher sofort. Mitten auf dem Hof zwischen Mühle und Atelierhaus steht ein hölzerner Steg auf dem Pflaster. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Fremdkörper, der dort vergessen wurde. Dabei ist er Teil einer wohldurchdachten Komposition. Wer sich auf sie einlässt, wird unversehens selbst zur Figur im „theatrum“ der Anna Mieves.

„Für mich ist der sechs Meter lange Steg eine Tribüne, eine Einladung an die Besucher“, sagt die 38 Jahre alte Künstlerin. Betrachtet werden soll von dem 45 Zentimeter hohen Podest vor allem das Geschehen hinter der breiten Glasfassade der Galerie. Dort hat die Bildhauerin 21 Gipsformen zu einer „Stätte“ arrangiert, in der sich die Besucher auf eine Entdeckungsreise begeben sollen.

Corona-Leere ist an vielen Tagen spürbar gewesen

„Ich finde es immer wieder spannend, wie die Rezeption meiner Werke erfolgt und will die Gäste meiner Ausstellung daran teilhaben lassen“, erklärt die 29. Stipendiatin der Sparkassen-Kulturstiftung Stormarn, die die Wassermühle am kommenden Sonntag verlassen wird. Es sei eine überaus schöpferische Zeit gewesen, in der eine Vielzahl von Werken entstanden ist. Deren Rezeption sie sich aber weitaus intensiver gewünscht habe, als es durch die Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie möglich gewesen sei.

Anna Mieves war die 29. Stipendiatin der Sparkassen-Kulturstiftung Stormarn, die für ein Jahr in der Wassermühle Trittau arbeiten durfte.
Anna Mieves war die 29. Stipendiatin der Sparkassen-Kulturstiftung Stormarn, die für ein Jahr in der Wassermühle Trittau arbeiten durfte. © Anna Mieves | Privat

„Ich hatte so sehr auf halbwegs normale Bedingungen gehofft. Doch die Leere ist an vielen Tagen schmerzlich spürbar gewesen“, sagt Mieves. Dem kreativen Findungsprozess hätten die widrigen Umstände indes keinen Abbruch getan. „Hier und da gab es zwar ein paar Materialengpässe und Lieferprobleme. Ich konnte trotzdem fast alles umsetzen, was ich mir vorgenommen habe“, so die gebürtige Hamburgerin, die bis 2018 an der Hochschule für bildende Künste studiert hat.

Skulpturale Objekte prägten Zeit in Wassermühle

Im Vordergrund standen skulpturale Objekte, die sich selbst als funktionale Formen in Szene setzen, zugleich aber durch die Betrachtenden in einen lebendigen Prozess gebracht werden. Aus dieser „Interaktion“ entsteht eine dynamische, spannende Wechselwirkung, ein „theatrum“, in dem die Grenzen zwischen Außen und Innen verschwimmen, je nach Betrachtungswarte und Perspektive des Beobachters.

„Raum ist hier kein definierter Ort, sondern etwas, das als Choreografie durch die Nutzer geschieht“, sagt die Hamburger Kuratorin Annette Hans. Räumliche Konstellationen seien bei Mieves ein „erweitertes und auch dehnbares Feld“, in dem Widerstände zwischen verschiedenen Kräften und Körpern abgeleitet und verschliffen würden.

Ein „schwebendes“, blutrotes Schild als Blickfang

Besonders spürbar wird das in der Installation „Stätte“. Die hier zusammengestellten Gipsformen wurden zuvor als Tonpositive modelliert und dann ausgegossen. In der Galerie des Atelierhauses wirken sie wie architektonische Elemente. Die einen fühlen sich hier wie in einer visionären Miniaturstadt, die anderen womöglich mitten in einer archäologischen Ausgrabungsstätte. Der Fantasie sind praktisch keine Grenzen gesetzt.

Die Freunde am Experimentieren, an kreativer Formgebung und unterschiedlichen Konstellationen von Innen und Außen dokumentiert sich auch in ihren Exponaten in den Ausstellungsräumen in der Wassermühle selbst. Ein wahrer Blickfang ist das blutrote „Schild“, dass förmlich zu schweben scheint. Hier hat Anna Mieves aus speziellen, verdichteten Baumwollfasern, einer Art textilen Pappmaché, eine Skulptur geformt, die von ihrer organischen Flächenspannung lebt. Eine sich selbst aussteifende Hohlform, die Mieves gesamtes Schaffen prägt.

Im Kopf des Betrachters sollen Objekte mobil werden

Auch das „Schild“ erzählt davon, wie eine Fläche unter dem Einfluss prägender Bedingungen zum Objekt wird. „Durch Vertiefungen, Knicke, das sich Aufwerfen der Ränder sowie Verdichtungen entsteht eine sich selbst tragende Struktur, die ein Innen vom Außen trennt“, beschreibt Anna Mieves jenen Prozess, dem sie gern nachspürt und als Anregung verstanden wissen will. Ausschnitte und Montagestellen jenseits der konkreten Formen würden auf einen unbestimmten Ort und Zweck weisen und Handlungsmöglichkeiten nahelegen, die im Kopf des Betrachters ausgeführt werden könnten – und die Objekte so „in Mobilität“ versetzen.