Die Materialsammlung des Nanowissenschaftlers lenkt den Blick auf gefährliche Virenherstellung in Laboren. Dafür gebührt ihm Dank.
Wir erinnern uns: bei der Generaldebatte des Bundestages am 9. Dezember erläuterte die Bundeskanzlerin ihre Motive, die sie dazu gebracht haben, in der DDR Physik zu studieren. Man könne vieles außer Kraft setzen, nicht aber die Gesetze der Gravitation und die Lichtgeschwindigkeit. Wir hätten „die Wissenschaft“ ernst zu nehmen. Und sie berief sich hierbei ausdrücklich auf die am Vortage veröffentlichten Empfehlungen der Leopoldina. Diese richteten sich auf einen harten Lockdown vom 14. Dezember an.
In dieser Stellungnahme fanden sich gerade einmal zwei Quellenangaben. Der eigentliche Text umfasste nur viereinhalb Seiten und beschränkte sich auf schlichte Meinungsäußerungen. In den Medien wurde jedoch nur vereinzelt kritisiert, in welch kläglicher Weise sich „die Wissenschaft“ unter dem altehrwürdigen Namen der Leopoldina hier präsentierte.
Hamburger Uni-Studie zu Labor-Unfall in Wuhan
Umso frappierender ist der Sturm der Entrüstung, den eine an der Uni Hamburg präsentierte Studie zum Ursprung der Corona-Pandemie hervorgerufen hat. In der von dem Nanowissenschaftler Prof. Dr. Roland Wiesendanger vorgelegten, 104 Seiten umfassenden Untersuchung ist er zu dem Schluss gekommen, „dass sowohl die Zahl als auch die Qualität der Indizien eindeutig für einen Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan als Ursache der gegenwärtigen Pandemie sprechen“.
In der Einleitung legt Wiesendanger dar, dass weder für die Theorie des Laborunfalls noch für die Möglichkeit der natürlichen Übertragung des Virus über einen Zwischenwirt auf den Menschen „wissenschaftsbasierte Beweise im strikten Sinne vorliegen“, weshalb „derzeit nur Indizien angeführt werden“, welche die eine oder andere Theorie als wahrscheinlicher erscheinen lassen“.
Corona und die Manipulation von Viren
Und genau das leistet seine Studie: Sie bietet eine umfangreiche Materialsammlung mit zahllosen Rechercheansätzen und legt den Finger in eine Wunde, von deren schierer Existenz die Öffentlichkeit bis heute kaum Kenntnis genommen hat. Sie trägt den Namen Gain-of-function-Forschung und dient dem Ziel der „Manipulation von Viren im Hinblick auf höhere Übertragungsfähigkeit, Gefährlichkeit und Sterblichkeitsraten“. Was in mehreren Labors weltweit, so auch in Wuhan, demnach stattfindet, ist die künstliche Erzeugung möglichst aggressiver Virenvarianten.
Auch wenn dieses Ziel reinen Forschungszwecken dienen mag und man an die Möglichkeit der biologischen Kriegsführung gar nicht erst denken möchte, liegt Wiesendanger genau richtig, wenn er schreibt: „Die Frage nach dem Ursprung der derzeitigen Coronavirus-Pandemie gilt zweifellos als besonders bedeutsam im Hinblick auf zukünftige Maßnahmen zur Verringerung der Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs vergleichbarer Pandemien.“
Schlicht gestrickte Häme gegen Hamburger Professor
So weit, so legitim: Warum sollte man die Frage nach der Herkunft eines Virus nicht aufwerfen dürfen, das seit über einem Jahr die gesamte Welt in Atem hält? Sollten nur ausgewiesene Epidemiologen das Recht haben, das Tun der virenzüchtenden Zauberlehrlinge auf den Prüfstand zu stellen? Doch die automatisierten Reaktionen auf Wiesendangers Veröffentlichung fallen so aus, wie es zu erwarten war: Die „Wutwelle gegen Hamburger Professor“ („Bild“) reicht von schlicht gestrickter Häme bis zum Vorwurf der Desinformation. Schlagzeilen wie „Hamburger Professor bringt eigene Uni mit Corona-,Studie‘ in Erklärungsnot“ stellen eilig klar, wie Wiesendangers Arbeit erwünschterweise zu betrachten ist.
Dass sein eigenes Dekanat sich denn auch prompt von Wiesendanger distanzierte, war nach heutiger Logik leider zu erwarten.
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Ob Prof. Wiesendanger mit seiner These richtig liegt oder nicht, wissen wir nicht. Dass er dies auch selbst nicht weiß, darüber hat er von Anfang an keinen Zweifel gelassen. Die von vielen Kritikern erhobene Behauptung, sein Papier sei gar keine Studie, geht trotzdem fehl, denn der Begriff „Studie“ umfasst mehrere Bedeutungsinhalte: Neben einer kompletten wissenschaftlichen Ausarbeitung können mit dem Begriff auch Entwürfe und skizzenhafte Vorarbeiten zu einer wissenschaftlichen Arbeit bezeichnet werden.
Mit seiner umfassenden Stoffsammlung hat Wiesendanger eine derartige Vorarbeit geleistet und sie in die Hände der Öffentlichkeit gelegt. Dafür gebührt ihm und der Uni Hamburg Dank. Hieraus die richtigen Fragen abzuleiten und die überfällige Diskussion darüber anzustoßen, inwieweit Menschen weltweit bereit sind, die Erzeugung möglichst tödlicher Viren in Laboren hinzunehmen, wäre das Gebot der Stunde für Journalisten. Das schablonenhafte Klöppeln längst abgenutzter Deutungsraster unter Umgehung des Kernthemas jedenfalls wird als mediales Geschäftsmodell in Zukunft nicht mehr tragfähig sein.