Hamburg. Schweizer Reederei MSC soll groß beim Hafenkonzern HHLA einsteigen. Am Mittwoch stimmt die Bürgerschaft ab. Es gibt viele Fragen.
Der Hamburger Hafen steht vor großen Veränderungen. Die Hamburgische Bürgerschaft muss in ihrer Sitzung am Mittwoch darüber entscheiden, ob sie einen bedeutenden Teil des größten Hafenkonzerns HHLA an die Schweizer Reederei MSC verkauft, und das für mindestens 40 Jahre. Es ist eine Entscheidung, die in ihrer Tragweite der Räumung des Fischerdorfs Altenwerder für ein neues Containerterminal vor 50 Jahren gleichkommt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Hamburger Hafen: Worum geht es bei dem umstrittenen Deal?
Der Hamburger Senat will die Unternehmensstruktur der HHLA ändern. Bisher hielt die Stadt 70 Prozent an dem größten Hamburger Hafenkonzern, der für mehr als 80 Prozent des Gesamtumschlags verantwortlich ist. 30 Prozent der Aktien wurden über die Börse gehandelt und waren in der Hand von institutionellen Anlegern und im Streubesitz. Künftig soll die Stadt das Unternehmen zusammen mit nur einem starken Investor führen. Nach geheimen Verhandlungen, über die nicht einmal die HHLA-Führung informiert war, einigte sich der Senat auf eine strategische Partnerschaft mit der Schweizer Reederei MSC.
Diese soll bis zu 49,9 Prozent am Hafenkonzern erwerben. Dazu kauft das Unternehmen Aktien an der Börse auf. Die restlichen 19,9 Prozent der HHLA-Anteile will der Senat an MSC veräußern, was der Zustimmung der Bürgerschaft bedarf. Künftig hat die Stadt dann nur noch 50,1 Prozent an der HHLA. MSC und Stadt wollen ihre HHLA-Anteile in einer Holding namens Port of Hamburg bündeln. Der Vertrag gilt für mindestens 40 Jahre.
Warum handelt der Senat so?
Laut Gesetzentwurf soll der Hafen leistungsfähig und für seine Kunden attraktiv bleiben, neue Geschäftsmodelle etablieren und innovative Technologien einführen. Er muss im Rahmen der globalen Veränderungen des Welthandels und wegen der zunehmenden Wettbewerbsintensität der Seehäfen wieder Boden gutmachen, den er in den vergangenen Jahren verloren hat. Dazu soll der Seegüterumschlag der HHLA stabilisiert und gesteigert werden.
Dabei habe sich die bisherige Gesellschafterzusammensetzung mit dem breiten Aktionärskreis als hinderlich erwiesen, sagt der Senat. Verschiedene Optionen für die HHLA, wie ein Zusammengehen mit dem Konkurrenzbetrieb Eurogate oder ein Einstieg der Reederei Hapag-Lloyd, wurden geprüft. Beides scheiterte. So verhandelte der Senat mit der Reederei MSC, die die Grundbedingung von Rot-Grün akzeptierte: Die HHLA muss mehrheitlich weiter in der Hand der Stadt bleiben.
Was ist das Besondere an diesem Geschäft?
MSC wird nicht wie Cosco oder Hapag-Lloyd an einem der drei großen Umschlagterminals der HHLA beteiligt, um die Ladungsmengen zu steigern, sondern am Hafenkonzern selbst. Dadurch erhält die Reederei maßgeblichen Einfluss auf die strategische Ausrichtung der HHLA und deren Geschäftsfelder. So etwas hat es bisher noch nicht gegeben. Allerdings ist die Privatisierung von Hafenbetrieben weltweit nicht unüblich.
Wer ist der Käufer der HHLA-Anteile?
Die Mediterranean Shipping Company (MSC) ist die weltgrößte Reederei mit mehr als 850 Schiffen und etwa 200.000 Mitarbeitern, davon rund 800 in Deutschland, inklusive Tochterunternehmen. Hauptsitz des Unternehmens ist Genf in der Schweiz. Einziger Gesellschafter ist die Familie um den italienischen Firmengründer Gianluigi Aponte. Er hat das Unternehmen 1970 gegründet und zunächst mit gebrauchten alten Massengutfrachtern im Mittelmeer betrieben. Mit dem Einstieg in die Containerschifffahrt Anfang der 1980er-Jahre ist MSC rasant gewachsen.
Heute hat das Unternehmen in diesem Segment einen Weltmarktanteil von 20 Prozent, ist aber auch im Kreuzfahrt- und Fährgeschäft aktiv. Über seine Umsätze und Gewinne äußert sich MSC nicht. Medienberichten zufolge erwirtschaftete MSC im für die gesamte Schifffahrt herausragenden Jahr 2022 mehr als 86 Milliarden Euro Umsatz und 36 Milliarden Euro Gewinn.
Handelspartner beschreiben MSC als verlässlich, aber auch sehr durchsetzungsstark. Schlagzeilen machte die Reederei durch mehrere Umweltverstöße und auffallend viele Drogenfunde auf MSC-Schiffen. Seit fünf Jahren hat es aber keine besonderen Vorfälle mehr gegeben. Lediglich 2019 machte die „MSC Zoe“ Schlagzeilen, als sie in einer Sturmnacht 345 Container in der Nordsee verlor.
Was zahlt MSC für die Beteiligung?
MSC zahlt für jede HHLA-Aktie bis zu 16,75 Euro. Die Reederei macht dabei keinen Unterschied, wer der Verkäufer ist. Für ihre 19.9 Prozent erhält die Stadt von MSC also 232,6 Millionen Euro.
Was bietet MSC im Gegenzug?
Die Reederei will ihr Ladungsaufkommen an den HHLA-Terminals vom kommenden Jahr an erhöhen und bis 2031 auf eine Million Standardcontainer pro Jahr fast verdoppeln. Daneben will die Schweizer Reederei in Hamburg auch eine neue Deutschlandzentrale bauen und zusammen mit der Stadt das HHLA-Eigenkapital um 450 Millionen Euro aufstocken.
Behält die Stadt die Entscheidungshoheit bei der HHLA?
Darüber wird gestritten. Befürworter wie Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard und Finanzsenator Andreas Dressel (beide SPD) bejahen das. Schließlich behalte die Stadt Hamburg die Mehrheit der Akten. Nicht auf die Aktienmehrheit, sondern auf die Aktionärsvereinbarung komme es an, sagt hingegen der ehemalige Hafenexperte der SPD, Joachim Seeler, der eben wegen des Deals aus der SPD ausgetreten ist. „Und darin steht eindeutig, dass alle wichtigen Entscheidungen zur HHLA wie Investitionen, Partnerschaften oder strategische Ausrichtung künftig einstimmig getroffen werden müssen – also mit Zustimmung von MSC. Die Stadt dürfte der HHLA nicht einmal Kapital nachschießen, wenn MSC sich querlegt.“
Ist das Verfahren mit der Zustimmung der Bürgerschaft abgeschlossen?
Regierungsseitig ist der Abstimmungsprozess mit Zustimmung der Bürgerschaft abgeschlossen, genehmigt ist der Deal damit aber noch nicht. „Zu den Closing-Bedingungen gehört auch der Abschluss des Fusionskontrollverfahrens durch die EU“, sagt ein Sprecher der Wirtschaftsbehörde. Dieses sei relativ kurz und erfolge innerhalb weniger Wochen nach der formalen Anmeldung.
Die formelle Einreichung der Anmeldung durch MSC solle zeitnah erfolgen. „Die Nicht-EU-Verfahren, das heißt in Georgien und Tunesien, sind bereits abgeschlossen und die notwendigen Freigaben erteilt, ein formaler Verfahrensabschluss steht bislang nur noch in der Ukraine aus, wo die Verfahren gegenwärtig mehr Zeit in Anspruch nehmen“, so der Sprecher.
Doch nicht nur die Fusionskontrolle ist noch anhängig. Bei der EU-Kommission liegen auch die Beschwerden von zwei Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten und mehreren Kleinaktionären gegen den Deal. Sie beklagen mögliche staatliche Beihilfen zugunsten von MSC wegen eines zu niedrig angesetzten Kaufpreises für die HHLA-Anteile, weil es keine Ausschreibung gegeben habe und auch kein Verkehrswertgutachten zur HHLA eingeholt worden sei.
Wer sind die Befürworter und was sagen sie?
Aus den Reihen der Bürgerschaftsabgeordneten von SPD und Grünen hat der Senat kaum Gegenwehr zu befürchten. Nur vereinzelt haben sich Abgeordnete wie SPD-Urgestein Matthias Petersen gegen den Deal ausgesprochen. Die Regierungsmehrheit steht. Auch außerhalb der Politik haben sich mehrere Hafenexperten für den Deal ausgesprochen. So befürworten der Verein Hamburger Schiffsmakler und Vertreter des Branchendienstes Alphaliner den Einstieg von MSC bei der HHLA, weil damit der Hamburger Hafen endlich einmal neue Perspektiven für mehr Wachstum erhalte.
Besonders akzentuiert äußerte sich kürzlich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Erneuerte sein Argument, dass Eile geboten sei, damit der Hafen nicht weiter an Boden verliere. Der Opposition in der Bürgerschaft warf er vor, es gebe nur wenig substanzielle Bedenken gegen den Deal. „Sie werden nur sehr laut und vor allem mit parteipolitischem Kalkül vorgetragen.“
Hamburger Hafen: Wer sind die Gegner und welche Argumente haben sie?
Tschentscher ignorierte dabei geflissentlich, dass es außerhalb der Bürgerschaft nicht wenige Bedenken auch in „seiner“ SPD gegen den MSC-Einstieg gibt. So hat eine Reihe von Genossen aus zahlreichen SPD-Kreisen in einem offenen Brief vor dem Deal gewarnt. Auch bei den Grünen haben nicht wenige Parteimitglieder Bauchschmerzen. Gemeinschaftlich fordern sie, dass die HHLA vollständig rekommunalisiert wird.
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Innerhalb der Bürgerschaft stimmt die gesamte Opposition, also CDU, Linke, AfD und FDP, gegen den Deal. Gleiches gilt für die Mehrheit der Hafenarbeiter sowie die Gewerkschaft Ver.di. Auch zahlreiche Hafenexperten wie der ehemalige Staatsrat der Wirtschaftsbehörde und heutige Präsident der europäischen Seehafenbetriebe, Gunther Bonz, sind scharfe Kritiker. Sie bemängeln das Verfahren ohne Ausschreibung, die geringe Höhe des Kaufpreises und sehen die Gefahr, dass MSC die Stadt über den Tisch ziehen könnte.