Deutsche Sporthilfe verleiht Sonnabend die Goldene Sportpyramide in Hamburg. Das Abendblatt sprach mit Sporthilfe-Chef Michael Ilgner.

Es ist die Nacht der Stars. Fußball-Bundestrainer Joachim Löw erhält an diesem Sonnabend die Goldene Sportpyramide, den Ehrenpreis der Deutschen Sporthilfe, und die deutsche Sportprominenz wird dabei sein. Die Fecht-Olympiasiegerinnen Anja Fichtel und Britta Heidemann, Tennisidol Michael Stich, Schwimmstar Michael Groß oder die Hockeyasse Moritz Fürste und Florian Fuchs – sie alle stehen auf der Gästeliste. Bislang wurde die Pyramide seit 2000 in Berlin verliehen. Um Hamburgs Bewerbung um die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2024 zu unterstützen, wird Löw in der Handelskammer geehrt. Grund genug, um mit Sporthilfe-Vorstandschef Michael Ilgner, 44, über Leistungssportförderung zu sprechen.

Hamburger Abendblatt: Herr Ilgner, ein Vorurteil in der Bevölkerung lautet, dass Spitzensportler reich sind. Im Durchschnitt, ergab eine Umfrage, betrage der Verdienst eines Topathleten 8000 Euro im Monat. Warum braucht es da überhaupt die Sporthilfe?

Michael Ilgner: Weil diese Annahme grundlegend falsch ist. Tatsächlich liegt das Durchschnittseinkommen bei 626 Euro netto, und das bei einer 60-Stunden-Woche. Durch die wenigen Sportarten, die kommerziell professionell aufgestellt sind, ist in der Bevölkerung ein schiefes Bild entstanden. Tatsächlich könnte mehr als die Hälfte aller von uns geförderten Athleten ohne die Sporthilfe nicht Leistungssport betreiben. Um dieses Ungleichgewicht auszutarieren und möglichst vielen Athleten eine optimale Chance zu geben, ihr Talent zu entwickeln, dafür braucht es die Sporthilfe

Ihr Grundsatz ist, dass die Besten auch am besten gefördert werden. Müsste man nicht eher die Schwächsten mehr fördern, damit die den Anschluss nicht verpassen?

Ilgner : Im Leistungssport gilt das Leistungsprinzip, davon können und wollen wir uns nicht abkoppeln. Aber die Besten sind zunächst nicht zwingend die mit den größten Erfolgen, sondern die mit Talent, den besten Konzepten und besten Aussichten. Darum geht es uns.

Sie fördern auch nicht nach Einkommen, sondern nach Leistung. Heißt das also, dass die Fußball-Weltmeister am meisten Fördergeld erhalten, obwohl sie es wahrlich nicht bräuchten?

Ilgner : Nein, wir fördern grundsätzlich keine Sportler, die als Profis ein ausreichendes Grundeinkommen haben. Also keine Fußballer, aber auch – außer im Nachwuchs und bei den Frauen – keine Handballer, Basketballer oder Eishockeyspieler. Unsere Klientel liegt in der großen Breite auf einem sehr ähnlichen Einkommensniveau.

Wie steht es um die Solidarität im deutschen Sport? Wäre es nicht wünschenswert, dass die, die unverschämt viel verdienen, denen, die unverschämt wenig verdienen, unter die Arme greifen?

Ilgner : Das passiert ja. Die Deutsche Fußball-Liga unterstützt die Sporthilfe finanziell und ideell in vorbildlicher Weise, wir haben auch zum Deutschen Fußball-Bund eine sehr fruchtbare Beziehung. Dennoch wird es diese finanziellen Unterschiede immer geben, und wir dürfen daraus, dass jemand viel Erfolg hat und damit viel verdient, nicht die unmittelbare Verpflichtung ableiten, anderen direkt abzugeben. Und eins will ich herausstreichen: Geld ist für die allermeisten unserer Athleten nicht die Motivation, sondern die Begeisterung für ihren Sport treibt sie an.

Dennoch braucht es eine Basis, eine Grundversorgung, um Spitzenleistungen im Sport abrufen zu können. Viele sagen: Die Wirtschaft ist in der Pflicht, sich zu engagieren, weil sie von den Erfolgen des Sports auch profitiert.

Ilgner : Ich halte nichts davon zu glauben, die Wirtschaft in eine Rolle zwingen zu können, sehr viel jedoch davon, sie zu überzeugen. Zunächst einmal muss die Wirtschaft sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, damit sie überhaupt die Mittel generiert, mit denen sie andere unterstützen kann. Wir haben mit der Deutschen Post, der Deutschen Bank, der Lufthansa, der Telekom und Mercedes-Benz fünf herausragende Förderer, die verstanden haben, dass Leistungssportler auch für sie tragende Rollen spielen können.

Dennoch hört man immer wieder Klagen, die Wirtschaft helfe zu wenig, sei zu fußballfixiert. In Hamburg suchen diverse Bundesligisten Sponsoren.

Ilgner : Das Engagement ist mitunter noch zu gering. Es ist aber keine Einbahnstraße. Der Sport muss auf die Unternehmen zugehen, ihnen immer wieder deutlich machen, dass beide Seiten nur gewinnen können, wenn Unternehmen Leistungssportler fördern. Auch wir sind stets auf der Suche, diese Botschaft noch klarer zu vermitteln und noch mehr Unterstützer zu gewinnen. Deshalb haben wir zuletzt eine Reihe wichtiger Bausteine geschaffen, um den Athleten auch eine Perspektive für die Zeit nach der Karriere zu geben.

Wenn man mehr Medaillen mit weniger Mitteln will, läge es nahe, sich wie die Niederlande auf wenige Schwerpunktsportarten zu konzentrieren. Doch das will der Deutsche Olympische Sportbund nicht. Warum ist Vielfalt wichtig?

Ilgner : Weil sie ein hohes Gut gerade auch für den Breitensport ist, das wir bewahren müssen. Dennoch sind alle Verbände und Institutionen aufgerufen, ihre Konzepte zu hinterfragen, denn BMI und DOSB haben auch klargestellt, dass sie nicht nach dem Gießkannenprinzip fördern werden, sondern nur die, die tragfähige Konzepte vorweisen können. Genauso halten wir es.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière fordert mittelfristig ein Drittel mehr Medaillen, kann dafür aber keine höheren finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Wie soll das funktionieren?

Ilgner : Ich habe diese Aussage als Aufforderung zur Diskussion um unser Fördersystem aufgefasst. Die letzte tiefgreifende Strukturveränderung gab es im deutschen Sport wohl mit den Olympischen Heimspielen 1972 in München. Insofern ist der Anstoß des Innenministeriums wichtig. Aber natürlich müssen wir uns auch darüber unterhalten, was mit welchen Mitteln möglich ist.

Viele haben sofort an unerlaubte Mittel gedacht. Kann man im internationalen Sport mehr Medaillen bei gleicher Förderung nur durch Doping erreichen?

Ilgner : Wenn dem so wäre, würden wir das nicht mitmachen. Wir wissen, dass es Anfälligkeit zu Betrug in allen Lebensbereichen gibt, besonders dort, wo viel Geld bewegt wird, und auch immer geben wird. Aber der Grundsatz der Sporthilfe lautet nicht umsonst: Wir fördern Leistung, aber nicht als Erfolg um jeden Preis. Jeder geförderte Athlet leistet den Sporthilfe-Eid, der auf den drei Säulen Leistung, Fairplay und Miteinander basiert. Bei Verstößen – die in den vergangenen Jahren auch vorgekommen sind – müssen Fördergelder zurückgezahlt werden. Wir wollen das Ungeheuer Manipulation so hart wie möglich bekämpfen.

Gehörte dazu nicht endlich auch die Anerkennung für persönliche Bestleistungen, auch wenn diese nicht für einen Medaillenrang reichen?

Ilgner : Das ist ein wichtiges Thema. Wir alle machen oft den Fehler, nur auf Medaillen zu schauen, und übersehen dabei Höchstleistungen, die Anerkennung wert wären. Oftmals sind es tatsächlich die Athleten selbst, die den höchsten Anspruch an sich stellen und auch am meisten enttäuscht sind über einen vierten Platz, und das ist auch verständlich, denn im Leistungssport geht es nun einmal um den Sieg oder wenigstens um eine Medaille. Das wird sich nie ändern. Aber wir müssen Leistungen mehr in Perspektive setzen und anerkennen. Wir zahlen beispielsweise bei Olympia Prämien bis Rang acht, da wir der Meinung sind, dass die Weltspitze nicht nach Platz drei aufhört.

Ein ganz entscheidender Faktor für die Leistungssportentwicklung sind Olympische Spiele im eigenen Land. Was würde ein Erfolg Hamburgs im Kampf um die Ausrichtung der Spiele freisetzen?

Ilgner : Wir wissen aus Ländern ähnlicher Kultur und Struktur wie Australien, Spanien oder England, dass die Ausrichtung Olympischer Heimspiele der Motor für Veränderung ist. Wir haben 1972 in München diese Erfahrung in Deutschland selbst gemacht. Die unmittelbare Begeisterung spielt eine entscheidende Rolle. Als 13-Jähriger habe ich die Spiele 1984 nachts im Fernsehen verfolgt, habe Michael Groß in Los Angeles schwimmen sehen und seitdem das Ziel gehabt, es in meinem Sport, dem Wasserball, auch zu Olympia zu schaffen. Diese Erfahrung im eigenen Land machen zu können, das setzt enorme Kräfte und Motivation frei.

Viele Menschen fragen sich, ob Deutschland sich angesichts der Flüchtlingsströme ein zusätzliches Milliardenprojekt zutrauen sollte.

Ilgner : Ich sehe darin eine große Chance, denn wer sich zum Beispiel unsere Fußball-Nationalmannschaft anschaut, der sieht, welche Möglichkeiten Zuwanderung für den Sport bietet und im Umkehrschluss auch, was der Sport für die Integration leisten kann. Der Wert einer Gesellschaft bemisst sich daran, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht, aber auch, wie sie ihre Besten fördert. Beides muss in Deutschland nebeneinander möglich sein. Und zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ich halte auch die anderen Kandidaten, die sich für 2024 bewerben, für so stark aufgestellt, dass sie eine solche Herausforderung stemmen könnten. Wir sollten also den Wettkampf annehmen, ohne zu glauben, dass nur wir es leisten könnten.

Warum glauben Sie, dass Hamburg diesen Wettkampf gewinnen kann?

Ilgner : Weil die Stadt, basierend auf der Agenda 2020 des IOC, einen sehr guten Vorschlag gemacht hat, eine neue Art der Spiele auszurichten. Das kann der Weg sein, wieder die positiven Seiten des Leistungssports zu betonen, die völkerverbindende Kraft und dass er eine vorbildliche Schule fürs Leben ist und viel mehr als Doping und korrupte Funktionäre. Das ist eine große Aufgabe, aber auch eine große Chance.