Hamburg. Frühere Ministerin und Greenpeace-Chefin Monika Griefahn wirbt für mehr alternative Kraftstoffe. Was dafür spricht – und was dagegen.
In den Urlaub fliegen, eine Kreuzfahrt machen, lange Strecken im Auto zurücklegen oder Waren aus Übersee nach Hamburg verschiffen – all dies basiert aktuell auf fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas. Doch das treibt den Klimawandel voran: Der CO₂-Gehalt in der Atmosphäre ist von 280 ppm vor der Industrialisierung auf heute über 420 ppm gestiegen. Die Folgen sind weltweit spürbar: Die Durchschnittstemperaturen steigen, extreme Wetterereignisse nehmen zu.
Eine klimaneutrale Alternative, die aktuell kontrovers diskutiert wird, sind E-Fuels. Diese synthetischen Kraftstoffe könnten es ermöglichen, bestehende Verkehrsmittel ohne umfassende technische Anpassungen weiterzunutzen und gleichzeitig die CO₂-Emissionen drastisch zu reduzieren. Doch wie viel Potenzial steckt wirklich in diesen viel gepriesenen Wundermitteln, und welche Hürden gilt es zu überwinden?
E-Fuels aller Art werden aus „grünem“ Wasserstoff hergestellt
Der Begriff E-Fuels umfasst Kraftstoffe, die aus zwei Hauptkomponenten hergestellt werden: „grünem“ Wasserstoff und CO₂. Klimaneutraler Wasserstoff entsteht durch die Elektrolyse von Wasser mit Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind- oder Solarenergie. Das zudem benötigte CO₂ kann entweder aus der Luft gefiltert (Direct Air Capture) oder aus industriellen Prozessen abgeschieden werden, etwa bei der Zementherstellung.
Im Zusammenspiel ergeben diese Stoffe flüssige oder gasförmige Kraftstoffe wie synthetisches Benzin, Diesel, Kerosin oder LNG. „Kraftstoffe, die auf Basis von grünem Wasserstoff und beigefügtem CO₂ hergestellt werden, haben im Prinzip die gleichen Eigenschaften wie konventionelle“, erklärt Monika Griefahn, einst Mitgründerin von Greenpeace sowie niedersächsische Umweltministerin und aktuell Vorsitzende der eFuel Alliance. Diese Organisation mit Sitz in Hamburg vertritt die Interessen von mehr als 170 Mitgliedern, darunter Automobilhersteller, Energieversorger und Fluggesellschaften, und setzt sich für die Förderung von E-Fuels als Teil der globalen Energiewende ein.
E-Fuels lassen sich verwenden wie Benzin oder Kerosin
Ein zentraler Vorteil von E-Fuels ist in der Tat ihre Vielseitigkeit: Sie könnten über bestehende Tankstellen vertrieben und in heutigen Verbrennungsmotoren oder Turbinen eingesetzt werden – ohne große technische Anpassungen. Besonders attraktiv erscheinen E-Fuels für Verkehrsträger, bei denen Alternativen wie Batterien oder Brennstoffzellen an technische oder wirtschaftliche Grenzen stoßen. Dies betrifft vor allem die für Hamburg bedeutende Luftfahrt und die Schifffahrt. „Flugzeuge könnten mit zertifiziertem synthetischem Kerosin fliegen, Schiffe mit klimaneutralem Flüssig-Methan, Methanol oder synthetischem Marinediesel fahren“, erläutert Griefahn.
Aber auch im Straßenverkehr könnten E-Fuels eine Übergangslösung sein. Angesichts von rund 1,4 Milliarden Fahrzeugen weltweit – viele davon noch jahrelang in Betrieb – würden sie helfen, CO₂-Emissionen schnell zu senken, ohne auf den flächendeckenden Ausbau der Elektromobilität warten zu müssen. Die größte Herausforderung für die Verbreitung von E-Fuels ist dabei aktuell der Preis.
Während fossile Kraftstoffe pro Liter in der Herstellung je nach Rohölpreis etwa 70 bis 90 Cent kosten, liegt der Preis für E-Fuels derzeit noch bei rund 3,50 bis 4,50 Euro. Selbst in Großanlagen in Regionen mit günstiger erneuerbarer Energie wie Chile, Marokko oder Australien könnten die Kosten mittel- bis langfristig Experten zufolge höchstens auf 1,50 bis 2 Euro pro Liter gesenkt werden.
Die hohen Kosten sind vor allem auf den immensen Strombedarf zurückzuführen: Rund 60 Prozent der Produktionskosten entfallen auf die Energie, die für die Elektrolyse und die Umwandlungsprozesse benötigt wird. „Das Entscheidende ist immer: Wie teuer ist der Strom. Und: Gibt es eine anerkannte CO₂-Quelle“, betont Griefahn. Hinzu kommen Wirkungsgradverluste bei der Herstellung: Anders als beim direkten Verbrauch von grünem Strom für Elektrofahrzeuge geht bei der Produktion und Nutzung von E-Fuels deutlich mehr Energie verloren.
Aktuell gibt es weltweit 430 E-Fuel-Projekte
Aktuell gibt es weltweit rund 430 Projekte zur Produktion von sechs verschiedenen E-Fuel-Sorten. Laut einer Prognose von Porsche Consulting für die eFuel Allianz könnte sich die Kapazitäten bis 2030 vervierfachen. 70 Prozent der Kapazitäten entfallen dabei auf grünes Methanol, 10 Prozent auf grünes Kerosin (eSAF). Mit je 9 Prozent spielen auch eMethan als LNG-Ersatz sowie grünes Benzin nur Nebenrollen, grünem Diesel (eDiesel) widmet man nur 2 Prozent der geplanten Kapazitäten, unter anderem aufgrund strenger Regulierungen und mangels nachhaltiger wirtschaftlicher Anreize.
Es stockt also bei den E-Fuels, vor allem dort, wo sie in Autos oder Lkw oder auch Baumaschinen eingesetzt werden könnten. „Geld und Technologie sind vorhanden, aber es fehlt an langfristigen Abnahmezusagen“, erklärt Griefahn. „Eine Lösung könnten Quoten sein: Würden beispielsweise 5 Prozent E-Fuels dem Kraftstoffmarkt beigemischt, könnten bis 2030 rund 60 Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden. Dies könnte den Markt beleben und eine Skalierung ermöglichen.“
Besonders im globalen Schiffs- und Luftverkehr, beides für Hamburg elementar wichtige Branchen, könnten E-Fuels künftig mitentscheidend sein. Batterieelektrische Antriebe oder Wasserstoff-Tanks sind für große Kreuzfahrtschiffe, Containerschiffe oder Langstreckenflugzeuge aufgrund von Gewicht, Platzbedarf und Reichweite vermutlich keine praktikable Alternative. Auch wenn Airbus gerade angekündigt hat, einen A380 ab 2027 mit einem zusätzlichen Wasserstofftriebwerk auf Reisen zu schicken. Einfacher und schneller in der Praxis zu realisieren, wäre die Nutzung von per Fischer-Tropsch-Synthese hergestelltem E-Kerosin, da dieses die gleichen Eigenschaften besitzt wie herkömmliches. Allerdings ist es deutlich teurer.
Sustainable Aviation Fuel (SAF) ist der Oberbegriff für alle Flugkraftstoffe, die ohne die Verwendung von fossilen Rohstoffen wie Erdöl oder Erdgas hergestellt werden. Laut Lufthansa existieren dafür verschiedene Herstellungsverfahren und unterschiedliche Ausgangsstoffe. „Die aktuelle Generation von SAF, die von der Lufthansa Group eingesetzt wird, wird hauptsächlich aus biogenen Reststoffen, beispielsweise aus gebrauchten Speiseölen und -fetten, hergestellt“, heißt es von der Airline. Ebenso möglich wäre technisch aber auch die Nutzung von eSAF, also auf Strombasis erzeugtem Kerosin.
Eine Beimischung alternativer Kraftstoffe im Luftverkehr ist künftig verpflichtend. Gesetzlich vorgeschrieben ist ab 2025 ein Anteil von zunächst zwei Prozent SAF für alle Flüge, die innerhalb Europas starten. Dieser Anteil steigt binnen fünf Jahren auf dann fünf Prozent im Jahr 2030. Um allerdings im Jahr 2050 weitgehend klimaneutral fliegen zu können, müsste der Anteil danach stark steigen.
Lufthansa verkauft „Green Fares“ mit Klimaschutz-Effekt
Etwas anderes sind die sogenannten „Green Fares“ der Lufthansa Group. Solche Tarife beinhalten laut Airline „vollen bilanziellen Ausgleich der individuellen, flugbezogenen CO₂-Emissionen“. Dabei werden zwar 80 Prozent über Klimaschutzprojekte verrechnet, immerhin 20 Prozent sollen auf Kurz- und Mittelstrecken durch höhere Quoten von nachhaltigem Flugkraftstoff erzielt werden. Auf Interkontinentalstrecken werden zehn Prozent der CO₂-Emissionen durch SAF reduziert und die restlichen 90 Prozent durch Beiträge zu Klimaprojekten ausgeglichen.
Eine Beimischung klimaneutraler Kraftstoffe, auch für Autos, wünscht sich die eFuel Alliance. Deren Hauptgeschäftsführer Ralf Diemer sagte dem Abendblatt: „Es gibt derzeit zwei große Hindernisse für Investitionen, die den Ausbau verlangsamen oder in Teilen sogar verhindern. Zum einen existieren sehr strikte Regeln für die Zertifizierung der benötigten Strom- und CO₂-Quellen, die potenzielle Geldgeber verunsichern. Zum anderen gibt es noch keinen funktionierenden Weltmarkt für erneuerbare Kraftstoffe. Und selbst wenn die Skaleneffekte eintreten, wird fossile Energie zumindest im Bereich der Kraftstoffe für den Verbraucher noch auf lange Sicht billiger sein als erneuerbare Energie.“
E-Fuels: Griefahn wirbt für fünf Prozent Beimischung bei Pkw
Das führe zu fehlenden Anreizen, ein typisches „Henne-Ei-Problem“. Geld und Technologie seien zwar da, es fehle aber an langfristigen Abnahmezusagen. Dafür brauche man andere regulatorische Mechanismen und den entsprechenden politischen Willen. Griefahn konkretisiert: „Wenn man 5 Prozent Beimischungsquote im aktuellen Kraftstoffangebot für den Straßenverkehr vorschreiben würde, könnte man einen starken Hochlauf garantieren. Bis 2030 könnten wir so 60 Millionen Tonnen CO₂ einsparen. Im Moment wird dies aus politischen Gründen aktiv verhindert, weil es angeblich den Umstieg auf die reine Elektromobilität stört. Das ist schlicht falsch. Am Ende brauchen wir alle Technologien.“
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Malte Siegert vom NABU in Hamburg sieht genau diesen Punkt kritisch. Zwar sagt auch er: „Die einzige Chance, große Flugzeuge oder Schiffe – Kreuzfahrer wie Handelsschiffe – zukünftig klimafreundlich anzutreiben, sind synthetische Kraftstoffe.“ Doch was den Pkw-Bereich angeht, ist er auf der Seite der reinen E-Mobilität: „Synthetische Kraftstoffe als Alternative im Straßenverkehr zu forcieren, ist wenig klug, weil vor allem ökonomisch unsinnig. Denn die Herstellung und der Transport von E-Fuels sind aufwendig und werden perspektivisch immer deutlich teurer sein als Strom aus der Batterie.“
Auch einem auf Studien basierenden Diskussionspapier des Fraunhofer ISI zufolge ergibt der kurz- und mittelfristige Einsatz strombasierter E-Fuels im Straßenverkehr „wenig Sinn“: Das Hauptargument: „Die weltweite erneuerbare Stromproduktion müsste im Vergleich zum heutigen Stand fast verdoppelt werden, um im Jahr 2050 einen weltweiten Anteil von 10 Prozent an grünem Wasserstoff und synthetischen Brenn- und Kraftstoffen einschließlich E-Fuels zu erreichen – letztere werden daher noch lange knapp und teuer sein.“
Experten sagen: Mengen reichen gar nicht für den Verkehr
Der Einsatz von grünem Wasserstoff und synthetischen Brenn- und Kraftstoffen, so das Institut, sollte sich deshalb auf Anwendungsbereiche konzentrieren, in denen keine anderen wirtschaftlichen Alternativen zur Erreichung der Treibhausgasneutralität zur Verfügung stehen, wie den Stahlsektor, die Grundstoffchemie, Raffinerien und den internationalen Flug- und Schiffsverkehr. „Alleine auf diese Anwendungen entfallen rund 15 Prozent des Endenergiebedarfs Deutschlands im Jahr 2045. Für den Straßenverkehr verblieben dann kaum nutzbare Mengen.“
Langfristig sei eine großflächige Nutzung von E-Fuels bei Pkw und Lkw ohnehin ökonomisch nicht zielführend: „Die Umwandlungsverluste sind enorm, und Alternativen wie die direkte Elektrifizierung sind auf die Stromnutzung bezogen bis zu fünfmal effizienter.“ Allerdings geben die Forscher um Prof. Dr. Martin Wietschel, Leiter des Competence Centers Energietechnologien und Energiesysteme am Fraunhofer ISI, auch zu bedenken: „Sollten sich die heutigen wissenschaftlichen Prognosen für E-Fuels wider Erwarten als zu pessimistisch erweisen, könnte ihr Einsatz für den Straßenverkehr später noch stärker erwogen werden.“
Warum E-Fuels für Hamburg noch wichtig werden könnten
Wie also geht es weiter? Damit E-Fuels ihren Teil zur Klimarettung beitragen können, müssen noch zahlreiche Hürden überwunden werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien, der Aufbau von Großanlagen in wind- und sonnenreichen Regionen, die Entwicklung eines funktionierenden Weltmarkts für grüne Kraftstoffe und die Schaffung klarer politischer Rahmenbedingungen sind essenziell. „Es geht darum, jetzt die Weichen für eine nachhaltige Mobilität zu stellen“, fasst Griefahn zusammen. „Nur mit einem intelligenten Mix aus elektrischen Lösungen und E-Fuels können wir die globale Energiewende erfolgreich gestalten.“