Hamburg. Sven Hildebrandt ist seit Jahren Experte für Kryptowährung. Warum Bitcoin noch immer unterschätzt wird – und wie er bei der Energiewende helfen kann.
Der Hamburger Sven Hildebrandt hat Bitcoin viel früher als andere entdeckt: Schon 2016, damals notierte die bekannteste Kryptowährung noch bei unter 1000 Dollar, wurde er auf den Bitcoin aufmerksam. Heute notiert er bei knapp 60.000 Dollar. Lange Zeit war der Blockchain-Experte bei der Hansainvest tätig, heute berät er Finanzinstitutionen und Bankhäuser wie etwa Donner & Reuschel. Er arbeitet vor allem von St. Georg aus.
Hamburger Abendblatt: Herr Hildebrandt, wie oft müssen Sie auf Partys oder bei Familientreffen erklären, wie Kryptowährungen funktionieren?
Sven Hildebrandt: Schon noch häufig. Ich vereinfache dann gern und erkläre es so: Wenn du bei einer Bank ein Konto hast, dann hat die Bank eine Exceltabelle, und in dieser Tabelle steht der Kontostand. Wenn Geld überwiesen wird, geht es auf ein Konto einer anderen Bank, die wiederum eine Exceltabelle hat. Die eine Bank schreibt 100 Euro gut, die andere zieht 100 Euro ab, aber die Datenbanken sind voneinander getrennt. Darin liegt der zentrale Unterschied beim Blockchain-Netzwerk: Hier haben die unterschiedlichen Player keine eigene Datenbank, sondern alles läuft auf einer gemeinsamen Datenbank ab.
Bitcoin: Alles begann für den Kryptoexperten mit einem Zeitungsartikel
Wie sind Sie 2016 auf den Bitcoin aufmerksam geworden?
Über einen Zeitungsartikel. Ich fand das Thema spannend und bald wurde mir klar: Das ist vielleicht der größte Durchbruch seit Erfindung des Buchdrucks – zumindest für die Finanzwelt.
Andere sagen: Das ist der Wilde Westen der Finanzwelt.
Vor vier oder fünf Jahren war es gegebenenfalls noch so. Wir haben inzwischen aber eine vernünftige Regulierung durch die Europäische Union. Schon 2013 gab es die erste Einschätzung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zu dem Thema. Das heißt, in Deutschland war schon damals relativ viel reguliert.
Bitcoin: In zehn Jahren stieg der Kurs von 100 auf 70.000 Dollar
Damals hätte der Finanzminister in Bitcoin investieren sollen. 2013 lag der Kurs bei 100 Dollar …
Hinterher ist man immer klüger, und die große Volatilität war und ist für viele Menschen und auch Institutionen immer noch abschreckend. Es kommt halt immer auf das individuelle Risikoprofil an.
Trotzdem scheinen Kryptowährungen Kriminelle anzuziehen. Die drittgrößte Börse für Kryptowährungen hat sich am Ende als Betrug herausgestellt.
Betrug gibt es überall, bei Blockchain wie anderswo auch. Da es eine junge Branche ist, sollte man dreimal hinschauen. Natürlich versuchen Glücksritter hier eine schnelle Mark zu machen. Die betrügerische Börse FTX war überhaupt nicht reguliert. Es gibt noch andere Börsen, die überhaupt nicht kontrolliert sind. Auf der anderen Seite gibt es auch Handelsplattformen, die etwa die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht überwacht.
Warum wird die Branche ihren schlechten Ruf nicht los?
Die Kriminalitätsdebatte ist mittlerweile ziemlich durch. Früher tummelten sich da auch Drogenbarone, aber Bitcoin für kriminelle Dinge zu benutzen, ist in der Tat nicht empfehlenswert. Denn die allermeisten Kryptowährungen sind nicht anonym, sondern pseudonym. Wenn du einmal die Adresse einem Menschen zugeordnet hast, bekommt man das nie wieder los. Eines ist übrigens spannend: Je besser sich die Menschen mit Bitcoin auskennen, umso faszinierter sind sie. Man findet niemanden, der sich 1000 Stunden mit Bitcoin befasst hat und kein Bitcoin-Fan ist. Aber es gibt viele mit ablehnender Haltung, die sich nicht im Geringsten mit dem Thema beschäftigt haben.
Inzwischen gibt es Finanzprodukte, die den Wert des Bitcoins nachbilden
Inzwischen gibts ja sogar zugelassene Finanzprodukte.
Genau. Man kann beispielsweise sogenannte ETP kaufen. Das sind Wertpapiere, die die Entwicklung von digitalen Assets genau abbilden und die mit den Assets hinterlegt sind. Ich habe auch mit einem ETP angefangen, das ich bei meiner Bank kaufen und ins Depot legen konnte. Das fühlt sich auch sicherer und gewohnt an. Je mehr man darüber lernt, umso differenzierter handelt man.
Sollten sich Anleger auf die größte Kryptowährung konzentrieren – also auf den Bitcoin?
Jeder möge sich sein eigenes Bild machen. In meinen Augen gibt es aber schon gute Gründe dafür, warum viele, die sich sehr, sehr lange mit dem Thema beschäftigt haben, Bitcoin als „finales Geld“ bezeichnen.
Den schlechten Ruf haben die Kryptowährungen abgestreift
Auch die klassischen Marktplätze haben erkannt, dass der Handel von Kryptowährung ein lukratives Geschäft ist.
Die Finanzwelt versteht mehr und mehr, welche Möglichkeiten Kryptowährungen bieten. Das war lange anders: Früher hielten einige Krypto schlicht für kriminell, wer sich dafür interessierte, galt als komischer Typ. Aber am Ende des Tages ist es eine faszinierende Technologie. Sie macht weltweit den Austausch von Werten in Echtzeit möglich, so etwas hat es noch nie gegeben. Wie wichtig das ist, haben viele noch nicht einmal ansatzweise verstanden.
Die Zentralbanken werden an Macht verlieren …
Ja. Aber die Frage stellt sich, ob das etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist? Die Antwort fällt in Europa anders aus als im globalen Süden mit seinen teilweise maroden Geldsystemen. Da druckt eine Zentralbank einfach Geld. Und der normale Bürger hat keine Möglichkeit, sein Vermögen zu sichern, weil die Inflation es auffrisst. Der Bitcoin wirkt da wie eine Befreiung. Und wenn der Wert mal um zehn, 20 oder gar 30 Prozent schwankt, wird das einen Anleger etwa in Afrika kaum schrecken. Der verliert in der eigenen Währung oft noch über Nacht viel mehr. Und das Gute: Im Gegensatz zur Landeswährung hat Bitcoin vermutlich eine bessere fundamentale Basis. Aber solche Diskussionen führt der Durchschnittseuropäer nicht.
Nachfrage nach Bitcoin könnte noch deutlich zunehmen
Trotzdem bleibt eine Investition in Kryptowährungen eine Spekulation …
Das stimmt. Aber wie bemisst sich der Wert eines Gutes? Am Ende entscheidet das immer Angebot und Nachfrage. Selbst das schönste Haus an der Elbchaussee ist wenig wert, wenn es keiner kaufen will.
Die Hoffnung ist, dass die Nachfrage nach Kryptowährungen in den kommenden Jahren noch zunehmen wird, weil sie gerade am Beginn ihrer Karriere stehen. Sie sind bislang kaum in den großen Depots vertreten.
Das stimmt so nicht mehr. Ein Großteil der Hedge-Fonds und sogar Pensionsfonds halten bereits Bitcoin in ihren Beständen. Die Amerikaner sind viel aufgeschlossener als wir Europäer. Aber wir spüren, dass die Nachfrage anzieht und Vermögensverwalter Kryptos beimischen. Wenn alle nur ein halbes Prozent ihrer Anlagen in Bitcoin drehen, sehen wir ganz andere Kurse als heute.
Ist Bitcoin das Gold des 21. Jahrhunderts?
Gibt es eine Obergrenze, wie viel Prozent der Ersparnisse in Bitcoin fließen dürfen?
Das kommt auf die persönliche Risikoneigung an. Seine Miete sollte man sicherlich nicht davon bezahlen. Wer starke Wertschwankungen in seinem Portfolio aushält, kann mehr Bitcoin halten als ein vorsichtiger Anleger.
Ist Bitcoin das Gold des 21. Jahrhunderts?
Nein, es ist viel geiler als Gold. Gold hat mehrere Probleme. Man kann es nur schwer teilen, einen Bitcoin kann man in 100 Millionen Teile zerlegen, das wären im Moment gerade 0,0005 Cent. Selbst wenn der Preis signifikant steigen würde, könnte man damit kleinste Beträge bezahlen. Das versuchen Sie mal mit Gold. Beim Gold gibt es auch ein Aufbewahrungs-, ein Gewichts- und ein Transportproblem. Beim Bitcoin drücke ich nur auf einen Knopf. Ich kann nackt über die Grenze laufen und habe nur 24 Worte im Kopf, und damit kann ich mein komplettes Vermögen mitnehmen. Das ist eine faszinierende Technologie.
Nur doof, wenn man den Code verliert. Seit nunmehr zehn Jahren sucht ein Waliser seine versehentlich weggeworfene Festplatte mit 8000 Bitcoins auf einer Müllkippe. Das ist eine knappe halbe Milliarde ...
Es gab auch Fälle, wo kriminelle Menschen den Rechner gehackt haben. Am Ende muss sich ein jeder entscheiden, was er sich zutraut. Theoretisch kann aber jeder, der eine Reise bucht, auch online Krypto kaufen und verwahren.
Warum Kryptowährungen bei der Energiewende helfen können
Aber es werden nicht unbegrenzt Bitcoin geschürft werden …
Der Bitcoin ist disinflationär, das heißt die Inflation nimmt ab. Ungefähr im Jahre 2140 wird der letzte neue Bitcoin geschürft.
Das Schürfen von Bitcoin ist sehr energiezehrend – Kryptowährungen sind nicht wirklich nachhaltig.
Das sehe ich komplett anders. Gerade da besteht für Deutschland eine Riesenchance, das Stromnetz zu sichern. Wir haben sehr stark auf erneuerbare Energieträger gesetzt. Heute produzieren wir an vielen Tagen viel mehr Strom, als wir benötigen und müssen ihn dann teuer abregeln oder gegen Gebühren ins Ausland weiterleiten. Das kostet uns 600 Millionen Euro jährlich. Was wäre denn, wenn wir nun bewusst diese Überkapazitäten nutzten?
Das heißt, wir finanzieren die Energiewende durch Mining?
Genau. Wir machen die Energiewende noch attraktiver, weil wir die Überkapazitäten, die wir benötigen, zum Erzeugen von Bitcoin nutzen.
Bislang dürfte Deutschland nicht besonders attraktiv sein angesichts der hohen Strompreise …
Das ist nicht ganz richtig. Natürlich suchen sich Bitcoin-Miner günstige Standorte. Aber die Deutsche Telekom ist gerade in das Geschäft des Bitcoin-Minings eingestiegen, übrigens mit einer Photovoltaikanlage in Deutschland. Das ist natürlich auch ein politisch starkes Signal, und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir davon in Zukunft noch mehr sehen. Das passt perfekt: Den Stromverbrauch beim Mining kann ich innerhalb von kürzester Zeit an- und abstellen. Ich stabilisiere das System und verdiene noch Geld damit.
Warum machen wir es dann nicht?
Vielleicht machen wir es ja bald. Wenn ich der Nachhaltigkeitsbeauftragte der Bundesregierung wäre, würde ich den maximalen Fokus draufsetzen. Bitcoin-Mining ist perfekt geeignet für die Überkapazitäten. Ein Bitcoin-Mining-Container kann da aufgestellt werden, wo gerade Strom im Überfluss da ist. Ich sehe nur Gewinner: Vielleicht könnte man die Förderung der erneuerbaren Energien dann halbieren und zugleich noch den Staat mit einem Anteil an den Bitcoin beteiligen.
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Glossar:
Blockchain (engl. Blockkette) ist eine spezielle Technologie zur Datenhaltung in dezentralen Netzwerken. Dabei werden die Daten in einzelnen Blöcken aneinandergereiht, das digitale Datenprotokoll speichert sämtliche Transaktionen und ist einsehbar. So lassen sich Zahlungen ohne zentrale Instanz vertrauensvoll und transparent verifizieren.
ETP: Exchange-traded Product, Sammelbegriff für börsengehandelte Wertpapiere. Sie bilden den Wertverlauf eines zugrunde liegenden Finanzproduktes nach, etwa den Kursverlauf des Bitcoin.
Kryptowährung: Dabei handelt es sich um ein digitales Zahlungsmittel auf der Grundlage eines Blockchain-Systems. Das prominenteste Beispiel für Anwendungen der Blockchain-Technologie ist Bitcoin. Es gibt Tausende verschiedene Kryptowährungen am Markt.
Mining: Damit ist das Erzeugen, das „Schürfen“ neuer Bitcoin gemeint. Die sogenannten Miner hängen beim Bitcoin-Blockchain den nächsten Block an und werden dafür bezahlt. Dieser Prozess benötigt viel Energie.