Die offizielle Kandidatur von Paris für die olympischen Spiele war den großen Zeitungen keine Titelstory wert. Woher die Gleichgültigkeit kommt.
Das „S“ hängt ziemlich schief in der Luft. Das „G“ ist viel zu weit links. Und die „4“ ist irgendwo auf Kniehöhe verschwunden. „Allez, les enfants!“, ruft einer der Dutzenden Fotografen von der kleinen Seine-Brücke zu den Kindern unten an der Promenade. Aber erst mal läuft die Nase, der Nebenmann ärgert, oder der Flummi ist aus der Tasche gefallen. „Und jetzt alle die Hände in die Luft, allez!“ Als die Kameras blitzen, sitzt alles, wie es soll. In der richtigen Reihenfolge ergeben die Buchstabentafeln dann auch Sinn: „Génération Paris 2024“.
Hunderte Kinder aus Pariser Grundschulen sollen hier das beisteuern, was jedes erfolgreiche Projekt braucht. Bilder, Gesichter und Emotionen. „On veut les jeux“–„Wir wollen die Spiele“, rufen sie.
Die Pariser scheint Olympia kalt zu lassen
Die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2024 sollen die „Spiele der Jugend werden“, betont Bürgermeisterin Anne Hidalgo (Parti Socialiste) bei jeder Gelegenheit. Deshalb auch die Kinder am Seine-Ufer mit ihren Buchstabentafeln. Während die Kameras blitzen, stehen weiter oben an der Balustrade eine paar Hundert Menschen, die wohl eher aus Versehen zu Schaulustigen wurden. Fast ausschließlich Touristen, die sich hier am Nachmittag tummeln. Aber auch ein paar Pariser sind aus ihren Büros runtergekommen. Ob sie wüssten, was da unten los sei? Nein, pardon, keine Ahnung.
Auch bei der Eröffnung einer eindrucksvollen Olympia-Plakatausstellung am Gebäude der Regionalverwaltung gehen die meisten Menschen einfach an den XXL-Formaten vorbei. Große Plakate an großen Wänden. Paris halt.
Und die Zeitungen in Paris? Die Aufmacher auf Seite 1 am Tag nach dem offiziellen Kandidaturstart: „Amerikanische Spionage: Warum der französische Gegenschlag symbolisch bleibt“ („Le Monde“), „Collège-Reform: Die Herausforderung der Académie française“ („Le Figaro“), „Olympique Marseille in Gefahr“ („L’Equipe“), „Taxi-Krieg – der unkontrollierbare Preisverfall“ („Le Parisien“). Während das Hamburger Abendblatt rund 900 Kilometer entfernt die Kandidatur des Olympia-Konkurrenten auf die Seite eins hob, fanden die französischen Medien, dass es an diesem Tag Wichtigeres gab. Was ist da los?
Vielleicht liegt es einfach an drei bestimmten Jahreszahlen und daran, dass echte und uneingeschränkte Euphorie, wie sie bisweilen in Hamburg zu spüren ist, nicht beliebig oft reproduzierbar ist.
Es ist die vierte Bewerbung der französischen Hauptstadt
Immerhin ist es der vierte Anlauf, den Paris nimmt, um die Spiele in die Stadt zu holen. Eine Serie von Misserfolgen: 1992 gegen Barcelona verloren, 2008 gegen Peking, 2012 gegen London. Besonders die letzte Niederlage sitzt noch immer tief. Marc Ventouillac, langjähriger Sportreporter bei der täglich erscheinenden renommierten Sportzeitung „L’Equipe“, spricht gar von einem „kollektiven Trauma“. „Das Gefühl, dass Paris gewinnen würde, war allgegenwärtig und unerschütterlich“, erinnert er sich. Als das IOC am 6. Juli 2005 die Spiele an London vergab, stand in Paris die Zeit für einen Moment still. Die Bilder von tränenverquollenen Gesichtern und leeren Blicken sind noch gut in Erinnerung.
Und es war so knapp. Am Ende fehlten vier Stimmen. „Es gibt so Daten, bei denen sich jeder auch Jahre später noch daran erinnern kann, was er damals gemacht hat“, sagt Ventouillac. Der 11. September 2001, vielleicht der Tod von Michael Jackson, Mondlandung, in Hamburg vielleicht noch der HSV-Europapokalsieg 1983. „In Frankreich weiß jeder, wo er war, als er von der Niederlage erfahren hat“, sagt Ventouillac. „Das wirkt bis heute nach.“
Paris plant Projekte für Zigmilliarden Euro – Olympia ist eines davon
Diesmal lief der Start in die Olympia-Phase alles andere als glatt. Noch im vergangenen Jahr hatte sich Bürgermeisterin Anne Hidalgo gegen die Spiele ausgesprochen. Als Paris gegen London verlor, war sie schon stellvertretende Bürgermeisterin. Sie saß in der ersten Reihe, als die Niederlage Paris mit voller Wucht traf. Dieses Mal wollte sie auf Nummer sicher gehen. Sich nicht aus dem Fenster lehnen, zumindest bis Januar abwarten, bis das nationale Olympische Komitee die Machbarkeitsstudie vorlegt.
Doch dann kam jemand dazwischen, dessen Wort sie nicht ignorieren konnte: Präsident François Hollande. Am 6. November 2014 sprach sich der Staatschef in einer Fernsehsendung ausdrücklich für die Spiele in Paris aus. „Das wäre ein Moment der Leidenschaft“, die Spiele würden Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft ankurbeln. Seine Parteifreundin Anne Hidalgo wusste davon nichts – so heißt es zumindest. Und auf der Pressekonferenz, zu der sie sich am Folgetag genötigt sah, unternahm sie nicht einmal den Versuch, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. „Nichts und niemand wird mich daran hindern, bei meiner Methode und Zeitplanung zu bleiben“, konterte sie. Die Zeitungen titelten „Kakophonie“. Was für ein Fehlstart!
Aber wegreden konnte das Thema nun niemand mehr. Es war da und die Maschinerie in Gang gesetzt. Mittlerweile will auch Bürgermeisterin Hidalgo nichts mehr wissen von den anfänglichen Bedenken. Sie weihte den offiziellen Olympia-Hashtag bei Twitter mit so viel Euphorie ein, als ginge es um die Präsentation des Eiffelturms, und sie hielt im Kreise der Sport-Elite Lobreden auf die olympische Vision und den Aufschwung, den Paris durch die Spiele erfahren würde. Hidalgo hat sich noch mal aufgerafft.
Auch Jean-Paul Huchon, Präsident der Regionalverwaltung für den gesamten Pariser Großraum, hat auf Olympia-Modus geschaltet. Mal wieder. Der 69-Jährige ist seit 1998 im Amt und hat das alles schon zweimal mitgemacht: Argumente aufgezählt, Interviews gegeben, Konzepte ausgearbeitet, Startknöpfe gedrückt und Bänder durchschnitten. Jetzt also noch mal. Und wieder geht es um alles, nur mit noch etwas mehr Zahlensymbolik.
Denn würden die Spiele 2024 wirklich nach Paris kommen, wäre das genau 100 Jahre nach den letzten Spielen in der französischen Hauptstadt. 100 Jahre. Und der dritte Versuch seit der Jahrtausendwende. Je öfter Huchon die Zahlen nennt, desto weniger klingen sie wie Argumente. Eher wie Mantras. Oder wie Druckmittel.
Kurz bevor er an diesem Tag zu der Ausstellungseröffnung rübergeht, nimmt er sich noch einen Moment Zeit und blickt erst zurück („Das war sehr, sehr hart für mich“) und dann doch lieber ganz schnell nach vorn. „Dieses Mal sind wir besser aufgestellt“, sagt er. „Wir haben aus unseren Fehlern gelernt.“ Außerdem habe er noch nie so eine Stimmung mitbekommen wie bei dieser Auftaktveranstaltung. Aber er weiß auch, dass es jetzt erst richtig losgeht: „Wir müssen jeden noch so kleinen Verein, jeden noch so kleinen Ort und auch die Banlieues (die häufig problembeladenen Vorstädte; Anm. d. Red.) mit einbeziehen. Wir müssen alle mitnehmen.“ Warum es das letzte Mal nicht geklappt hat? Eine Frage, die er schon oft beantworten musste. „Kurz nach der Entscheidung hat mir ein Sportfunktionär aus London gesagt: ,Euer Fehler war, dass ihr zwar immer klargemacht habt, dass ihr die Spiele wollt – aber nie, warum.‘“ Pause. „Dieses Mal muss es uns gelingen, unsere Vision rüberzubringen und das Profil zu schärfen“, sagt Huchon „On est prêt – wir sind bereit.“
Ein Satz, den man in diesen Tagen oft hört. Und tatsächlich ist Paris in vielerlei Hinsicht deutlich weiter als Hamburg – zumindest, wenn man „bereit“ im Sinne von „fertig“ versteht. Im Grunde könnte es gleich morgen losgehen. Na ja, fast zumindest. Eine Schwimmhalle fehlt noch und das olympische Dorf natürlich. Aber sonst? Alles da. Das Stade de France als Olympiastadion in St. Denis im Norden von Paris, die Multifunktionsarena Bercy im Osten der Stadt, die Carpentier-Halle weiter im Süden für den Kampfsport, der Tenniskomplex Roland Garros, die Radsporthalle Saint-Quentin-en-Yvelin. Auf dem Champ de Mars, der Grünfläche vor dem Eiffelturm, sind Triathlon, Beach-Volleyball und Bogenschießen angedacht. Zwar wird hier und da angemerkt, dass der Hamburger Plan, die Spiele viel zentraler und kompakt an einem Ort auszurichten, ein Vorteil sein könnte. Aber „fertig“ sei eben auch einer.
Von Vorteil sind auch die aktuellen Umfragewerte. Fantastisch sogar: Nach einer aktuellen Telefonbefragung im Auftrag der Region Paris sind 72,5 Prozent der Pariser für die Spiele. Sie wurden auch gefragt, was sie sich von den Spielen erhoffen. Eindeutig an erster Stelle: ökonomischer Aufschwung und mehr Arbeitsplätze. Es folgen der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, Tourismuswachstum und mehr internationale Strahlkraft.
Wer sich auf der Straße umhört, erfährt allerdings wenig Aufbruchstimmung. Aber auch wenig Kritik. Gleichgültigkeit trifft es vielleicht am besten.
Eine kleine Umfrage unter Zeitungskiosk-Verkäufern gibt alle Nuancen von „mir doch egal“ wieder. Das mag daran liegen, dass Zeitungsverkäufer in Paris in etwa so gesprächig sind wie Taxifahrer in Berlin. Aber auch sonst, in der U-Bahn und auf der Straße, ist im Grunde die euphorischste Aussage: „Ach, soll doch einfach der Beste gewinnen!“
Auch im Netz herrscht Langeweile. Zwar gibt es eine Anti-Olympia-Seite auf Facebook, aber von den rund zwölf Millionen Menschen, die im Großraum Paris leben, haben dort nur rund 640 auf „gefällt mir“ geklickt. Eine Online-Petition gegen die Kandidatur wurde gestartet. Aber die liegt mit rund 2000 Unterschriften irgendwo auf der siebten Suchseite bei Google begraben.
Auch eine echte Debatte im Rathaus fehlt. Nur die Grünen haben gegen die Spiele gestimmt. Und jetzt, wo die Entscheidung für die Kandidatur gefallen ist, sagt der 37 Jahre alte Abgeordnete David Belliard: „Wir können jetzt nur noch das Beste daraus machen.“ Er fordert die klassischen Punkte: nachhaltige Spiele, so ökologisch wie möglich, echte Teilhabe der Bevölkerung und vor allen Dingen eine glaubwürdige Abstimmung. „Die Umfragen von der Regierung geben nicht die Wahrheit wieder“, sagt er. Seiner Meinung nach sind höchstens 50 Prozent für die Spiele. Und eine echte öffentliche Debatte werde eh nicht geführt.
Roms Bewerbung ist offiziell
Während die Olympischen Spiele in Hamburg derzeit das mit Abstand größte Projekt sind, stehen sie in Paris nur selten für sich allein. Selbst beim offiziellen Kandidaturstart mussten sie sich die Bühne teilen, weil zeitgleich eine Großveranstaltung zur Weltklimakonferenz stattfand, die Ende des Jahres in Paris ausgerichtet wird. Und die Termindopplung war kein Zufall. Der Elysée, Amtssitz des Staatspräsidenten, wolle auf diese Weise einen „Teleskop-Effekt“ vermeiden, schreiben die Zeitungen. Alles soll gleich wichtig sein.
Auf Paris kommen imense Kosten zu - auch ohne die Spiele
Und dann die Kosten: 187 Millionen Euro für die Weltklimakonferenz. Dann wären da noch die Worldskills – die WM der Berufe –, die 2019 in Paris stattfindet (Kosten unklar), und die Expo 2025, für deren Austragung sich Paris derzeit bewirbt. Erwartete Kosten: 3,2 Milliarden Euro. Dazu das Gigantvorhaben „Le Grand Paris“, ein Modernisierungsprojekt für den gesamten Ballungsraum Paris. 70.000 neue Wohnungen pro Jahr, eine Million neue Bäume und eine Modernisierung des Nahverkehrs. Allein für letzteren Punkt werden 34 Milliarden Euro veranschlagt. Und irgendwo dazwischen eben noch die Olympischen Spiele mit geschätzten 6,2 Milliarden Euro.
Eine Tageszeitung druckte kürzlich eine Bildmontage, auf der Präsident Hollande Anlauf nimmt, um über Hürden zu springen, die jeweils ein Großevent symbolisieren. „Alle diese Events sind wichtig, um Geschlossenheit, Nationalstolz und Wirtschaftskraft zu zeigen“, sagt Hollande. „Und zwar in einem Moment, in dem viele Angst vor einem Abschwung haben.“ Andere sprechen sogar von Untergangsstimmung.
Im Mai dieses Jahres waren in Frankreich so viele Menschen arbeitslos wie nie zuvor: 3,4 Millionen, mehr als zehn Prozent. Besonders Jugendliche sind betroffen. Auch das Haushaltsdefizit bekommt Frankreich nicht in den Griff. Gewalt, Armut und Kriminalität in den Banlieues sind Dauerthemen. Das Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ ist noch immer präsent. Die Grande Nation hat Abstiegsangst.
Die 26 Jahre alte Studentin Anaïs Guerry ist von den genannten Problemen persönlich zwar nicht betroffen – und wird es wohl auch nie sein. Sie zählt mit ihrem Abschluss an der renommierten Universität Science-Po schon jetzt zur Elite. Gerade schreibt sie an ihrer Doktorarbeit. Sie lebt in einem netten Viertel im 20. Arrondissement im Pariser Osten, ein bisschen wie Eimsbüttel. Auf dem Campus, sagt sie, seien die Olympischen Spiele praktisch kein Thema. Dafür aber die Sorge vor einem Image-Verlust Frankreichs. „Manchmal sprechen wir darüber, dass Frankreich im Ausland vielleicht in eine Schublade gesteckt werden könnte mit Griechenland, Italien, Portugal und Spanien“, sagt sie. „Die Olympischen Spiele und andere Großevents könnten den Fokus wieder auf die Stärken des Landes richten“, hofft sie.
Frankreich, die Sportnation, Paris, die Weltstadt, die zu den fünf bekanntesten Metropolen der Welt zählt. Angesichts der Besucherzahlen dürfte der Pariser Tourismusverband aus dem Champagnertrinken eigentlich gar nicht mehr herauskommen. Mit knapp 36 Millionen Übernachtungen pro Jahr führt Paris die Liste der meistbesuchten Städte an. In Hamburg wurde neulich die Zwölf-Millionen-Marke als Sensation gefeiert. Und so wundert es nicht, dass sich der eine oder andere gar nicht erst bemüht, die Gründe aufzuzählen, warum Paris Olympia kann und Olympia verdient. „Für viele gibt’s in Wahrheit nur einen Grund“, sagt Marc Ventouillac von „L’Equipe“: „Paris halt“.
Sich gemeinsam für etwas einsetzten, das ist nicht ide Mentalität
Nur ihre etwas olympiamüden Bewohner muss diese Stadt jetzt irgendwie noch mobilisieren. Auf dem Papier etwas anzukreuzen ist eben etwas anderes, als auf die Straße zu gehen und „Feuer und Flamme“ zu sein. „Sich so gemeinsam für etwas einzusetzen, ist nicht die Mentalität hier“, sagt der Pariser Jean-Pierre Morand, der für ein großes Ölunternehmen arbeitet und auch mal ein paar Jahre in Hamburg eingesetzt war. Seitdem reist er regelmäßig in die Hansestadt und meint: „Von dieser Euphorie, die ihr in Hamburg habt, sind wir hier weit entfernt.“ Davon, dass in Hamburg vor ein paar Monaten rund 20.000 Menschen bei Nieselregen und sechs Grad mit Fackeln an die Alster gekommen sind, hört er zum ersten Mal. Und scheint es nicht recht glauben zu können. „Wirklich nur wegen Olympia?“
Nun mag es für die Entscheidung völlig irrelevant sein, wie viele Menschen bei miesem Wetter mit einer Fackel an der Alster stehen. Viel wahrscheinlicher ist, dass auch beim IOC noch niemand etwas davon gehört hat. Aber Paris will dieses Mal alles richtig machen. Muss alles richtig machen. 100 Jahre. Der vierte Versuch.
Und weil die Politik naturgemäß nicht der allerbeste Stimmungsmacher ist, sollen das bei dieser Kandidatur lieber die Sportler übernehmen. Topstars wie der in den USA spielende Basketballer Nicolas Batum, Wimbledon-Siegerin Marion Bartoli und Kanu-Olympiasieger Tony Estanguet sollen die Gesichter der Kandidatur werden.
Diesmal soll nicht die Politik, sondern der Sport an der Spitze stehen
„Der grundlegende Unterschied zur letzten Kandidatur ist, dass dieses Mal die Sportbewegung an der Spitze ist und nicht die Politik“, sagt Jean-François Lamour, ehemaliger Sportminister. Die Bewegung sei viel mehr als beim letzten Mal getragen und angeführt vom Engagement des Olympischen Komitees, der Sportverbände und der Athleten. So, glaubt er, werde es gelingen, die Menschen noch viel mehr zu mobilisieren und motivieren.
Noch mehr Motivation als beim letzten Mal? „Das ist eigentlich nicht möglich“, sagt Marc Ventouillac von der „L’Equipe“. Aber noch ist ja Zeit. „Die Begeisterung wird ganz sicher wachsen, wenn der Tag der Entscheidung näher rückt und das Ziel greifbarer wird“, sagt er.
Ob die Chancen dieses Mal besser sind? Auch schwierig. „Beim letzten Mal waren sich ja schon alle sicher“, sagt er. Vielleicht zu sicher. Und vielleicht auch ein bisschen zu arrogant – sagt zumindest Armand de Rendinger.
Der 70-Jährige gilt als eine Art Olympia-Guru. Diverse Male schon war er als Berater für Bewerbungskomitees auf der ganzen Welt im Einsatz. Seine Erfolgsquote kann sich sehen lassen. „Von zwölf Bewerbungen hat es zehnmal geklappt“, sagt er. Mit seinem Ruf, die Formel für den Sieg zu kennen, verdient er heute sein Geld. Er schreibt Bücher (z. B. „Die Geheimnisse einer Entscheidung“) und fliegt als internationaler Berater durch die Welt – auch nach Hamburg sei er kürzlich eingeladen worden. Mit wem er da genau gesprochen hat, bleibt sein Geheimnis.
Was die Entscheidung für eine Stadt angeht, stellt de Rendinger klar, dass man mit Strebertum nicht weit kommt. „Es geht nicht um das beste Dossier“, sagt er. Das habe Paris schließlich zweimal gehabt. „Der Fehler ist oft, dass sich die Bewerber darauf konzentrieren, ihr Dossier zu verkaufen, und dabei aus dem Blick verlieren, was das IOC eigentlich erwartet.“ Es geht ihm um die Perspektive: Nicht der Bewerber verkauft – das IOC kauft ein.
Hamburg und Paris im direktem Vergleich
„Die Stadt Paris hat sich beim letzten Mal zu sehr auch darauf ausgeruht, dass sie halt Paris ist“, sagt er. Mit einem bisweilen arroganten Verhalten, auch gegenüber dem IOC, habe man Stimmen verspielt. Außerdem waren die Organisatoren bis zum Ende zu sehr mit sich selbst beschäftigt. „Dieses Mal“, sagt er, „sind sie besser organisiert.“ Während des Interviews klingelt sein Handy immer wieder. Radio. Fernsehen. Zeitungen. Jetzt wollen ihn wieder alle hören. Wie gut sind die Chancen? Wer macht das Rennen? Zu ganz konkreten Aussagen lässt er sich aber nicht hinreißen.
Aber noch im Juli war er doch einmal sehr konkret geworden: „Wenn Boston mal raus sein sollte, dann hat Paris nur noch ein ernstes Problem: Hamburg.“ Dass Boston einige Wochen später seine Kandidatur zurückziehen würde, konnte er nicht ahnen. Aber ebenso wenig, dass stattdessen Los Angeles ins Rennen gehen würde ...