Hamburg. Ein 53-Jähriger steht vor Gericht, weil er bei Demonstrationen äußerst gewalttätig die Polizei angegriffen haben soll.
Seinen Bart hat er inzwischen abrasiert. Eine Zeit lang war die Gesichtsbehaarung wohl so etwas wie sein Markenzeichen, etwas, das Kemalettin G. von vielen anderen abhob. Mit seinem Bart und seiner Brille sei der 53-Jährige jemand gewesen, „der da raussticht“, heißt es von Zeugen über den Mann, der sich bei Demonstrationen auch durch besondere Gewalt gegen Polizisten hervorgetan haben soll. Nun sitzt der Hamburger als Angeklagter in einem Prozess vor dem Amtsgericht, betont ruhig – und glatt rasiert. Aber ein Polizist ist sich sicher: „Den erkenne ich sofort wieder, definitiv.“
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 53-Jährigen im Zusammenhang mit schweren Ausschreitungen bei Demonstrationen vom 1. Mai der Jahre 2014 und 2015 unter anderem schweren Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vor. Unter anderem schlug er laut Anklage aus einer Gruppe von mehreren Hundert aggressiven und teilweise vermummten Personen heraus einem Polizisten mit einer Stange mehrfach auf den behelmten Kopf sowie auf den Arm und schlug zudem auf weitere Beamte ein.
Darüber hinaus soll er Gläser „mit voller Wucht und speerwurfartig“ auf Polizisten geschleudert haben. Andere Polizeibeamte bewarf er demnach mit einer zerbrochenen Steinplatte, die er „in hohem Bogen und mit voller Wucht“ in ihre Richtung geschleudert habe. Die Schläge gegen die Beamten seien so heftig gewesen, dass ihre Helme aufrissen. „Wir äußern uns erst mal nicht“, sagte die Verteidigerin von Kemalettin G. zum Auftakt der Verhandlung. Der Angeklagte selber hatte lediglich seine Personalien angegeben.
"Das sind Faschisten, macht sie kaputt!"
Gewalt gegen Polizisten – vor allem seit den Ausschreitungen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel Anfang Juli ist dies in Hamburg ein sehr großes Thema. Erst in der vergangenen Woche hatte das Amtsgericht zwei junge Männer wegen Attacken gegen Polizisten rund um den G20-Gipfel verurteilt. Einer der Angeklagten hatte eine sechsmonatige Bewährungsstrafe bekommen, gegen den anderen verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von 31 Monaten. Beide gingen in Berufung. Das nächste G20-Verfahren steht schon an diesem Freitag an: Einem 21-Jährigen aus Frankreich wird vorgeworfen, zu Beginn der „Welcome to Hell“-Demo am 6. Juli Glasflaschen auf Polizisten geworfen und gegen seine Festnahme gewaltsam Widerstand geleistet zu haben. Der junge Mann ist seit dem 7. Juli in Untersuchungshaft.
In diesem Kontext fand auch der Prozess am Dienstag gegen einen mutmaßlich gewalttätigen Demonstranten bei den Mai-Protestzügen besondere Beachtung. „Das sind die Faschisten, macht sie kaputt!“ – so hat nach Darstellung eines Polizisten eine Lautsprecherdurchsage gelautet, die auf einer „revolutionären Demonstration“ zur Eskalation der Gewalt beitrug. Die teilweise vermummten Protestler hatten am 1. Mai 2014 von der Feldstraße zur Reeperbahn ziehen wollen, die Polizei sollte das verhindern.
Zeugen wollen Angeklagten sicher wiedererkannt haben
Sie seien „unter massiven Bewurf geraten“, sagte der 30 Jahre alte Beamte. Unter anderem seien Flaschen und Steine geworfen worden. „Es gab auch Rufe, man solle uns ,kaputt machen‘.“ Auch sei gebrüllt worden: „Ganz Hamburg hasst die Polizei!“ Er sei gestolpert und zu Boden gegangen, dann „massivst getreten worden“. Als er sich gleichwohl wieder aufrappeln konnte, habe ein Mann vor ihm gestanden, mit einer Stange auf ihn eingeschlagen, die Hiebe gingen demnach auf Arm, Helm und den Rücken. Der Schlag auf den Unterarm sei schmerzhaft gewesen. „Die Schutzausstattung ist gut, aber kein Allheilmittel“, erklärte der Beamte. „Und bei massivster Gewalteinwirkung geht auch der Helm kaputt. Wir hatten auch Kollegen, die mit viel Glück schwersten Verletzungen entgangen sind.“
Er sei sich sicher, dass es sich bei dem Angreifer um den Angeklagten gehandelt habe, betonte der Zeuge. „Diese Person ist öfter mal bei Demonstrationen aufgetreten.“ Allerdings habe er damals noch Bart getragen. Ein anderer Polizeibeamter sagte als Zeuge, Kollegen hätten gemeint: „Den kennen wir schon vom letzten Jahr.“ Kemalettin G. sei schon bei mindestens drei oder vier anderen Demonstrationen dabei gewesen. Einen anderen Polizeibeamten, der von einem „extremen Bewurf mit Flaschen, Steinen und Knallkörpern“ sprach, erwischte an diesem 1. Mai ein Stein am Oberschenkel. Er erlitt eine schwere Prellung und war mehrere Tage krankgeschrieben.
"Es war ein 1. Mai, den man so schnell nicht vergisst"
Ein Jahr nach dieser Demonstration soll der Angeklagte Kemalettin G. wieder an Ausschreitungen beteiligt gewesen sein. „Es war ein 1. Mai, den man so schnell nicht vergisst“, sagte eine 25 Jahre alte Beamtin vor Gericht. Sie und ihre Kollegen seien heftig angegriffen worden. „Wir wurden von allen Seiten beworfen. Das war nicht lasch, sondern voll durchgezogen“, sagte sie. Ein anderer Zeuge erinnert sich, der 53-Jährige habe „mit Anlauf geworfen“.
Erst lange nach den Vorfällen war es gelungen, die Personalien des Mannes, der die gezielten Würfe getätigt haben soll, festzustellen. Er sei im Frühjahr 2016 auf Videoaufnahmen identifiziert worden, so die Staatsanwaltschaft. Der Prozess wird fortgesetzt.