Hamburg. Abendblatt-Redakteurin Geneviève Wood über die Pläne des Hamburger Bildungssenators: „Kaum noch Raum für soziales Lernen“.

„Wir wollen unsere Schülerinnen und Schüler auf das Leben in und auf eine Teilhabe an unserer Leistungsgesellschaft besser vorbereiten“, sagt Bildungssenator Ties Rabe (SPD) und wirbt damit für die Neugestaltung der Hamburger Bildungspläne. Worum es geht? Künftig sollen weniger Klausuren ausfallen und ersetzt werden, die Rechtschreibung soll besser geübt und die Digitalisierung im Unterricht umgesetzt werden. Klingt vernünftig. Aber die Entwürfe sehen auch vor, dass sich die Schulen noch mehr als bislang an verbindliche Lerninhalte durch Kerncurricula halten müssen, außerdem bekommen Klassenarbeiten und Klausuren mehr Gewicht, das Mündliche dagegen zählt weniger. Klausurersatzleistungen sind nicht vorgesehen, in der Oberstufe sollen zusätzliche Klausuren eingeführt werden.

Dabei beruft sich der Schulsenator auf die anderen Bundesländer. Aber: Viele Bundesländer sind zum Abitur nach 13 Jahren zurückgekehrt (G 9). Da bleibt den Kindern und Jugendlichen an den Gymnasien mehr Zeit für das Abitur. In Hamburg aber scheint es vorrangig darum zu gehen, Lernstoff in die Mädchen und Jungen hineinzustopfen. Dabei sollte es doch mehr ums Lernen-lernen gehen, um das selbstständige Erarbeiten, darum, Interesse zu wecken – egal in welcher Schulform.

Kritik an Plänen für Hamburger Bildungsreform

Immer wieder betont der Schulsenator, dass „wir in einer Leistungsgesellschaft“ leben. Kann vielleicht mal weniger von Leistung und mehr von Bildung gesprochen werden? Kann es auch mal um die Kinder und Jugendlichen gehen, um die Lehrer? Ist das Schielen auf Zensuren, das stupide Lernen von Klassenarbeit zu Klassenarbeit zeitgemäß? Nein! Ist es nicht viel wichtiger, die Zusammenhänge zu erkennen? Inhalte zu übertragen?

Es wird noch weniger um den einzelnen Schüler gehen, um seine individuellen Kompetenzen. Das ist keine Weiterentwicklung, sondern ein Rückschritt, der fassungslos macht. Immer scheint es um Drill zu gehen, so empfinden es viele Mütter und Väter und vor allem Kinder. Sie müssen ins System passen, sie müssen dies, sie müssen das, sie müssen leisten. Unsere Kinder sollen schließlich früh ins Arbeitsleben starten, produktiv sein.

Nicht falsch verstehen: Unsere Kinder müssen nicht in Watte gepackt werden. Sicher müssen sie lernen, sie können sich dabei auch ruhig anstrengen – auch durchhalten, wenn das Fach oder das Thema ihnen nicht so liegen. Erst recht auf dem Gymnasium. Rechtschreibung, Mathematik müssen sitzen. Disziplin und Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, sein Bestes zu geben, sind Eigenschaften, auf die es später im Berufsleben ankommt. Die Frage ist aber das Wie. Durch noch mehr Druck? Durch ein zu enges Korsett, das die Freiheit beim Lernen und Lehren zuschnürt? Das darf nicht die Lösung sein. Geht es lediglich um Leistung, bleibt kaum Raum für soziales Lernen, für eine Bindung zwischen Lehrer und Schüler. Die Pandemie und ihre Folgen sind noch gar nicht abgearbeitet, da soll unseren Kindern wieder Druck gemacht werden? Das kann doch nicht wahr sein in Zeiten, in denen es immer mehr psychische Erkrankungen unter Kindern und Jugendlichen gibt. Ist diese Leistungsgesellschaft überhaupt noch erstrebenswert?

Es ist an der Zeit, Unterricht und Unterrichtsinhalte anders zu denken, zu entschlacken und Neues aufzunehmen. Unsere Kinder haben es verdient, Schule als herzlichen, freien Bildungs- und Lebensort zu erleben. Denn Schule ist wichtig, aber es wird im späteren Leben zum Glück Wichtigeres geben.